Hofreiter zum Kölner Polizeieinsatz Warum haben Grüne Peter nicht verteidigt?
04.01.2017, 18:17 Uhr
Parteichefin Peter und Fraktionschef Hofreiter gehören dem linken Flügel der Grünen an.
(Foto: picture alliance / dpa)
Grünen-Fraktionschef Hofreiter äußert sich zum Polizeieinsatz in Köln. Von Racial Profiling könne keine Rede sein. Parteichefin Peter nimmt er nach dem heftigen Shitstorm nun trotzdem in Schutz.
n-tv.de: Für den Einsatz der Kölner Polizei gab es nicht nur Lob. Kritikern zufolge wurden Personen aufgrund ihrer vermuteten Abstammung kontrolliert oder festgehalten. Besteht ein Konflikt zu Artikel 3 des Grundgesetzes, über den gesprochen werden muss?
Anton Hofreiter: Nach Köln reisten mehrere größere Gruppen von jüngeren Männern mit vermuteter nordafrikanischer Herkunft, die sich bereits während der Fahrt wie auch bei ihrer Ankunft im Bahnhof aggressiv verhielten. Das reicht aus für Kontrollen. Alles andere wäre fahrlässig.
Die meisten Befürworter des Polizeieinsatzes verlassen sich auf die Verlautbarung der Polizei, dass sie kein Racial Profiling betrieben habe. Kann man den Vorwurf auf dieser Grundlage so einfach wegwischen?
Auch die anfängliche, etwas unglückliche Kommunikation der Kölner Polizei hat dazu beigetragen, dass die Diskussion eine Schieflage erhalten hat. Wenn mehrere Kriterien für eine Kontrolle erfüllt sind, dann lässt sich nicht mehr von Racial Profiling oder Rassismus sprechen.
Fürchten Sie unabhängig davon, dass Racial Profiling salonfähig wird?
Racial Profiling ist mit unserer Rechtslage nicht vereinbar und darf auch nicht salonfähig gemacht werden. Ich finde es erschreckend, dass in der derzeitigen Debatte die Grenzen des Respekts und Anstandes immer weiter absinken. Das darf nicht dazu führen, dass grundlegende Positionen für unser gesellschaftliches Zusammenleben über den Haufen geworfen werden.
Ihre Parteichefin Simone Peter hat den Polizei-Einsatz zunächst infrage gestellt. Sie ist heftiger Kritik auch aus den eigenen Reihen ausgesetzt. Warum haben ihr so wenige Grüne den Rücken gestärkt?
Auch Simone Peter hat sich bei der Kölner Polizei für ihren Einsatz bedankt. Und sie hat den entstandenen Eindruck nachkorrigiert. Übrigens haben sehr viele Grüne und Vertreter der Zivilgesellschaft ihr Entsetzen formuliert über die völlig aus dem Ruder gelaufenen Hassmails an Simone Peter.
Selbst von ihrem linken Flügel wurde Peter bisher kaum öffentlichkeitswirksam in Schutz genommen. Hat die AfD gewonnen, wenn der Vorwurf möglicher kollektiver Zuschreibungen im Raum steht, und die Grünen Debatten dazu nicht ermutigen?
Für die Grünen ist und bleibt Rassismus ein zentrales Problem. Gerade in einer Zeit, in der der Rechtspopulismus immer weiter erstarkt, ist es existenziell für unsere offene Gesellschaft, gegen Diskriminierung einzutreten und zu kämpfen.
Das Thema Innere Sicherheit könnte den Bundestagswahlkampf bestimmen. Die Palette der geplanten Maßnahmen reicht je nach Partei von mehr Videoüberwachung über Fußfesseln bis zur präventiven Festnahme von Gefährdern. Worauf setzen Sie?
