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Helfer: "Apokalyptische" Lage Palästinenser berichten von mehr als 200 Toten

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Im Al-Aksa-Krankenhaus von Deir al-Balah soll angesichts der hunderten teils schwer Verletzten völliges Chaos ausgebrochen sein.

Im Al-Aksa-Krankenhaus von Deir al-Balah soll angesichts der hunderten teils schwer Verletzten völliges Chaos ausgebrochen sein.

(Foto: picture alliance / Anadolu)

Israel feiert die Befreiung von vier Geiseln aus den Händen der Hamas-Terroristen. Die Operation lief palästinensischen Angaben zufolge blutig ab. Helfer berichten "apokalyptischen" Zuständen in Kliniken. Palästinenserpräsident Abbas ruft das höchste UN-Gremium an.

Im Zusammenhang mit der Befreiung von vier israelischen Geiseln ist es im Gazastreifen zu heftigen Kämpfen mit vielen Toten gekommen. Laut Angaben palästinensischer Behörde wurden mindestens 210 Palästinenser getötet. Auf israelischer Seite starb bei den Kämpfen ein Polizist. Im Flüchtlingsviertel Al-Nuseirat im Zentrum des Küstengebiets, wo die israelische Armee eigenen Angaben zufolge die Geiseln befreite, seien rund 400 Menschen verletzt worden, erklärte das Medienbüro der Hamas. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Die in Gaza unter der Kontrolle der Hamas stehende Gesundheitsbehörde sowie medizinische Kreise im Gazastreifen hatten zuvor von 55 Toten gesprochen. Israels Armeesprecher Daniel Hagari wiederum sprach von weniger als 100 Todesopfern im Zusammenhang mit der Befreiungsaktion. "Ich weiß nicht, wie viele davon Terroristen sind", sagte er. Zudem hätten Extremisten Zivilisten als Schutzschilde missbraucht.

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas forderte eine außerordentliche Sitzung des UN-Sicherheitsrats. Es gehe darum, die Auswirkungen des "grausamen Massakers" der israelischen Armee zu besprechen, berichtete die palästinensische Nachrichtenagentur WAFA unter Berufung auf Abbas. Er forderte demnach ein internationales Eingreifen, um die humanitäre Katastrophe in den Palästinensergebieten zu beenden.

Die Geiselbefreiung erfolge laut israelischen Darstellungen in einer groß angelegten gemeinsamen Operation der Armee, des Inlandsgeheimdienstes und Spezialkräften der Polizei. Die vier Geisel waren demzufolge in mehrstöckigen zivilen Wohngebäuden festgehalten worden. Die drei befreiten Männer seien in einer Wohnung, eine junge Frau rund 200 Meter entfernt in einer weiteren gewesen, sagte Hagari. Sie seien in verschlossenen Räumen festgehalten und von etlichen Menschen bewacht worden.

Militär klopft an die Tür

Die Befreiungsaktionen in beiden Gebäuden erfolge laut Hagari am Vormittag zeitgleich, um eine Vorwarnung vor einem Armeeeinsatz und damit die Tötung der Geiseln im jeweils anderen Gebäude zu verhindern. In der Wohnung, in der sich die Frau befand, seien die Wächter vollkommen überrascht gewesen. In der anderen Wohnung sei es zu einem heftigen Feuergefecht gekommen, in dessen Zuge ein hochrangiger Polizeibeamter schwer verletzt worden und später im Krankenhaus gestorben sei.

Hunderte Einsatzkräfte seien zugleich in der Umgebung stationiert gewesen, um den Spezialeinheiten Deckung zu geben. Die Geiseln seien, geschützt von den Einsatzkräften, heraus und zunächst in Autos gebracht worden. "Wir geben ihnen menschliche Schutzschilde, damit sie nicht ins Kreuzfeuer geraten", so Hagari. Schließlich seien die vier per Helikopter nach Israel in eine Klinik geflogen worden. Israelische Medien zitierten einen Angehörigen der befreiten Frau mit den Worten, das Militär habe am Vormittag an die Tür geklopft und gerufen, dass sie gekommen seien, um sie zu retten.

Begleitet wurden die Kämpfe in Nuseirat Augenzeugen zufolge auch von schweren Luft- und Artillerieangriffen. Bilder und Berichte vom Al-Aksa-Krankenhaus in Deir al-Balah, wohin viele Opfer gebracht wurden, zeigen einer katastrophalen Lage. Auf Aufnahmen, die Szenen aus dem behandelnden Krankenhaus zeigen sollen, sind blutüberströmte Opfer, Tote und verletzte Kinder zu sehen. Mitarbeiter berichten, in der Klinik sei völliges Chaos ausgebrochen.

"Situation extremer Propaganda"

Schwere Vorwürfe richtete auch die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) an Israel. "Die Szenen, über die unsere Teams in den letzten Tagen aus Gaza berichtet haben, sind absolut entsetzlich. Das einzige Wort, das mir einfällt, um es zu beschreiben, ist 'apokalyptisch'", sagte MSF-Generalsekretär Christopher Lockyear CNN. Mit Blick auf die medizinische Versorgung sagte er: "Wir befinden uns in einer Situation, in der Menschen im Blut anderer Menschen behandelt werden." Auf der Plattform X erklärte die Organisation, nach den jüngsten "intensiven Bombardements" im Zentrum des Gazastreifens sähen sich die Helfer in den Krankenhäusern Al-Aksa und Nasser mit einer "überwältigenden Zahl schwerverletzter Patienten, darunter viele Frauen und Kinder" konfrontiert.

Lockyear warf der israelischen Seite zudem vor, in Bezug auf die humanitäre Hilfe im Gazastreifen falsche Informationen zu verbreiten. Er sprach von "einer Situation extremer Propaganda". Zuvor hatten das israelische Militär und die für humanitäre Hilfe zuständige israelische Behörde COGAT unter anderem auf der Plattform X eine Karte veröffentlicht, die suggerierte, dass Ärzte ohne Grenzen im Gazastreifen ein Feldlazarett betreibt. Dies stimme so nicht, stellte Lockyear klar. Zwar unterstütze die Hilfsorganisation vor Ort Krankenhäuser und Zentren für die medizinische Grundversorgung. "Aber wir betreiben kein Feldlazarett im Gazastreifen." Konkret gebe es zwar die Erlaubnis für eine solche Einrichtung, jedoch keine Genehmigung für die Einfuhr der nötigen Ausrüstung. "Es ist also nicht korrekt, das zu berichten", betonte Lockyear.

Quelle: ntv.de, mbo/dpa

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