
Lance Wallnau im "Green Room" des "Living Word Christian Centers".
(Foto: Roland Peters)
Lance Wallnau steht an der Spitze der "Neuen Apostolischen Reformation". Die radikal-christliche Glaubensbewegung dämonisiert politische Gegner und will die Trennung von Kirche und Staat aufheben. Wallnau sagt seinen Anhängern, Kamala Harris sei eine "Hexe". Der "Erlöser" heißt Donald Trump.
Lance Wallnau lehnt an einem Altar aus Plexiglas. Eine Hand auf der Bibel, die andere in die Hüfte gestemmt, grinst er in den abgedunkelten Saal und spricht ganz nonchalant: vom Teufel. "Die Dämonen", sagt er in das Mikrofon, das an seiner Wange klemmt, "die Dämonen sitzen an der Spitze der Regierung."
Es ist ein Samstag, Ende Oktober, früher Abend in einer Vorstadt von Minneapolis. Das Atrium des "Living Word Christian Centers", in dem Wallnau predigt, ist mehr Fernsehstudio als Kirche. Scheinwerfer hängen von der Decke, darunter leuchten riesige Bildschirme. Ein Kameraarm schwebt über dem Publikum, das nicht auf Holzbänken, sondern gepolsterten Klappsesseln sitzt. Statt einer Orgel steht hinter Wallnau ein Flipchart. "Wir bereiten uns auf einen Krieg vor", ruft er und reißt die Arme in die Luft.
Neue Apostolische Reformation
Wallnau ist Prophet. Als Anführer einer radikal-evangelikalen Glaubensbewegung kämpft er für eine christliche Vorherrschaft und gegen die Trennung von Kirche und Staat. Seine Anhänger verlassen sich blind auf die Führung von Aposteln und Propheten: Wallnau spricht zu Gott - und Gott durch ihn. Ziel der "Neuen Apostolischen Reformation", kurz NAR, ist die vollständige Kontrolle über die "sieben Berge": Religion, Familie, Regierung, Bildung, Wirtschaft, Medien sowie Kunst und Unterhaltung. "Die globale Ordnung ist aus dem Gleichgewicht geraten", sagt Wallnau.
Politik und Prophezeiung gehen für ihn Hand in Hand: Um einen Platz im Weißen Haus kämpfen dabei nicht rechts und links, sondern Gut und Böse. Politische Gegner werden als Werkzeuge dämonischer Mächte dargestellt, an deren Spitze Kamala Harris steht. Ihr Wahlkampf sei Hexerei, sie selbst die Ausgeburt des Geistes Isebels, der Herrscherin des moralischen Verfalls. Die Rolle des Erlösers erhält Donald Trump, dessen Sieg Wallnau 2016 prophezeit hatte. "Das ist christlicher Nationalismus auf Steroiden", schrieb dazu der amerikanische Autor und Theologe David Brockmann.
Sturm auf das Kapitol
Wohin die Verteufelung politischer Institutionen führen kann, hat der 6. Januar 2021 gezeigt: Mehrere US-Medien bringen Wallnau mit dem Sturm aufs Kapitol in Verbindung. Der Religionswissenschaftler Matthew Taylor bezeichnete Wallnau als "einer der wichtigsten christlichen Mobilisierer" für den Aufstand. Dieser habe die Unruhen vor dem US-Kapitol beobachtet und die Christen ermutigt, weiterzukämpfen. Wallnau bestreitet die Vorwürfe und sagt: "Das war kein Aufstand, das war eine Intervention gegen Wahlbetrug."
Mit Journalisten spricht Wallnau selten. Generell ist die NAR schwer zu verfolgen. Anhänger kommunizieren über globale Gebetsnetzwerke, Bücher, Podcasts, Apps und soziale Medien. Wallnau hat mehrere Schriften veröffentlicht, in seinem Podcast befeuert er extremistische Verschwörungstheorien. Auf YouTube und Facebook folgen ihm mehr als eine Million Menschen. "Die Medien warnen vor mir", steht in seiner Bio auf Instagram.
"Wiedergeburt Amerikas"
In Minneapolis warnt Wallnau vor den Medien. "Hollywood, Netflix und 25 Medienhäuser stehen unter der Kontrolle dunkler Mächte und linksradikaler Ideologen!", sagt er. In seiner Hand klemmen zwei Textmarker. Hastig kritzelt er Kreise und Tabellen auf den Flipchart, malt Spiralen und Pfeile, die für verschiedene Phasen und Entwicklungsstadien stehen. Dabei spricht er von Hexerei und Auferstehung. "Fühlt sich an, als würde ich ein Business-Seminar geben." Wallnau lacht.
Dann zitiert er aus dem Evangelium nach Johannes: "Kapitel 17, Vers 4, Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir aufgetragen hast." Jeder im Saal müsse sein Werk vollenden, sagt Wallnau. Nur dann werde die Auferstehung folgen, die "Wiedergeburt Amerikas". Zur Verdeutlichung malt er einen fliegenden Superman. Das Publikum lacht. Superman stehe für die "Flowphase", für den Ausbruch aus dem Kokon. "Wir zerreißen den Schleier, der über uns liegt!" Das werde den Teufel in den Wahnsinn treiben.
