Politik

Russlandtalk bei Illner Varwick: "Wir sollten mit Russland umgehen, wie es ist"

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Varwick - hier bei einem Auftritt bei Maischberger - will der Ukraine "helfen, dass sie sich als souveräner Staat behauptet". Allerdings nicht mit Waffen.

Varwick - hier bei einem Auftritt bei Maischberger - will der Ukraine "helfen, dass sie sich als souveräner Staat behauptet". Allerdings nicht mit Waffen.

(Foto: picture alliance / SULUPRESS.DE)

Nach der gescheiterten Wagner-Rebellion sind viele Fragen offen. Unter anderem, ob Putin jetzt noch fester im Sattel sitzt oder vielmehr angeschlagen ist. Der Politologe Varwick tendiert zu Ersterem und fordert bei Maybrit Illner einmal mehr schnelle Friedensverhandlungen.

War es ein Putsch, eine Meuterei oder ein Protestmarsch? Was es auch war, das sich am vergangenen Samstag in Russland abgespielt hat: Am Ende ist es gescheitert. Vieles deutet darauf hin, dass in Moskau das Köpferollen bereits begonnen hat. So könnte der russische Top-General Sergej Surowikin festgenommen worden sein. Laut Medieninformationen wusste er von den Aufstandsplänen des Chefs der Wagner-Armee, Jewgeni Prigoschin. Auch ZDF-Auslandskorrespondentin Katrin Eigendorf, die längere Zeit aus der Ukraine berichtet hat, geht davon aus, dass der russische Präsident Wladimir Putin nach dem gescheiterten Aufstand eine Säuberungswelle vom Zaun brechen könnte. "Dass Surowikin festgenommen worden ist, hatten viele erwartet", sagt sie bei Maybrit Illner im ZDF.

Militärexperte Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr in München stellte fest: Prigoschin ist mit seinem Aufstand gescheitert. "Er hat gemerkt, dass sich niemand dezidiert auf seine Seite gestellt hat. Auf Putins Seite stand aber auch niemand", sagte er. So habe der Sicherheitsrat in Russland am Samstag nicht funktioniert. "Es sah chaotisch aus, und das war es auch", analysiert Sauer. Prigoschin habe die Meuterei lange vorher geplant, ist er sich sicher. Dabei beruft er sich auch auf Erkenntnisse amerikanischer Nachrichtendienste. Prigoschin habe gehofft, in Rostow den russischen Generalstabschef Gerasimow zu stellen. Damit sei er gescheitert, und er habe seine Söldner in Richtung Moskau fahren lassen. Sauer spricht von einem "Putsch aus Versehen".

Putins Loyalitätsverlust

Putin habe einen Loyalitätsverlust erlitten, ist sich auch Osteuropa-Historikerin Franziska Davies sicher. Das müsse aber nicht bedeuten, dass das russische Regierungssystem implodieren werde. Immerhin sei auch während des Aufstands in Russland der Krieg in der Ukraine unvermindert weitergegangen.

Über die Reaktionen in Deutschland auf den Putsch wundert sich Politologe Johannes Varwick von der Uni Halle. Er sagt, in Deutschland habe es zwei Lager gegeben. Eines habe sich Chaos in Russland gewünscht, in der Hoffnung, dann ginge der Krieg in der Ukraine schneller zu Ende, das zweite Lager habe mit Sorge auf die Entwicklung in Russland geblickt. Zu diesem Lager habe auch er gehört. Varwicks Bewertung: "Für den Moment hat Putin diesen Machtkampf gewonnen." Überhaupt solle man sich von der Hoffnung verabschieden, dass nach einem möglichen Sturz des russischen Präsidenten etwas Besseres käme. Varwick: "Wir sollten mit Russland umgehen, wie es ist, und wir sollten uns darauf einstellen, dass Putin erst einmal derjenige ist, der als Verhandlungspartner in Frage kommen muss."

SPD-Außenpolitiker Michael Roth widersprach: "Niemand hat gewonnen, Putin schon gar nicht." Der Kremlchef "stand einen Augenblick als Kaiser nackt da. Wir müssen uns nur einen Augenblick in eine Diktatur hineinversetzen. Eine Diktatur lebt davon, dass es einen gibt, der alles unter Kontrolle hat. Und es gab einen absoluten Kontrollverlust, für einen Diktator ein absoluter Super-GAU." Putin habe seinem Volk Sicherheit und Ordnung versprochen, und das Versprechen sei am Wochenende brüchig geworden. Roth befürchtet, Putin werde die Stalinisierung im Innern fortsetzen und mit unverminderter Härte auf die Ukraine einschlagen. "Putin braucht jetzt Erfolge, um deutlich zu machen, dass er wieder da ist."

Keine akute Gefahr durch Atomwaffen

Die US-Regierung habe sich am Wochenende vor allem darüber Sorgen gemacht, dass in Russland die Regierungsstrukturen zusammenbrechen und die Kontrolle über die Nuklearwaffen verloren gehen könnten, sagt US-Generalleutnant a. D. Ben Hodges. Hier beruhigte Sauer. Er hat sich im Rahmen seiner Forschungsarbeiten mit Atomwaffen befasst und erklärte: "Es gibt in Russland zwölf Lager für substrategische Waffen. Selbst eine so große Truppe wie die Wagner-Armee kann da nicht einfach hineinfahren und die Waffen benutzen. Die sind deaktiviert. Man muss zuerst die Elektrik aktivieren, eine Neutronenquelle einführen usw." Einen roten Knopf, den man zum Aktivieren drücken müsse, gebe es nicht. "So eine Waffe hat eine Sensorik, die schaut, ob es Sinn macht zu explodieren, ohne dass die Waffe überhaupt geflogen ist." Diese Gefahr sei nicht besonders groß gewesen, so Sauer.

Ein weiteres wichtiges Thema bei Illner war die Frage, ob ein Ende des Krieges nach dem Aufstand in Moskau näher gerückt ist. Varwick spricht sich einmal mehr indirekt für einen Lieferstopp von Waffen an die Ukraine aus. "Wir sollten nicht in eine weitere Eskalation mit Russland geraten, und wir müssen vor allem der Ukraine helfen, dass sie sich als souveräner Staat behauptet, aber auch nicht immer mehr kaputtgeht." Varwick hat sich schon des Öfteren für einen Stopp von Waffenlieferungen ausgesprochen. "Die Strategie des Westens ist nicht erfolgreich, die Ukraine geht vor die Hunde", sagte er auch bei Illner. Er ist für schnelle Friedensverhandlungen, auch wenn die Ukraine dabei einen Teil ihres Territoriums einbüßen würde.

Das sehen die anderen Gäste völlig anders. Roth von der SPD hält Varwick entgegen: "Die Menschen in der Ukraine haben sich als mutig erwiesen. Wir müssen die Ukraine noch mehr unterstützen, damit sie sich gegen die russische Brutalität behaupten kann. Wir haben gesehen: Putin ist schlagbar, aber nur, wenn wir die ukrainische Seite weiter unterstützen. Dann könnte es möglicherweise sogar mit Putin zu Verhandlungen kommen. Das könnte das Ende dieses furchtbaren Krieges sein."

Quelle: ntv.de

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