Ukraine-Deal bei Caren Miosga "Trump will uns Europäer insgesamt loswerden"


Die Expertinnen und Experten dämpfen die Hoffnung auf einen baldigen nachhaltigen Frieden durch Donald Trump.
(Foto: ARD/Thomas Ernst)
Donald Trump macht Tempo: Der US-Präsident dringt weiter auf einen stark umstrittenen Friedensplan - jüngst kommt es zum lange diskutierten Rohstoff-Deal mit Kiew. Ein Grund für Hoffnung auf Frieden ist all dies jedoch noch lange nicht, wie bei Caren Miosga deutlich wird. Ganz im Gegenteil.
Nach sage und schreibe zweieinhalb Minuten Sendezeit ist jegliche Hoffnung zerschlagen. Mit Blick auf den jüngst unterzeichneten Rohstoff-Deal zwischen Washington und Kiew will Caren Miosga am Abend von ihren Gästen wissen, ob die Ukraine einem Frieden ein Stück näher gekommen ist. Die Talkmasterin startet die Runde betont zuversichtlich. Sie dreht und wendet ihre Frage nach einer nun möglicherweise aufblühenden Beziehung zwischen den USA und der Ukraine gleich mehrfach und versucht den Expertinnen und Experten hinsichtlich eines Kriegsendes einen Funken Optimismus zu entlocken. Vergeblich, wie Letztere schnell deutlich machen: Der Deal über Investitionen in ukrainische Bodenschätze ist sicherlich ein Verhandlungserfolg der Ukraine - aber eben auch nicht mehr, so der niederschmetternde Konsens der Runde.
Selbst Zuversicht sei noch eine deutlich zu hoch gegriffene Reaktion auf das Abkommen, macht Nicole Deitelhoff deutlich. Zwar unterscheide sich das Vereinbarte zugunsten der Ukraine von früheren Versionen. Die Friedens- und Konfliktforscherin betont die gleichen Beteiligungsrechte beider Parteien bei der vereinbarten Ausbeutung von Bodenschätzen in der Ukraine. Anfängliche Bedenken, die Ukraine könnte zu einer Art Wirtschaftskolonie der USA werden, sind damit erst einmal weggefegt. Ebenso die befürchteten Payback-Forderungen für bereits geleistete US-Militärhilfen. Vor allem das vereinbarte System des Investitionsfonds, in das die USA einzahlen sollen, sei "sehr geschickt", lobt Deitelhoff. "Damit ist die Sorge, dass die USA wegbrechen, fast vom Tisch." Nach dem Eklat im Weißen Haus sei dies sicherlich sowohl in Kiew als auch in Washington als außenpolitischer Erfolg zu verbuchen.
Es ist kaum drei Monate her, dass US-Präsident Donald Trump und sein Vize J.D. Vance den ukrainischen Präsidenten vor versammelter Weltpresse verbal attackierten und schließlich aus dem Oval Office warfen. Aufnahmen mit beispielloser diplomatischer Zerstörungskraft gingen um die Welt und ließen jegliche Annäherung zwischen Kiew und Washington so gut wie unmöglich erscheinen. Bis vor wenigen Tagen. Kurz vor dem Rohstoff-Abkommen trafen Trump und Selenskyj zur Beisetzung von Papst Franziskus im Petersdom aufeinander. Wieder machte ein Bild Schlagzeilen - doch dieses Mal strahlte es Versöhnung und Geschlossenheit aus.
Schönes Foto, keine Taten
"Allerdings sollte man nicht denken, dass es wirklich so ist", sagt Deitelhoff. Es habe sie gar irritiert, "wie viel Bedeutung diesem Foto beigemessen wurde". Denn: Praktisch habe sich in der Trump-Administration in Bezug auf Kiew nichts verändert. Im Gegenteil, gerade in den vergangenen Tagen erhöhen die Amerikaner den Druck auf die Ukraine, dem stark umstrittenen Friedensabkommen zuzustimmen und drohen sich andernfalls als Vermittler zurückzuziehen. Kurzum: "Das ist ein schönes Foto, aber Taten haben wir noch nicht gesehen."
