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Pflicht steht auf der Kippe Ampel-Regierung verbaselt die Impfpflicht

Gegen eine Impfpflicht formiert sich vielerorts Widerstand.

Gegen eine Impfpflicht formiert sich vielerorts Widerstand.

(Foto: imago images/Martin Müller)

Vor ein paar Wochen stehen plötzlich alle Zeichen auf Impfpflicht. Doch nun droht das Vorhaben der neuen Bundesregierung zu scheitern. Die Ampel verschenkt wertvolle Zeit.

Spätestens als FDP-Chef Christian Lindner die Kehrtwende vollzog und Zustimmung signalisierte, schien die Sache klar: Deutschland führt doch noch eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus ein. Auch der Ethikrat hatte im November seine Meinung geändert und plötzlich damit geliebäugelt, vor allem aber Politiker aus allen Lagern. Der obligatorische Piks schien nur noch eine Frage der Zeit.

Doch plötzlich steht die Impfpflicht wieder in Frage. Die kurzzeitig "verirrten" Liberalen erinnern sich an ihren Markenkern: die Freiheit, die in ihren Augen sogar über der Gesundheit steht. FDP-Vize Wolfgang Kubicki vereint immer mehr Gegner einer Impfpflicht hinter sich. Omikron hat die Karten vermeintlich neu gemischt - weil sich die Ampel-Regierung zu lange Zeit lässt. Sie sollte die Impfpflicht nun möglichst schnell auf den Weg bringen, statt weitere wertvolle Wochen zu verschenken.

Zahlreiche Argumente scheinen nun wieder gegen eine Verpflichtung aller Bürger zu sprechen: Auch Geimpfte übertragen die Omikron-Variante, die außerdem nach aktuellem Stand zu weniger schweren Verläufen führt. Juristisch wird eine Pflicht dadurch wieder schwieriger, abschließende Erkenntnisse zur Gefährlichkeit der Mutante fehlen allerdings noch. Womöglich werden zudem regelmäßige Auffrischimpfungen nach nur wenigen Monaten nötig. Dabei scheiterte das sonst so gut organisierte Deutschland schon an den ersten Spritzen für alle. Und wer sollte all die Pflicht-Pikse wie kontrollieren?

Scholz sollte Machtwort sprechen

Vor allem bleibt eine Impfpflicht ein schwerwiegender Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. So spricht sich der Ethikrat auch nicht einstimmig für eine allgemeine Pflicht aus, nur 13 der 24 Mitglieder sind dafür; 7 würden eine Verpflichtung nur für besonders Verwundbare wie Ältere und Vorerkrankte bevorzugen, 4 lehnen eine Pflicht generell ab.

Aus gutem Grund waren also die Bedenken bei Politikern wie Experten lange Zeit groß. Als sich der Wind schließlich drehte, machte die neue Regierung den typisch deutschen "Fehler": Die nun doch gewünschte Pflicht sollte in Ruhe mit aller Gründlichkeit ausdiskutiert werden. Dieser Ansatz ist für unser Land mit seiner Geschichte grundsätzlich völlig richtig - hilft in einer Pandemie aber nur bedingt weiter. Niemand sollte sich einen autoritären Staat zurückwünschen, in dieser Ausnahmesituation wäre aber mehr Tempo gefragt gewesen, wie zum Beispiel in Österreich.

Ende März haben sich die Ampel-Koalitionäre nun als verspätetes Ziel für eine Entscheidung gesetzt. Die Abgeordneten sind jedoch vom Fraktionszwang befreit, arbeiten an parteiübergreifenden Anträgen, die sie mit ihrem Gewissen vereinbaren können. Das könnte länger dauern als geplant - und die Mehrheiten wieder zugunsten der Gegner einer Impfpflicht verschieben. Um das zu verhindern, sollte Kanzler Olaf Scholz einen eigenen Vorschlag vorlegen, statt die Entscheidung ans Parlament zu delegieren.

Nur die Skeptiker bestätigt

Eine Impfpflicht zu Beginn der Pandemie abzulehnen, war richtig, zu viele Fragen waren damals ungeklärt. Richtig war allerdings auch die Kehrtwende in den vergangenen Monaten. Denn die Impfquote in Deutschland ist einfach zu niedrig, um sich aus dem Krisenmodus zu befreien. Wir können es uns nicht leisten, dass dieser zum Dauerzustand wird. Der finanzielle Schaden lässt sich nicht ewig abfedern, außerdem stehen wir längst vor einem gesellschaftlichen Scherbenhaufen. Ganzen Generationen und Bevölkerungsgruppen drohen nachhaltige psychologische Schäden genauso wie Bildungslücken, die gerade bei den Schwächsten ganze Biografien zerstören können.

Sollte die Impfpflicht nun scheitern, erreicht die neue Regierung das Gegenteil ihres Ziels, die Impfquote zu erhöhen: Die Skeptiker wurden in ihrer Ablehnung sogar bestärkt. Anhänger von Verschwörungstheorien hatten von Anfang an mit einer Pflicht gerechnet, obwohl die Vorgänger-Regierung gebetsmühlenartig betonte, diese werde es nicht geben. Am Ende durften sie sich leider bestätigt fühlen. Die Ablehnung von Staat und Corona-Maßnahmen wurde dadurch bestimmt weiter verstärkt, statt Impfgegner doch noch zu einer freiwilligen Impfung zu animieren.

Ohne allgemeine Pflicht könnten sich noch nicht einmal die Impfgegner damit rausreden, die ihre ablehnende Haltung inzwischen geändert haben. Um bei der Pandemie-Bekämpfung echte Erfolge vorweisen zu können, hätte die neue Bundesregierung schneller Nägel mit Köpfen machen müssen. Bleibt zu hoffen, dass die verpasste Chance kein Vorgeschmack auf künftige Entscheidungsprozesse des Dreierbündnisses ist.

Quelle: ntv.de

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