Politik

Eine Volkspartei auf Chefsuche Reformer, Versöhner - oder doch Merz?

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Im Rennen um den CDU-Vorsitz suchen die Kandidaten ihre Rolle. Während Norbert Röttgen die Partei modernisieren will, vertritt Armin Laschet den gemeinsamen Nenner. Nur Friedrich Merz bleibt ganz der Alte.

Das Gute ist: Inzwischen sind alle routiniert. Jeder kennt seine Aufgabe. Die Mitglieder fragen, die Kandidaten antworten - und die Moderatorin bringt ein bisschen Witz rein. Anderthalb Jahre nach dem letzten "Assessmentcenter" für die vakante Stelle des CDU-Vorsitzenden geht die Suche im Foyer des Konrad-Adenauer-Hauses (KAH) in eine neue Runde. Vieles gleicht sich. Wieder sind es drei Kandidaten. Wieder tritt Merz an. Und sogar Jens Spahn übernimmt trotz Abwesenheit eine kleine Statistenrolle. Nur eines ist dieses Mal anders: alles andere.

War die Chefsuche 2018 noch ein gewissermaßen natürlicher Nachfolgeprozess, der durch den Abtritt von Angela Merkel ausgelöst worden war, steht am Anfang der neuerlichen Chefsuche ein glanzloser Rücktritt mit der wohl längsten unfreiwilligen Folgeamtszeit in der deutschen Geschichte. In dieser Situation von Aufbruch zu sprechen, käme wohl niemandem so leicht über die Lippen. Ausgerechnet Generalsekretär Paul Ziemiak, der erst von der scheidenden Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer ins Amt geholt wurde, verbreitet dennoch die Aura des Gesegneten. "Nach diesem Abend werden uns alle anderen Parteien beneiden um die Wahl, die wir zu treffen haben", sagt er vor Beginn der Fragestunde dem Sender "Phoenix". Die Basis fühlt sich womöglich weniger auserwählt.

Und dann ist da ja auch noch Corona: Weil ein neuer Bewerbermarathon durch die Mehrzweckhallen der Nation inmitten der Pandemie schwer vorstellbar wäre, stellen sich Friedrich Merz, Norbert Röttgen und Armin Laschet via Live-Übertragung den Fragen der Mitglieder. Und die sind - trotz der allgegenwärtigen Viruskrise - erstaunlich vorhersehbar. Zumindest Merz dürfte sie mehrheitlich nicht zum ersten Mal gehört haben. Nach dem Frauenanteil in der Partei werden die drei Herren gefragt. Auch die Kluft zwischen Arm und Reich ist ein Thema. Und natürlich die Wirtschaftspolitik. Die Kandidaten spulen ihr Programm ab.

Ein Querschuss gegen AKK

Von einer Diskussion sind sie meist weit entfernt. Lediglich beim Thema Föderalismus hüpft NRW-Ministerpräsident Laschet kurz aus dem Sakko. Wer fordere, der Bund müsse die Bildung stärker in die eigenen Hände nehmen, verstehe nicht, wie die Regierungsarbeit in den Ländern aussehe, schimpft er. Ein klarer Seitenhieb gegen die beiden Mitbewerber, die diesbezüglich nichts vorzuweisen haben. Der Bund, sagt Laschet dann noch, solle sich besser "darum kümmern, dass die Flieger der Bundeswehr fliegen". Schon wieder ein Querschuss gegen AKK. Die Vorsitzende und Verteidigungsministerin bleibt in der Runde ansonsten unerwähnt.

Dabei ist das Format durchaus ordentlich orchestriert. Etwa 700 Fragen und Kommentare von CDU-Mitgliedern wurden vorab im KAH auf ein paar Dutzend zusammengeschrumpft - einige davon sind per Video eingesendet worden, andere als Tonstreifen. Sechs Themenfelder sollen die Kandidaten beackern. Für ein bisschen Abwechslung sind Spontanfragen aus den sozialen Medien vorgesehen. Auf diese Weise bindet die Partei die Öffentlichkeit zumindest teilweise ein. Denn die Einzel-Talkrunden mit den drei Kandidaten sind allein den Parteimitgliedern vorbehalten. Für die Presse gibt es keine Akkreditierungen. Auch das ist eine Botschaft.

Am liebsten ein leiser Übergang

Von der großen Bühne will die CDU dieses Mal Abstand nehmen. Auch wenn Merz unverändert von einer "Zäsur" spricht, die beim Parteitag am 15./16. Januar bevorstehe: Die Parteispitze will offenbar einen leiseren Übergang als vor anderthalb Jahren. Doch der gelingt nur, wenn Laschet gewinnt. Alles andere wäre eine faustdicke Überraschung. Zwar holt Röttgen in den Umfragen auf, doch ihm werden nach wie vor nur Außenseiterchancen eingeräumt. Und Merz hat mit seinen öffentlichen Attacken gegen das "Partei-Establishment" bei vielen Delegierten für Irritation gesorgt. Dass es an allen Ecken knirschen würde bei seinem Sieg, gilt als ausgemacht. Doch Merz zieht immer noch.

In den Umfragen steht er weiter vor seinen Mitbewerbern. Er verkörpert die Sehnsucht nach einer konservativeren CDU wie kaum ein anderer. Doch wer ihn als Chef will, braucht Stürmerqualitäten. Angesprochen auf die Rolle der Partei in Europa sagt er: "Ich möchte nicht in der Kreisklasse spielen, sondern in der Champions League." Selbst die Zahl seiner Enkel macht er zum Wettbewerb - da hat er den Sieg sicher. Er will keine Frauenquote, aber mehr Frauen in der Partei. Er will mehr Klimaschutz, aber noch lieber einen neuen Generationenvertrag. Seine Agenda ist klar. Merz ist ganz der Alte geblieben. Auch wenn er in der jüngsten Runde deutlich öfter lächelte.

Parteitag inmitten der Pandemie

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Ganz anders präsentiert sich Laschet: als Versöhner und einer, der die Polarisierung der Gesellschaft (und der Partei) stoppen will, ist er der Konsenskandidat. Er hat die meiste Regierungserfahrung, doch wenn er in der Runde von "den jungen Leuten", Videoschalten und dem C-Netz spricht, wirkt er altväterlich. Mehrmals erwähnt er, dass Spahn in seinem Team mitspiele. In den Umfragen hat der Landeschef zuletzt deutlich verloren. Dass seine Eignung als CDU-Chef vor allem an seiner Amtsführung in Nordrhein-Westfalen gemessen wird, ist in der aktuellen Krise nicht unbedingt ein Vorteil.

Diese Last hat Röttgen nicht zu tragen. Seine Pläne für eine modernere, weiblichere und digitalere CDU dürften vor allem bei den Jungen verfangen. Doch wie reformbereit sind die Delegierten? Und welchen Einfluss wird die Corona-Krise auf ihre Wahl haben? In der Pandemie haben die Christdemokraten Umfragehöhen erreicht, die noch vor einem Jahr kaum mehr erreichbar schienen. Das Vertrauen in die Regierung von Angela Merkel ist größer denn je. Die Frage, wer am ehesten mit ihr kann, dürfte auch beim anstehenden Parteitag im Januar wieder eine Rolle spielen. Merz beantwortet die Frage recht eindeutig - unter Anspielung auf ein geflügeltes Wort der Kanzlerin: Nichts und niemand in der Politik sei alternativlos. Man kann das wohl als Kampfansage werten.

Quelle: ntv.de

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