Seit elf Jahren liegt die Zuständigkeit für die Innere Sicherheit bei der Union. Es hat in dieser Zeit einen erheblichen Stellenabbau bei der Bundespolizei gegeben, der die Strukturen geschwächt hat. Die europäische Vernetzung der Sicherheitsarchitektur wurde von der Bundesregierung unterschätzt. Die Zusammenarbeit zwischen Behörden liegt weit unter ihren Möglichkeiten. Die Polizei muss nun personell und finanziell erst einmal in die Lage versetzt werden, dass sie ihre Aufgaben bei der Gefahrenabwehr überhaupt erfüllen kann. Zudem braucht es bei der Terrorismusbekämpfung eine klare Zuständigkeitspriorität der Polizei. Das momentane, oftmals ineffektive Nebeneinander und Zuständigkeitswirrwarr von Nachrichtendiensten und Polizei muss aufhören. Menschen, die aus gutem Grund im Visier der Sicherheitsbehörden sind, sollten von der Polizei engmaschig überwacht werden. Das kostet zwar Geld, stärkt aber die Polizei und bringt konkret mehr Sicherheit. Forderungen nach immer mehr Massenüberwachung und Bundeswehreinsätzen im Inneren sind nur Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten und bringen nicht mehr Sicherheit.
Einige Parteien, insbesondere AfD und CSU, verknüpfen das Thema Sicherheit direkt mit der Flüchtlingspolitik: Es ist von effizienteren Abschiebungen die Rede, von schärferen Grenzkontrollen und Push-Backs von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer. Wofür stehen die Grünen?
Flüchtlingspolitik und das Thema innere Sicherheit sollten nicht vermengt werden. Wir Grüne stehen für eine humane und solidarische Flüchtlingspolitik. Abschottung und Abschreckung sind keine Lösung. Denn damit wird einfach nur versucht, die Realität zu ignorieren. Es braucht eine Einigung zwischen den EU-Staaten im Kampf um ein neues europäisches Asylsystem. Das Dublin-System muss durch einen funktionierenden Mechanismus ersetzt werden, der gerecht und verbindlich verteilt und nicht zu Lasten weniger Länder geht. Auch in Deutschland muss noch viel passieren. Denn die Union versucht Integration zu verhindern und auch die Asylverfahren dauern noch immer zu lange. Die Länder und Kommunen benötigen ausreichend finanzielle Unterstützung, um ihre Aufgaben zu erfüllen.
Werden die Grünen im Wahljahr 2017 von ihrem Nein zur geplanten Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien zu sicheren Herkunftsstaaten abrücken? Der grüne Ministerpräsident aus Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, hat sich in der "Rheinischen Post" gerade erneut für diese Einstufung ausgesprochen.
Wir werden weiterhin an unserer Position festhalten. Die Einordnung von Ländern als "sichere Herkunftsstaaten" führt gerade nicht zu schnelleren Abschiebungen, wie von der Union gerne behauptet. Es ist eine reine Symbolpolitik. Zudem ist es anlässlich der Menschenrechtslage in diesen Ländern zynisch, sie pauschal als "sicher" zu bezeichnen. Tatsächlich fehlen schnell funktionierende Rücknahmeabkommen mit nordafrikanischen Staaten wie Tunesien.
Sie kandidieren als Spitzenkandidat für die Bundestagswahl. Sind Themen wie Innere Sicherheit und Asylpolitik Felder, auf denen sie sich von ihren Mitstreitern Cem Özdemir und Robert Habeck absetzen können?
Wir haben in diesen Themenfeldern kaum Differenzen. Mir ist wichtig, dass die Innere Sicherheit nicht gegen Bürgerrechte ausgespielt wird. Und dass die Sicherheitsbehörden personell ausreichend ausgestattet sind, denn es nutzt nichts, immer neue Gesetze aufzulegen, die in der Realität nicht umgesetzt werden.
Haben die jüngsten Debatten über Sicherheit und Asylpolitik Auswirkung auf die Koalitionsfähigkeit der Grünen?
Mit einer CSU, die der AfD hinterherläuft, kann ich mir schwer eine Koalition vorstellen. Wir setzen auf Eigenständigkeit. Nach dem Wahlabend werden wir dann sehen, mit wem eine Koalition überhaupt rechnerisch und inhaltlich möglich ist.
Mit Anton Hofreiter sprach Issio Ehrich
Quelle: ntv.de