Politik

Nassehi über Impfskeptiker "Überzeugen ist das schwächste Mittel"

Etwa zehn Millionen Deutsche sind noch ungeimpft.

Etwa zehn Millionen Deutsche sind noch ungeimpft.

(Foto: imago images/NurPhoto)

Omikron ist da, aber noch immer haben zehn Millionen Deutsche keinen Impfschutz. Der renommierte Soziologe und Buchautor Armin Nassehi erklärt im Gespräch mit ntv.de, warum ein guter Slogan jetzt mehr helfen würde als gute Argumente.

Die Omikronwelle rollt. Wie überzeugt man jetzt noch schnell zehn Millionen Menschen von der Impfung?

Es gibt verschiedene Formen, wie wir Menschen dazu bringen, das richtige zu tun. Sie nannten gerade "überzeugen", das ist ein Mittel. Es ist allerdings das schwächste, das es überhaupt gibt. Ein Beispiel: Wir wissen alle, dass wir weniger Fleisch essen sollten, weil zu viel Fleischkonsum für die eigene Gesundheit und das Klima schädlich ist. Aber am liebsten unterhalte ich mich darüber bei einem saftigen Steak, um es mal polemisch zu sagen.

Überzeugungsarbeit bringt so wenig?

Soziologe Armin Nassehi, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, ergründet in seinem neuesten Buch "Unbehagen", wie sich träge Kollektive zu Veränderung motivieren lassen.

Soziologe Armin Nassehi, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, ergründet in seinem neuesten Buch "Unbehagen", wie sich träge Kollektive zu Veränderung motivieren lassen.

(Foto: imago/Future Image)

Aus der Forschung wissen wir ziemlich genau, dass Entscheidungen von Menschen nie so rational getroffen werden, wie unsere Modelle das nahelegen, es sind eben Modelle. Der Königsweg des Entscheidens wäre: "Hier sind drei positive und drei negative Argumente. Jetzt wäge ich mal ab, was ich tue." Das machen wir aber so explizit in fast keinem Lebensbereich. Und es ist aus einem weiteren Grund ein zweischneidiges Schwert, so viel Überzeugungsarbeit leisten zu müssen: Weil jeder positive Satz wieder einen Gegen-Satz provoziert. Deshalb hoffe ich, dass die Covid-Impfung zu einer erwartbaren Normalität werden kann - was gerade natürlich schwierig ist, weil das Thema hoch emotionalisiert ist und auch für ganz andere politische Fragen instrumentalisiert wird.

Menschen verhalten sich richtig, nur weil das richtige Verhalten normal ist?

Aus Gewohnheit, ja. Das ist die zweite, viel effektivere Form, richtiges Verhalten zu erzeugen. Man muss sogenannte Opportunitätsstrukturen einrichten, in denen das richtige Verhalten wahrscheinlicher wird. Zum Beispiel: Schweden fährt eine Strategie, Verkehrstote ganz zu vermeiden. Nicht primär, indem man Autofahrer über Gefahren aufklärt, sondern indem man die Straßen so baut, dass man sich gar nicht mehr totfahren kann - mit Einrichtungen in der Straßenmitte, durch die Autos nicht mehr auf die Gegenfahrbahn geraten können.

Wie übertragen wir die schwedische Verkehrspolitik aufs deutsche Impfen?

Wenn wir wissen, dass wir selten eine Entscheidung treffen, weil wir zuvor die besten Gründe abgewogen haben, sondern aus Gewohnheit, dann muss sich die Impfkampagne daran orientieren. In Israel sind die Impfteams in die Bars gegangen und haben geimpft. In Köln hat man begonnen, in die Quartiere zu fahren, um zu impfen. Solche Kampagnen braucht man. Wenn ich mich daran erinnere, wie ich selbst als Kind gegen Polio geimpft worden bin…

…. Ich auch! "Kinderlähmung ist grausam, Schluckimpfung ist süß".

Das war der Slogan und die Impfung wurde in der Schule automatisch, gewohnheitsmäßig erledigt, als Schluckimpfung in der Pause. Worauf ich hinaus will, ist: Man brauchte damals mehr Reflexion, um sich nicht impfen zu lassen, als nötig war, um sich impfen zu lassen. Im Moment ist es aber umgekehrt: Die Leute benötigen mehr Reflexion für die Impfung. Sie müssen sich einen Termin besorgen, irgendwo hingehen, dann ist der Impfstoff womöglich knapp. Wenn die Leute es aber sehr leicht haben, an die Impfung zu kommen, werden auch die Quoten steigen.

Weil wir alle so träge sind?

Unsere ganzen Lebensweisen sind darauf geeicht, dass wir möglichst nichts ändern, ja. Und das ist natürlich auch ein bisschen demütigend, was ich sage, weil es dem Bild jenes autonomen und kompetenten Menschen widerspricht, als den wir uns gerne beschreiben.

Gut, wir haben jetzt Überzeugung und Gewohnheit. Welche Möglichkeiten gibt es noch?

Die dritte Form ist das Modell-Lernen. Je mehr Leute in meinem Umfeld Dinge tun, desto eher mache ich das auch. Wir sind eigentlich Imitatoren, in fast allem. Gerade jetzt imitiere ich auch einen bestimmten Habitus, der von Interviewpartnern erwartet wird.

Sie antworten auf meine Fragen.

