"Zerstörerischer als erwartet" Weltklimarat: Hälfte der Menschheit "hochgradig gefährdet"
28.02.2022, 14:59 Uhr
Extremwetter wie zurzeit in Australien werden den Klimaexperten zufolge weiter zunehmen.
(Foto: picture alliance/dpa/AAP)
Extreme Dürren, heftige Regenfälle und Überschwemmungen, Waldsterben und Wirbelstürme: Der Weltklimarat warnt in einem Bericht eindringlich vor den Folgen des Klimawandels, der die Erde unbewohnbar machen könnte - selbst wenn das 1,5-Grad-Ziel eingehalten werden sollte.
Die Erderhitzung hat die Natur nach dem neuen Bericht des Weltklimarats (IPCC) bereits gefährlich verändert und Milliarden Menschen leiden immer stärker darunter. 3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen seien durch ihre Lebensumstände bereits besonders stark vom Klimawandel gefährdet, berichtete die IPCC-Arbeitsgruppe zu den Folgen des Klimawandels. Das erhöhe Armut und Ungleichheit und werde mehr Menschen, die in ihrer Heimat kein Auskomm en mehr haben, zur Migration zwingen.
Selbst wenn es gelingt, die Erwärmung auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, muss die Menschheit demnach schon in den nächsten 20 Jahren erhebliche Auswirkungen verkraften. "Steigende Temperaturen und extreme Ereignisse wie Dürren, Überschwemmungen und Hitzewellen setzen Pflanzen und Tiere klimatischen Bedingungen aus, die sie seit Zehntausenden Jahren nicht mehr erlebt haben", berichtet der Weltklimarat.
Die Regierungen täten noch lange nicht genug, um die schlimmsten Gefahren für Leib und Leben abzuwenden. "Wir haben ein schrumpfendes Zeitfenster", warnte der Co-Vorsitzende der Arbeitsgruppe, Hans-Otto Pörtner. Schon jetzt sei fast die Hälfte der Menschheit dem Bericht zufolge durch den Klimawandel "hochgradig gefährdet".
"Brandstiftung" - scharfe Kritik an größten CO2-Verursachern
Neben der drastischen Verringerung des Ausstoßes klimaschädlicher Treibhausgase seien fundamentale gesellschaftliche Veränderungen nötig. Die Energie müsse sauber, die Wegwerfmentalität beseitigt werden. Städte und Landwirtschaft müssten nachhaltig, die Mobilität verändert werden: mehr Rad- statt Autofahren, mehr Zugfahren statt Fliegen. Pörtner wies auf die riesige Diskrepanz zwischen dem Wissen über den Klimawandel und den tatsächlichen Maßnahmen hin. "Die große Lücke in der Umsetzung gilt es zu schließen", mahnte er.
In Modellen zum Klimaschutz sei bislang von einem deutlichen Abfall der Treibhausgasemissionen ab 2020 ausgegangen worden, derzeit aber "sehen wir das Gegenteil", kritisierte Pörtner. Dieses Ignorieren der Klimakrise gleiche einem "ständigen Überfahren von roten Ampeln".
UN-Generalsekretär António Guterres warf der internationalen Gemeinschaft vor, die Klimakrise immer noch nicht ernst genug zu nehmen. "Dieser Verzicht auf Führung ist kriminell", erklärte Guterres. Die weltgrößten Emittenten von Treibhausgasen machten sich "der Brandstiftung an unserem einzigen Zuhause schuldig".
Für zahlreiche Pflanzen- und Tierarten geht es angesichts des Klimawandels bereits ums Überleben. Schon bei einer Erderwärmung um 1,5 Grad besteht laut dem Bericht für bis zu 14 Prozent der Arten an Land ein "sehr hohes" Risiko auszusterben. Bei einer langfristig drohenden Erwärmung um 3 Grad betreffe dieses Risiko sogar 29 Prozent der Arten an Land.
Erderwärmung schon jetzt bei 1,1 Grad
Der Schutz von Artenvielfalt und Ökosystemen ist laut IPCC aber wiederum "grundlegend", damit die Erde im Zuge des Klimawandels widerstandsfähig bleibe. Sinnvoll sei daher, 30 bis 50 Prozent der Land- und Meeresgebiete unter Schutz zu stellen.
Das Pariser Klimaabkommen sieht vor, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Schon jetzt hat sich die Erde um 1,1 Grad erwärmt. Und selbst wenn das 1,5-Grad-Ziel erreicht werde, blieben einige Folgen des Klimawandels "unumkehrbar", heißt es in dem IPCC-Bericht. Der Weltklimarat hebt daher die Bedeutung von Anpassungsmaßnahmen wie Flutschutzanlagen an Küsten oder besseren Bewässerungssystemen in zunehmend von Trockenheit bedrohten Gebieten hervor.
Die Klima-Allianz Deutschland (DKK), ein Bündnis aus mehr als 140 zivilgesellschaftlichen Organisationen, wertete den IPCC-Bericht als Handlungsauftrag an die Bundesregierung. Nötig seien unter anderem ein Ausstieg aus Kohle, Erdöl und Gas bis 2035 sowie ein Klimaanpassungsgesetz, erklärte DKK-Chefin Christiane Averbeck.
Der IPCC betreibt keine eigene Forschung zum Klimawandel, sondern wertet tausende Studien aus und fasst die zentralen Erkenntnisse daraus zusammen. An dem nun vorgelegten Bericht hat ein Kernteam aus rund 270 Wissenschaftlern aus aller Welt gearbeitet, darunter 15 aus Deutschland.
Quelle: ntv.de, joh/dpa/AFP