Dem stimmt Ukraine-Korrespondentin Rebecca Barth zu. Zumal die ständigen Berichte über Friedensverhandlungen, Waffenstillstände und Feuerpausen "eine unglaubliche psychische Belastung für die Menschen in der Ukraine sind". Jedes von Trump gelobte Treffen oder Telefonat wecke Hoffnung, die anschließend "jeden Tag aufs Neue enttäuscht wird". Dass Washington und Kiew sich überhaupt auf einen Vertrag über Bodenschätze einigen konnten, sei in der ukrainischen Bevölkerung zwar positiv aufgefasst worden. Inhaltlich sei die Skepsis jedoch enorm: "Die größte Frage ist: Investiert überhaupt irgendein Amerikaner, wenn der Krieg nicht beendet ist und die Möglichkeit besteht, dass Raketen einschlagen?"
Barth spielt auf einen für die Ukrainer besonders wunden Punkt des Rohstoff-Deals an. Offizielle Sicherheitsgarantien, wie sich Kiew erhofft hatte, finden sich in dem Vertrag nicht. Allerdings könnten wirtschaftliche Investitionen in der Ukraine bedeuten, dass Amerikaner "vor Ort" sein werden, wendet der ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel ein. Dies könnte wiederum "ein Grund für Russland sein, sich zu überlegen, das Land wieder anzugreifen". Auch Trump pocht auf diesen Effekt. Ein Schritt in die richtige Richtung, räumt Gabriel ein, bevor er zum Aber ansetzt.
"Wir stehen als Europäer quer im Stall"
"Die Amerikaner werden keinen Backstop liefern." Sollte es nach einem Waffenstillstand wieder zum Konflikt kommen, werden sie eben nicht mit amerikanischen Soldaten in der Ukraine für Sicherheit sorgen. "Mit dramatischen Folgen für die Ukraine", betont Gabriel. "Wenn sie schon Gebiete abtreten, dann wollen sie wenigstens die Hoffnung, dass die Russen nicht übermorgen wiederkommen. Und dafür brauchen sie Unterstützung." Ein Dilemma, dem die Ukrainer nur schwer entkommen können, wie nun klar wird.
Denn: Die Vorstellung, Trump gehe es tatsächlich um die Souveränität der Ukraine sei kaum mehr als eine Illusion. Gabriel berichtet vom G20-Gipfel im Jahr 2016. Schon damals hatte Trump sich darüber beschwert, dass es um die Ukraine gehe. "Das ist für ihn europäische Sache", so der Außenpolitiker. Und zwar "schon lange". In Trumps Sicht haben die USA nichts mit der Ukraine zu tun. Sie koste lediglich viel Geld, sei lästig, hindere ihn daran, sich auf den Hauptgegner China zu konzentrieren. Gabriel macht eine kurze Pause, holt sichtlich Luft, bevor er fortfährt. "Eigentlich geht es ihm nicht nur um die Ukraine. Er will uns Europäer insgesamt loswerden. Wir stehen als Europäer quer im Stall, in der internationalen Politik. Und das nervt ihn." Spätestens an diesem Punkt erscheint die Eingangsfrage nach Trump als Hoffnungsschimmer hinsichtlich eines nachhaltigen Friedens in der Ukraine beinahe absurd.
Genau deswegen "müssen wir in Europa unsere Hausaufgaben machen", meldet sich Militäranalyst Franz-Stefan Gady in der Diskussionsrunde. In Washington gebe es schon lange keinen Konsens mehr über die Rolle der USA in der Welt. Vielmehr sei eine Lähmung der amerikanischen Sicherheitspolitik zu beobachten, die in den kommenden Jahren - "ohne große Strategie dahinter" - weiter voranschreiten werde. Angesichts dessen müssten die Europäer endlich aufhören, ihre Sicherheitspolitik in die USA auszulagern. Aber "mental haben wir das noch nicht geschnallt." Dabei drängt die Zeit: "Die Ukraine ist nur ein Symptom. Putin hat vor, die gesamte Sicherheitsarchitektur Europas zu verändern."
Gebietsabtretung gleich Frieden?