Das habe ich ja nicht selbst erfunden. Das ist gelernt und geübt. Dann gibt es noch eine vierte Form, das ist die Konsumförmigkeit. Viele unserer Dinge erscheinen uns eher ästhetisch plausibel, darum kaufen wir so vieles, was kein Mensch braucht. Mein Plädoyer ist nun nicht, mehr zu konsumieren, aber diese Logik in Anspruch zu nehmen und zu sagen: Können wir nicht auch die Impfaufklärung stärker ästhetisieren? Die Kampagne großer Unternehmen aus dem Dezember, die ihre Slogans aufs Impfen ummünzten, geht etwa in die Richtung.

Sie meinen "Aus Freude am Impfen", "Impfen - yes, yes, yes", "Wir lieben Impfen" ….

Genau, die war ein sehr guter erster Schritt, spielerisch damit umzugehen. Wir leben doch in einer Kultur, in der wir die spielerischen Formen, die ästhetisiert sind, viel überzeugender finden, als irgendeinen Professor, der uns erklärt, dass wir statistisch gesehen abwägen können, dass die Nebenwirkungen der Impfung geringer sind, als es bei vielen anderen Formen des Risiko-Managements der Fall ist.

Überzeugung, Gewohnheit, Modell-Lernen, Konsumförmigkeit - wäre bei so vielen Motiven fürs Impfen eine mögliche Pflicht zur Impfung überhaupt sinnvoll, aus soziologischer Sicht?

Für Menschen, die im Moment noch zaudern, sich impfen zu lassen, kann die Impfpflicht eine entlastende Funktion haben. Weil das eine Pflicht ist, und das kennen wir alle: Wer auf der Autobahn fährt, und da steht plötzlich "100", der fährt dann vielleicht 110, braucht aber im Moment keine genauere explizite Begründung dafür. Wenn da nichts steht, fährt er 130 oder noch schneller.

Nun ist ein Tempolimit natürlich ein schwächerer Eingriff in meine Persönlichkeitsrechte als eine Impfung.

Schon, aber unsere Motivationsstrukturen funktionieren so, und eine Pflicht hilft mir, mich von meinen eigenen Motiven unabhängiger zu machen und womöglich mein Gesicht zu wahren, indem ich die Dinge an die Pflicht auslagern kann. Da können wir auch ein bisschen auf die konventionelle Haltung setzen, aus der heraus Menschen sagen "ich halte mich an die Regeln". Wir sollten uns von dem Gedanken verabschieden, dass jeder, der sich nicht hat impfen lassen, ein militanter Querdenker ist. Ungeimpfte zu beschimpfen oder verächtlich zu machen, dürfte eher kontraproduktiv sein. Den Druck auf Ungeimpfte dadurch zu erhöhen, dass ihnen der Zugang zu bestimmten Bereichen erschwert wird, ist eine eher indirekte Form der Intervention, die auf moralische Anklage verzichtet.

Wie riskant ist der Protest, den Deutschland nun an so vielen Orten erlebt, für den Zusammenhalt in der Gesellschaft?

Zunächst ist Protest gar keine Gefahr, sondern ein demokratisches Recht. Das muss man betonen: Nicht jeder Protest ist schlecht. Was wir allerdings derzeit erleben, ist ein Protest, der die Integrität staatlicher Akteure prinzipiell in Frage stellt. Das ist das Gefährliche daran, und das Ausfransen an den Rändern in Richtung Gewaltbereitschaft. Wenn man an den Mob weniger Leute denkt, die mit Fackeln das Haus der sächsischen Gesundheitsministerin belagerten, sind das die Extremformen solcher illegitimen Protestformen, die wir erleben.

Wird das Extreme noch zunehmen?

Es ist in der Diskussion schon der Begriff "Covid-RAF" gefallen. Das kennen wir, dass aus größeren Protestbewegungen Gewalt entsteht, und zwar eigentlich erst dann, wenn man feststellt, dass die Bewegung selbst keine große Resonanz in der Gesellschaft erzeugt.

Zum Beispiel, wenn man über Monate gegen die Maskenpflicht protestiert hat, aber feststellen muss, dass sie einfach bestehen bleibt?

Dann ist Gewalt ein Mittel, das simulieren kann, Wirkung zu haben. Wer Gewalt ausübt, hat ja eine gewisse unmittelbare Wirkung und Sichtbarkeit, zeigt aber gleichzeitig schon, dass er die Macht verloren hat. Die RAF ist entstanden, als sich die Studentenbewegung so in die Gesellschaft integriert hatte, dass extreme Anhänger enttäuscht waren. Pegida ist entstanden, als man festgestellt hat, dass der übliche migrationsskeptische Protest nicht das erreichte, was man sich erhofft hatte. Das werden wir in der Pandemie nun auch sehen, und da ist der Verfassungsschutz gefragt.

Viele befürchten, eine Impfpflicht könne Deutschland "zerreißen" - so hat es Jens Spahn mal formuliert.

Wir tun in Veröffentlichungen immer so, als hätten wir eine polarisierte Gesellschaft, in der sich zwei große Lager gegenüberstehen - Impf- und Lockdownbefürworter gegen Freiheitskämpfer, oder wie auch immer sie sich beschreiben. Faktisch ist das nicht der Fall: Während der gesamten Pandemie waren die Zustimmungsraten zu den Maßnahmen höher als der Mut der Politik, diese auch durchzusetzen. Ein merkwürdiger Effekt dieser Polarisierungsthese ist übrigens, dass sie eine ernsthafte Auseinandersetzung über die Angemessenheit von Maßnahmen und über Alternativen eher erschwert als ermöglicht.

Mit Armin Nassehi sprach Frauke Niemeyer

Quelle: ntv.de

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