Politik

Klimadiskussion bei Anne Will "Unsere Regierung bricht gerade das Grundgesetz"

Bundesjustizminister Buschmann sagt der Klimaaktivistin Hinrichs: "Sie müssen sich an Recht und Gesetz halten". Diese sieht wiederum ihre Rechte aus dem Grundgesetz getreten.

Bundesjustizminister Buschmann sagt der Klimaaktivistin Hinrichs: "Sie müssen sich an Recht und Gesetz halten". Diese sieht wiederum ihre Rechte aus dem Grundgesetz getreten.

(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)

Die Klimaaktivisten der Letzten Generation planen für den heutigen Montag erneute Aktionen im Raum Berlin. Das kündigt ihre Sprecherin Carla Hinrichs am Vorabend in der ARD-Talkshow von Anne Will an. Bei den Gästen der Sendung stoßen die Aktionen der Aktivisten auf geteiltes Echo.

Man kann es nicht anders sagen: Die Aktionen der Letzten Generation haben erste Wirkungen erreicht. Es wird wieder über die Klimakrise geredet. Und es ist das dritte Mal in den letzten zwei Wochen, dass Aktivistinnen der Gruppe die Chance bekommen, in einer Talkshow ihre Interessen zu vertreten. Am Sonntagabend ist Carla Hinrichs zu Gast bei Anne Will im Ersten. Die junge Frau studiert eigentlich Jura, hat aber eine Pause eingelegt - der Kampf fürs Klima geht vor. Dafür blockiert sie Autobahnen rund um Berlin, klebt sich mit Sekundenkleber auf der Straße fest. Das Ziel der "Letzten Generation": Gegen die Klimakatastrophe kämpfen und dabei auffallen. Die Aktivistinnen und Aktivisten wüssten sich nicht anders zu helfen, sagt Hinrichs während der Sendung - und fordert die Gäste auf, ihr andere Protestmöglichkeiten aufzuzeigen. Die stellvertretende Bundestagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt von den Grünen tut das: Die Aktionen auf freie Felder verlagern, auf denen eigentlich Windkraftanlagen stehen sollten. "Das würde nichts bewirken", entgegnet Hinrichs etwas kleinlaut.

Was die "Letzte Generation" eigentlich erreichen will, sind zunächst zwei Punkte: die Wiedereinführung des Neun-Euro-Tickets und eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 100 Kilometer pro Stunde auf Autobahnen. Dagegen ist vor allem die FDP. Bundesjustizminister Marco Buschmann gehört der Partei an. Er erklärt, aktuell gehe es darum, den Gasverbrauch zu senken. "Und die Fahrzeuge mit Gasversorgung auf der Straße sind überschaubar." Zudem seien die CO2-Einsparungen bei derartigen Geschwindigkeitsbeschränkungen überschaubar. "Und sollen wir wirklich dem Betriebsleiter, der spät am Abend nach Hause fährt, sagen, Du darfst nur Tempo hundert fahren, obwohl die Autobahn total leer ist?"

Katrin Göring-Eckardt versteht zwar die Forderungen der Letzten Generation, ihre Aktionen hält sie jedoch für unverhältnismäßig. "Ich denke, die Diskussion zieht wahnsinnig viel Energie weg vom eigentlichen Thema." Viel wichtiger sollte es eigentlich sein, über das "Nicht-Ergebnis" der am Sonntag zu Ende gegangenen Klimakonferenz in Ägypten zu sprechen. Dort hatten sich die Teilnehmer erneut nicht auf Maßnahmen zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels geeinigt. Stattdessen war ein Fond beschlossen worden, der Länder auf der südlichen Erdhalbkugel bei der Bewältigung ihrer Klimaprobleme finanziell unterstützen soll.

