Plötzlich teilweise immun Strafprozesse gegen Trump könnten sich in Luft auflösen
01.07.2024, 20:35 Uhr Artikel anhören
Gute Nachrichten vom Supreme Court für Donald Trump (hier bei einer Veranstaltung im Juni).
(Foto: dpa)
Was bedeutet das Urteil? Für manches, was Ex-Präsident Trump getan hat, kann er angeklagt werden. Aber nicht für alles. Die Details sind unklar, die juristische Saga geht weiter. Viel hängt davon ab, ob Trump die Präsidentschaftswahl im November gewinnt.
Eines muss man den Richtern des Supreme Court lassen: Sie wissen, wie man Spannung aufbaut. Das mit Abstand wichtigste Urteil haben sie bis zuletzt zurückgehalten. Können frühere US-Präsidenten und damit auch Donald Trump für Handlungen während ihrer Amtszeit angeklagt werden oder sind sie immun? Seit Ende vergangenen Jahres ist dies eins der am meisten diskutierten Themen in den USA. Nun hat das Oberste Gericht gesprochen. Trump sowie andere und kommenden Ex-Präsidenten sind nicht komplett immun - aber.
Die Obersten Richter unterscheiden in ihrem Urteil zwischen offiziellen Handlungen im Sinne der Aufgaben eines Präsidenten und solchen außerhalb, also etwa Dinge, die Trump als Kandidat getan hat. Was von dem, was Trump in seiner Zeit als Präsident gemacht hat, eine Amtshandlung war oder eben nicht, darüber wollte die Mehrheit der Richter nicht entscheiden. Diese Frage verwies sie zurück an das Bundesgericht in Washington D.C.
Drei aktuelle Gerichtsprozesse gegen Trump sind direkt von diesem Urteil abhängig. Wie geht es jetzt weiter?
Die drei Fälle sind:
- die Anklage der Staatsanwaltschaft im Justizministerium wegen versuchter Manipulation des Wahlergebnisses 2020, um die Niederlage gegen Joe Biden in einen Sieg zu verwandeln.
- eine weitere Anklage der Ermittler wegen der Geheimdokumente, die Trump nach dem Ende seiner Präsidentschaft in seinem Privatwohnsitz in Mar-a-Lago gelagert hatte und nicht herausgeben wollte, bis das FBI zur Razzia anrückte.
- ein Prozess im Bundesstaat Georgia, wo Trump ebenfalls wegen versuchten Wahlbetrugs angeklagt ist. Er hatte unter anderem den dortigen Wahlverantwortlichen telefonisch gedrängt, Stimmen zu "finden".
Nun ergeben sich zwei Szenarien. Gewinnt Trump die Präsidentschaftswahl im kommenden November, kann er den Sonderermittler des Justizministeriums, Jack Smith, entlassen und die beiden Fälle des Justizministeriums zu den Akten legen lassen. Über den Prozess in Georgia hat er keine Entscheidungsgewalt, aber erstens dürfte der bis nach seiner Präsidentschaft auf Eis gelegt werden, und zweitens kann Trump danach mit Berufungen versuchen, jeden angeführten Beweis der Anklage als Amtshandlung deklarieren zu lassen.
Dichter Nebel und Auslegungssache
Bei einer Wahlniederlage könnte Trump schon im kommenden Jahr in allen drei Fällen vor Gericht stehen. Aber auch dort wird nun die Frage sein, welche seiner Handlungen er als Amtsträger tätigte und welche nicht. All das könnte sich lange hinziehen. Die Ermittler werden nun darüber brüten, wie sie die Belege, die sie für ihre Anklagepunkte gegen Trump anführen, wasserdicht im Sinne des Supreme-Court-Urteils bekommen.
Beispielsweise hatte Trump nach der Wahlniederlage 2020 permanent Druck auf das Justizministerium ausgeübt, seine erfundenen Betrugsvorwürfe zu untersuchen und die Wahl als "korrupt" zu erklären. Ist dies eine Amtshandlung und der Präsident in diesem Zusammenhang immun, weil er Direktiven an sein eigenes Ministerium ausgab? Die Mehrheit des Supreme Court sagt: Ja. Müssen die Gerichte seine Absicht in Betracht ziehen, oder dass er dem Justizminister drohte, ihn zu feuern? Das Urteil: Nein. Auch das falle unter seine Regierungsaufgaben. Da Trumps Kommunikation mit dem Justizministerium in der Anklage des Falles versuchter Wahlmanipulation enthalten ist, muss die Staatsanwaltschaft darauf verzichten.