Gegen Ende seiner Predigt malt Wallnau die sieben "Berge" an die Tafel. Er erinnert an den Plan: die Vorherrschaft der Christen über Regierung und Gesellschaft. "Seid ihr bereit für diese Aufgabe?", fragt er, kurz bevor er die Bühne verlässt. Dann ruft er "Halleluja" und verteilt mit wackelnden Fingern Segen im Saal.
Ein Halleluja und Donald Trump
Biblischer Lobgesang und Trumps moralische Fehltritte stehen für Wallnau in keinem Widerspruch. Der Herr habe den ehemaligen Präsidenten als "Abrissbirne für den Geist der politischen Korrektheit" bezeichnet, sagte er einmal. Gottgesandte müssten nicht vollkommen sein. Als Vorbild bemühen seine Anhänger den biblischen König David, einen antiken Frauenhelden, der ebenfalls Ehebruch beging. Zudem sei auch "Jesus ein verurteilter Verbrecher" gewesen.
Wenn Trump der Gesandte Gottes ist, dann ist J.D. Vance sein Apostel. Ende September trat der republikanische Vizekandidat auf einer Bürgerversammlung in Monroeville, im Bundesstaat Pennsylvania auf. Die Veranstaltung war Teil der "Courage Tour" - organisiert von Lance Wallnau. In allen Swing States warb dieser in den Wochen vor der Wahl für das "religiöse Erwachen der Nation".
Dinner im "Green Room"
Nach dem Gottesdienst nestelt im Foyer des "Living Word Christian Centers" ein Sicherheitsmann an seinem Revers. "Hier 401, wir kommen zum Green Room", sagt er in das Funkgerät und läuft los. Am Ende der Halle führt er durch die Tür in den Backstagebereich. "Sie haben fünf Minuten."
Lance Wallnau sitzt in einem schwach beleuchteten Raum ohne Fenster. Seine Frau Annabelle, der Hauspastor Mac Hammond und dessen Ehefrau Lynne leisten ihm beim Abendessen Gesellschaft. Es gibt Steak und Kartoffelbrei. Neben der Tür stehen zwei Sicherheitsbeamte.
"Die halten mich für den heimlichen Anführer der NAR", sagt Wallnau. Sein Lächeln ist makellos, die Haut gepudert. Mit der NAR sei es wie mit Bigfoot. "Niemand hat sie je gesehen, es gibt keine Mailingliste." Er lacht und lehnt sich vor, "Ich bin doch ein friedlicher Typ". Linksradikale Medien, wie die Washington Post und die New York Times behaupteten zu Unrecht, er sei der Drahtzieher hinter dem Aufstand am 6. Januar gewesen. "Zu dem Zeitpunkt war ich längst im Hotel", behauptet er. Er sei zur Zielscheibe geworden. "In dem Moment, in dem wir uns in die Politik eingemischt haben, wurden wir plötzlich zum Feind."
Make America Pray Again
Für Trump ist er ein Freund. Weiße Evangelikale, darunter die NAR, machen in den USA rund 13 Prozent der Wählerschaft aus. Vor acht Jahren stimmten davon etwa 77 Prozent für Trump, 2020 sogar 84 Prozent. Auch in diesem Jahr stehen sie hinter dem Republikaner.
Dieser tat sein Übriges, die religiösen Wähler an seiner Seite zu halten. Seit 2020 bezeichnet Trump sich als "konfessionsloser Christ", eine Tradition, die eng mit dem Evangelikalismus verbunden ist. Die Bibel nannte er sein Lieblingsbuch, bevor er im Frühjahr unter dem Slogan "Make America Pray Again" eine Sonderausgabe der Heiligen Schrift veröffentlichte. Nach dem gescheiterten Attentat im Juli stilisierte sich Trump zum Märtyrer: Eine göttliche Intervention habe ihn vor dem Tod bewahrt. Gleichzeitig sprach er sich als Beschützer der Evangelikalen aus, die er vor der Verfolgung durch "Kommunisten, Marxisten und Faschisten" bewahren wolle.
Trump - ein Samson
"Trump sorgt sich um uns", sagt Wallnau im Green Room. Nach der Wahl werde er sich mit ihm treffen, er habe eine klare Forderung: "Die Religion muss vor politischer Verfolgung geschützt werden." Er erhalte Morddrohungen, außerdem sei die Bundessteuerbehörde hinter ihm her.
Sein Vorhaben scheint auf einem guten Weg. "Kennen Sie Kyros?" Wallnau zieht eine Analogie zwischen Trump und dem heidnischen Kaiser, der die Juden aus der babylonischen Gefangenschaft befreite. Er erkenne einen globalen Trend solcher Anführer, sagt er. "So wie Milei in Argentinien oder Bukele in El Salvador." Nach dem Buch Jesaja, Kapitel 45, erwecke Gott diesen Herrscher, diesen "Samson". Dieser habe gewöhnlich Probleme mit Frauen - so wie Trump mit der Pornodarstellerin Stormy Daniels. "Trump ist unser Samson", sagt Wallnau, bevor er aufsteht. Aus den fünf sind 25 Minuten geworden.
Quelle: ntv.de