"Mein Recht auf Leben steht in der Verfassung"

In einem Punkt unterstützt Göring-Eckardt die Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation: "Es gibt ein Verfassungsgerichtsurteil, das sagt uns ganz klar: Die Nicht-Einhaltung des 1,5-Grad-Zieles ist verfassungsfeindlich, weil sie die Zukunft der kommenden Generationen nicht berücksichtigt. Und wenn wir über die Frage von Recht und Gesetz reden, das wir einhalten müssen, dann geht es um jedes nicht gebaute Windrad, um jedes Dach ohne Solaranlage und um jeden Beamten, der eine Genehmigung erteilen muss und zu langsam arbeitet."

"Die Demokratie ist eine der größten Errungenschaften unserer Zeit", sagt Hinrichs. Aber die Klimakatastrophe sei ein Unrecht. Um darauf aufmerksam zu machen, nutze sie die Privilegien, die aus der Demokratie kämen. "Die Bundesregierung bricht gerade das Grundgesetz", wirft sie Justizminister Buschmann vor: "Mein Recht auf Leben steht in der Verfassung."

Für Hinrichs gibt es noch einen anderen Grund für ihre Aktionen: "Das Zeitfenster schließt sich. Wir können nicht irgendwann mal handeln. Wir rasen in die Katastrophe. Da ist es unsere moralische Pflicht, alle friedlichen Mittel auszunutzen. Und das ist auch der friedliche Widerstand."

Für Buschmann und den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann haben die Aktionen der Letzten Generation mit Frieden nicht allzu viel zu tun. "Wir leben in einer Demokratie. Da geht man nicht los und setzt die eigenen Anliegen gegen Recht und Gesetz durch. Und in der Demokratie versucht man nicht, Regierung und Parlamente zu erpressen, indem man mit weiteren Straftaten drohe, wenn die eigenen Bedingungen nicht erfüllt werden", so Buschmann. Was denn passieren würde, wenn Querdenker und Reichsbürger ihre Forderungen in den letzten Jahren auf die gleiche Weise umzusetzen versucht hätten, fragt er. Und Joachim Herrmann bezweifelt, dass zum Beispiel das Bewerfen von Kunstwerken mit Lebensmitteln dem Klimaschutz helfen könne.

"Wir rasen in einen Klimakollaps"

Klar ist für Göring-Eckardt, Hinrichs und die Zeit-Journalistin Petra Pinzler das Hauptproblem in Deutschland: Die Umstellung der Versorgung mit erneuerbarer Energie dauert zu lange. Ein Einspielfilm zeigt das überdeutlich: In der ganzen Bundesrepublik sind dieses Jahr 397 Windkraftanlagen in Betrieb gegangen. Um Klimaneutralität bis 2045 zu schaffen, hätten es 1500 sein müssen. In Bayern sind in den ersten neun Monaten 2022 gerade mal zehn Windkraftanlagen hochgefahren worden. "Sie haben in den letzten Jahren nichts getan. Sie tun erst jetzt was, weil der grüne Wirtschaftsminister Sie dazu zwingt", wirft Pinzler dem bayerischen Innenminister vor. "Wir sind uns dessen bewusst, dass wir schneller werden müssen", antwortet der - und verweist auf Hunderte Anlagen, die demnächst in Bayern aufgebaut werden sollen.

Der Klimaaktivistin geht die Umsetzung von Herrmanns Ankündigungen nicht schnell genug. "Wir rasen in einen Klimakollaps. Da ist es nicht damit getan, etwas in der nächsten Zeit anzupacken. Da geht es um Maßnahmen, die es heute und morgen und in dieser Regierung braucht", sagt sie.

Die Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation werden sich weiter auf Autobahnen festkleben. Auch am heutigen Montag wieder. Auch wenn sie dafür ins Gefängnis müssen - wie in Bayern, wo aktuell noch 13 Aktivisten eine Präventionshaft verbüßen. "Warum machen Sie sie mundtot?", fragt Hinrichs den bayerischen Innenminister. Im Gefängnis sitzen die Aktivisten laut Herrmann, weil sie zugegeben haben, nach ihrer Freilassung weitere Straftaten zu begehen. Möglich macht dies ein Polizeiaufgabengesetz, das seit vier Jahren im Freistaat gilt. Ursprünglich wurde es zur Abwehr von Terroristen beschlossen.

Quelle: ntv.de

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