Politik

Der fiese Fall PuigdemontSpanien setzt auf Deutschlands Ohnmacht

04.04.2018, 17:07 Uhr
imageVon Issio Ehrich
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Demonstration vor dem Bundestag. Die Bundesregierung will politisch aber keinen Einfluss auf die Auslieferung Puigdemonts nehmen. (Foto: AP)

Ausliefern oder nicht? Wegen des katalanischen Separatistenführers Puigdemont steckt die Bundesrepublik in einer misslichen Lage. Schuld daran sind weder Berlin noch Deutschlands Behörden. Sie müssen nun trotzdem damit klarkommen.

Im Falle des Carles Puigdemont gibt es keine einfachen Antworten. Ist er ein heldenhafter Freiheitskämpfer? Oder doch vor allem ein Gesetzesbrecher, der regionale Egoismen befeuert? Ist er eine politische Geisel der spanischen Zentralregierung? Oder ist er ein klarer Fall für die Justiz? Die Bundesrepublik steckt nun mittendrin in dieser Debatte. Und kann nicht einmal etwas dafür. Sie muss trotzdem eine Lösung finden.

Dass Puigdemont ausgerechnet in Deutschland festgenommen wurde, war wohl kein Zufall. Spanien legte es darauf an.

Puigdemont verließ seine Heimat, nachdem ihm vorgeworfen wurde, im Oktober ein illegales Unabhängigkeitsreferendum der Katalanen ermöglicht zu haben. Er fand ein sicheres Exil in Brüssel. Doch Puigdemont folgte leichtfertig einer Einladung nach Helsinki, um dort Vorträge halten zu können. Den dortigen Behörden lag ein Europäischer Haftbefehl vor - für einen "spanischen Bürger, der auf Besuch in Finnland" ist. Diese vage Formulierung sollte wohl Schlagzeilen vermeiden. Puigdemont verließ das Land per Fähre und erreichte Finnland. Helsinki gab wenig später an, den Standort des "spanischen Bürgers" nicht rechtzeitig ausfindig gemacht zu haben.

In Schweden wussten die Behörden offenbar auch zu wenig über die Durchreise Puigdemonts oder konnten zumindest so tun. Spanien tat unterdessen nichts, um das zu ändern. Madrids Geheimdienst verfolgte Puigdemonts Fluchtfahrzeug. Vermutlich hätte ein Anruf in Stockholm gereicht, um den Mann festnehmen zu lassen. Doch dieser Anruf erfolgte nicht.

Das Spiel wiederholte sich in Dänemark. Spanien blieb wieder still. Die dänischen Behörden wurden eigenen Angaben zufolge erst auf Puigdemont aufmerksam, als sie eine Warnung aus Deutschland bekamen. Zu spät, behauptete Kopenhagen. Der Katalane schaffte es über die Grenze. Die Bundesregierung, die offensichtlich von seiner Ankunft wusste, musste reagieren und stoppte Puigdemont auf der A7.

Das Motiv Spaniens liegt auf der Hand: Madrid erhofft sich in der Bundesrepublik die höchsten Chancen auf eine Auslieferung – sei es nun, weil der politische Zusammenhalt der EU auf dem Spiel steht und Berlin eine besondere Verantwortung verspürt oder weil es im deutschen Strafrecht Paragrafen gibt, die den spanischen sehr ähneln. Das wiederum ist eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg eines Auslieferungsersuchens.

Europäische Errungenschaft oder Makel der EU?

Ohnmächtig wirkt Deutschland noch in einem weiteren Punkt: Normalerweise regeln Auslieferungsverträge zwischen Staaten selbst bei engsten Verbündeten, dass es keine Überstellungspflicht gibt, wenn im Kern eines Falles politische Straftaten stehen. So soll verhindert werden, dass Staaten in innenpolitische Auseinandersetzungen anderer Länder hineingezogen werden. Beim Europäischen Haftbefehl verhält es sich anders. Denn der beruht in besonderem Maße auf dem (zumindest theoretisch) unerschütterlichen Vertrauen in die Rechtstaatlichkeit aller Mitgliedstaaten. Eine Errungenschaft des europäischen Einigungsprozesses, sagen die einen. Ein schwerer Makel der EU, wie der Fall Puigdemont jetzt demonstriere, erwidern die anderen.

Die spanische Justiz operiert in dem Fall mit umstrittenen Argumenten. Vor allem der Vorwurf der Rebellion, um den die Anklageschrift kreist, ist bedenklich. Sowohl in Spanien als auch beim möglichen deutschen Pendant des Hochverrats ist Gewalt eine Voraussetzung für eine Verurteilung. Die spanische Justiz argumentiert, dass Puigdemont zwar weder zur Gewalt aufgerufen noch selbst Gewalt angewandt hat, er das Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober aber im Wissen abhielt, dass eine Konfrontation möglich sei. Mehrere verletzte spanische Polizisten gelten den Spaniern als Beleg. In dieser Logik ließe sich in Deutschland wohl aber fast jede Demonstration als Hochverrat einstufen.

Stichhaltiger erscheint dagegen der Vorwurf der Veruntreuung öffentlicher Gelder. Puidgemont nutzte für das illegale Referendum nach Angaben der spanischen Juristen staatliche Gelder. Das wäre so wohl auch in Deutschland strafbar, auch wenn Puigdemonts Anwalt in Deutschland auf Fragen verweist, die der Fall aufwirft: "Ist es nicht normal, dass die Kosten eines Referendums, das ein mit absoluter Mehrheit gewählter Regierungschef eines Landes veranlasst, von der Staatskasse getragen werden?", fragte Wolfgang Schomburg der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Die Korruptionsfalle

Vor allem die Veruntreuung von Staatsgeldern droht Puigdemont zum Verhängnis zu werden. Denn bei der handelt es sich im Rahmen des Europäischen Haftbefehls um eine besondere Tat. Der Europäische Haftbefehl sieht für 32 Kategorien schwerer Straftaten eine verminderte Kontrollpflicht vor. Bei diesen Taten, zu der die Korruption gehört, reicht es, wenn der Staat, der den Antrag auf Auslieferung stellt, sie als strafbare Handlung einstuft. Eine weitere Prüfung ist dann eigentlich nur in Ausnahmefällen vorgesehen, insbesondere eine tiefergehende inhaltliche Prüfung.

Die Bundesregierung hat sich ausdrücklich auf den Kurs festgelegt, allein die Justiz, also das Oberlandesgericht Schleswig und gegebenenfalls das Bundesverfassungsgericht, über den Fall entscheiden zu lassen. Was sie auch tun würde, es wäre wohl irgendwie falsch. Lässt sie Puigdemont ausliefern, macht sie sich eventuell zum Akteur in einem politischen Prozess. Verweigert sie die Auslieferung, würde sie dem Zusammenhalt der EU einen groben Stoß versetzen, indem sie Spanien abspricht, ein rechtstaatliches Verfahren führen zu können. Dass Spanien sich ausgerechnet Deutschland für die Festnahme ausgesucht hat, liegt vermutlich aber auch daran, dass Berlin jenseits der Frage der Auslieferung wenig Einsatz zeigt, politisch auf Madrid Druck zu machen, um einen Kompromiss mit den Separatisten in Katalonien zu finden.

Carles PuigdemontKatalonienSpanien