Miosga versucht erneut, das Gespräch auf Trumps Friedensabkommen zu lenken. Der US-Präsident zielt auf einen Waffenstillstand, seine Pläne würden der Ukraine weitreichende Zugeständnisse in Form von Gebietsabtretungen abverlangen und dem Kreml stark entgegenkommen. Die Gesprächsführung der Talkmasterin unterstreicht die Problematik im Grundverständnis des Konflikts erneut, wie die Experten deutlich machen. Barth erklärt: "Wenn wir immer wieder fragen, ob die Ukraine zu Gebietsabtretungen bereit ist, vermittelt das einen falschen Eindruck: Dass es Putin um Gebiete geht." Das jedoch sei nicht der Fall. "Es geht um die Zerstörung der freien und souveränen Ukraine." Ja, die Menschen in der Ukraine seien sich durchaus bewusst, dass die besetzten Gebiete zunächst einmal verloren sind, fügt die Korrespondentin hinzu. "Aber die Gleichung Gebietsabtretung gleich Frieden ist falsch."
Gaby springt dem bei und geht noch einen Schritt weiter: "Weder Russland noch die Ukraine haben ihre Kriegsziele erreicht. In dem Fall kommt es mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem Nachfolgekrieg." Warum war das in den vergangenen Jahren nicht der Fall? "Weil es eine Garantiemacht gegeben hat." Die USA jedoch fallen nun weg. In diese Fußstapfen müssten nun die Europäer treten - und könnten es aus Sicht des Experten auch. Laut seinen Berechnungen bräuchte es eine europäische Streitkraft von 36.000 bis 50.000 Soldaten, um einen möglichen Frieden in der Ukraine zu sichern. Eine Zahl, die durchaus möglich erscheint. "Ich halte es für Ausreden, dass wir ohne amerikanische Unterstützung nicht können."
Für einen kurzen Moment weicht der Konsens in der Runde auf, die Debatte wird hitziger. "Die Europäische Union wird gar nichts können, denn sie hat innerhalb der EU genug Staaten, die das nicht wollen", entgegnet Gabriel. "Wenn überhaupt" würden Gabys Überlegungen also nur "neben der EU" funktionieren und auch nur, wenn europäische Truppen auf die bereits vorhandenen Nato-Strukturen setzen dürften. All das stehe auf wackeligen Beinen. Abgesehen davon - Gabriel ist nun zu keiner Sprechpause mehr bereit - zweifle er sehr daran, dass sich Moskau und Washington treffen, "über die Köpfe der Ukrainer hinweg ein zweites Versailles beschließen" und die Ukraine dies ohne innerstaatliche Konflikte mittragen würde.
Miosga nutzt Gunst der Stunde
Bevor sich die Runde in Details mehr oder weniger wahrscheinlicher Zukunftsszenarien verliert, zoomt Gaby hinaus. Europa habe es grundsätzlich versäumt, sich die Gretchenfrage zu stellen: Was bedeutet die Ukraine für die europäische Sicherheitsstruktur? Ist Europa bereit, einen direkten Krieg mit Russland zu riskieren, um die Souveränität der Ukraine zu verteidigen? "Wenn die Antwort nein ist", sagt Gaby, "dann brauchen wir diese Truppen nicht, dann ist das alles egal."
Es sei diese Überlegung, die auch den künftigen Bundeskanzler Friedrich Merz vor eine enorme Aufgabe stellen wird, so Gabriel. Denn das, "was er außen tut, muss innen begründet werden". Andernfalls könnte der Eindruck, "wir bereiten einen größeren Krieg mit Russland vor", innenpolitisch schnell zu einem "Riesen-Dilemma" werden.
Stichwort Innenpolitik, zum Abschluss der Runde nutzt Talkmasterin Miosga die Gunst der Stunde. "Morgen wird Lars Klingbeil ein neues Kabinett vorstellen. Wird Frau Esken Teil dessen sein?" Gabriel weicht aus, verweist lediglich auf Eskens niedrige Beliebtheit, doch Miosga lässt nicht locker: "Zwei SPD-Chefs haben ein schlechtes Ergebnis eingefahren: Der eine wird Vizekanzler und Finanzminister, die andere vielleicht Ministerin, vielleicht auch gar nichts. Ist das fair?" So sei das Leben in der Politik eben. Gabriel kann sich ein Grinsen nun nicht mehr verkneifen: "Mich hat auch keiner gefragt, ob ich freiwillig gehe." Dass diese mit Hoffnungsdämpfern durchzogene Sendung in Gelächter endet, hätte keiner erwartet.
Quelle: ntv.de