Ein Tag in Washington Über die Zweifel der Amerikaner und die Bockigkeit des Kanzlers
08.02.2022, 20:04 Uhr
Im Weißen Haus bekam Olaf Scholz nur das Sparprogramm geboten.
(Foto: picture alliance/dpa)
Wenn es die Absicht des Bundeskanzlers gewesen sein sollte, das Deutschlandbild der Amerikaner zu verbessern, dürfte der Antrittsbesuch nicht optimal gelaufen sein. Top-Thema in Washington war die unklare Haltung Berlins zu Nord Stream 2.
Er sagt's nicht. Alle reden darüber, nur nicht Olaf Scholz. Die Wörter Nord Stream 2 kommen dem Bundeskanzler bei seinem Besuch in Washington kein einziges Mal über die Lippen. Der US-Präsident hingegen hat keine Probleme, die Pipeline für erledigt zu erklären, sollte Wladimir Putin auch nur einen Panzer über die Grenze zur Ukraine fahren lassen. "Dann werden wir dem ein Ende setzen", sagt Joe Biden. Scholz dagegen bleibt bei seinem vagen Wording, das er sich schon vor der Reise zurechtgelegt hatte. "Wir sind enge Verbündete und handeln sehr abgestimmt und einheitlich."
Die Pipeline verfolgt Scholz wie ein Schatten während seiner gesamten Washington-Visite. Bei seiner Pulli-Performance vor Journalisten im Flugzeug, der Pressekonferenz mit Joe Biden und auch dem CNN-Interview mit Jake Tapper: Nord Stream 2 ist Top-Thema Nummer 1.
Dabei hat Scholz nach einheitlicher Kommentarlage Respekt dafür verdient, sich ausgerechnet dem Starmoderator des amerikanischen News-Networks live zu stellen. Aber mit dem Ergebnis kann das Kanzleramt kaum zufrieden sein. Nord Stream 2 bleibe der Knackpunkt zwischen Deutschland und den USA, titelt CNN nach dem Interview auf seiner Website. Fragt sich, warum Scholz nicht das Offensichtliche ausspricht und die Beerdigung des Projekts für den Fall der Fälle in Aussicht stellt? Beobachter, die Scholz schon länger kennen, verweisen auf eine gewisse "Grundbockigkeit" des Bundeskanzlers.
Diese Sturheit allerdings hat ihren Preis. Öffentlich gibt Joe Biden auf der gemeinsamen Pressekonferenz den perfekten Gastgeber. Er lobt Scholz und preist die "absolute Zuverlässigkeit" Berlins. Nichtöffentlich nehmen Kenner des White-House-Protokolls zur Kenntnis, dass Scholz nur das Sparprogramm geboten bekommt. Kein gemeinsames Mittagessen, kein jovialer Smalltalk im Oval Office, eine Visite ohne Extras. Scholz könne von Glück sagen, dass die Amerikaner kein Interesse daran haben, den Russen Unstimmigkeiten des Westens vor aller Welt aufzuführen. Dann lieber Harmonie.
Die US-amerikanischen Medien nehmen auf die Außendarstellung keine Rücksicht. Von der liberalen "Washington Post" bis zum konservativen "Wall Street Journal" gibt es eine Meinung: Deutschland gilt als unsicherer Kantonist, auf den man sich in Krisenzeiten nicht verlassen könne. Nicht nur Nord Stream 2 trägt zu dieser Einschätzung bei, auch die 5000 Helme und die Nicht-Lieferung von Waffen an die Ukraine runden das unschöne Gesamtbild ab. Die Bundesregierung hingegen fühlt sich zu Unrecht kritisiert. Scholz selbst verweist in Washington mehrfach auf den hohen Finanztransfer an die Ukraine und die zentrale Rolle Deutschlands in der NATO.
Allein: Scholz' mangelnde Klarheit lässt jede Imagepolitur verblassen. "Wir haben ein Problem", drahtete die deutsche Botschafterin in Washington, Emily Haber, angesichts der miesen Stimmung vor der Reise eilig ins Kanzleramt. Man muss leider feststellen: Habers Sorgen sind geblieben.
Quelle: ntv.de