Etwas anders könnte es bei den Telefonaten aussehen, in denen Trump auf seinen Vize Mike Pence Druck ausübte, damit dieser am Tag des Sturms auf das Kapitol am 6. Januar 2021 das Wahlergebnis nicht anerkennt. Die Anwälte des Ex-Präsidenten könnten etwa argumentieren, die Telefonate mit seinem Vize seien schlicht Regierungsangelegenheiten gewesen. Schließlich heißt es in der Verfassung, der Präsident müsse Sorge tragen, "dass die Gesetze gewissenhaft angewendet werden". Amtshandlungen sind also sehr weit gefasst und dürfen laut Urteil unabhängig vom Motiv nicht für die Strafverfolgung eines Ex-Präsidenten verwendet werden.
Trotz des Urteils waten Juristen laut Analysten weiterhin im verfassungsrechtlichen Nebel. Die drei widersprechenden Richterinnen halten das Urteil für brandgefährlich. Es beende das Prinzip, dass niemand über dem Gesetz stehe. "Lasst ihn das Gesetz brechen, lasst ihn sein Amt zu persönlichem Vorteil nutzen, seine Macht für böse Zwecke einsetzen." Von straffreien Mordaufträgen gegen politische Gegner bis zu einem Militärputsch im eigenen Land halten sie alles für möglich. Das klingt extrem, aber eines ist sicher: In Zukunft wird es deutlich schwieriger, einen Ex-Präsidenten strafrechtlich zu belangen.
Spiel auf Zeit
Trump hatte gefordert, ein Präsident und damit vor allem er selbst müsse komplett immun gegen jegliche Strafverfolgung nach einer Amtszeit sein. Hätten die Richter dieser Maximalforderung erfüllt, wäre die Folge gewesen, dass sich US-Präsidenten mit ihrer Vereidigung in unantastbare Könige auf Lebenszeit verwandeln. Trotzdem feierte Trump das Urteil in seinem sozialen Netzwerk Truth Social als "GROSSEN SIEG". Das hat wohl auch damit zu tun, dass ihm jede Verzögerung in die Karten spielt.
Kritische Juristen sagen, der Supreme Court hätte viel früher entscheiden können, womöglich sogar müssen. Schließlich hatte Jack Smith bereits im Dezember das Gericht darum gebeten. Doch es verzögerte die Verkündung bis zum letzten Moment. Ein Prozess vor der Wahl wird damit höchst unwahrscheinlich. Bei der Anhörung im April hatte Richter Neil Gorsuch, ein gemäßigter Konservativer, anklingen lassen, dass sich der Supreme Court Zeit lassen würde. "Wir schreiben eine Regelung für die Ewigkeit", meinte er. "Ich bin nicht über den aktuellen Fall besorgt, sondern über die zukünftige Nutzung des Strafrechts, um politische Gegner auf Basis vermuteter Motive ins Visier zu nehmen."
Eine solche Situation hat es noch nie gegeben - eine offensichtlich konservative Richtermehrheit, von der drei ihren Posten Trump verdanken, haben über dessen Immunität entschieden: Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett. Zwei weiteren wird vorgeworfen, ihr Privatleben mit ihren beruflichen Aufgaben zu vermengen: Samuel Alito und Clarence Thomas. Seit der Supreme Court diese ideologische Schlagseite hat, ist das Vertrauen der US-Amerikaner auf einem historischen Tief. Die Zustimmung für dessen Arbeit bewegt sich um 40 Prozent. Das jüngste Urteil könnte diesen Wert noch verringern. Denn davor sagten 74 Prozent, frühere Präsidenten sollten nicht immun gegen Strafverfolgung sein.
Hinweis: Zunächst hieß es im Text, es sei nicht klar, ob die Kommunikation zwischen Trump und dem Justizministerium als Amtshandlung bewertet wird. Wir haben die Stelle korrigiert.
Quelle: ntv.de