
(Foto: Issio Ehrich)
Die meisten Frauen, die als Flüchtlinge durch Mexiko reisen, werden vergewaltigt. Die 23 Jahre alte Cindy aus Guatemala hatte unfassbares Glück. Sie ist fast am Ziel und blieb verschont.
Cindy* fällt auf. In der Casa del Migrante, einer völlig überfüllten Unterkunft im nordmexikanischen Caborca, leben rund 200 Männer. Cindy ist die einzige Frau. Als sie dann auch noch erzählt, dass sie schon allein unter Männern auf "La Bestia" unterwegs war, mache ich mich auf eine furchtbare Geschichte gefasst.
Einige Schätzungen besagen, dass rund 60 Prozent der Mädchen und Frauen auf den als Bestien bezeichneten Güterzügen, die Migranten für ihre Reise durch Mexiko nutzen, vergewaltigt werden. Andere Schätzungen gehen von 80 Prozent aus. Ärzte und Apotheker berichten, dass sich die meisten Frauen vor ihrer Flucht nach Norden mit Verhütungsmitteln versorgen, weil sie fest davon ausgehen, dass sie vergewaltigt werden. Sie wollen von ihren Peinigern zumindest nicht schwanger werden.
Als Cindy ihre Heimat in Guatemala vor vier Wochen verließ, war sie sich dieser Gefahr bewusst. Sie habe das Land verlassen müssen, sagt die 23-Jährige. "In Guatemala gibt es so viel Gewalt." Sie fügt aber hinzu: "Ich habe mir immer gesagt: Steige niemals auf die Bestie."
Unser Reporter Issio Ehrich reist derzeit durch Mexiko. Er begibt sich auf die Spuren von Migranten, die mit dem Ziel USA nach Norden drängen. Und er trifft die Menschen, die versuchen, genau das zu verhindern. In seinem Tagebuch berichtet er für n-tv.de regelmäßig von seinen Erlebnissen bei der Recherche.
Cindy beschreibt eine grausige Geschichte, die sie immer wieder von anderen Migranten gehört hat. Oft steigen demnach Mitglieder lokaler Banden auf die Züge auf. Sie suchen sich Frauen, völlig egal, ob diese in Begleitung ihrer Partner oder Ehemänner sind. Die werden zur Not ruhiggestellt. Die Gang-Mitglieder vergewaltigen die Frauen auf dem Zug und wenn sie mit ihnen fertig sind, so sagt es Cindy, werfen sie sie bei voller Fahrt von Bord.
Herausforderung Toilettengang
Cindy einigte sich mit ihrem Mann darauf, mit Bussen zu reisen und sich von Flüchtlingsunterkunft zu Flüchtlingsunterkunft durchzuschlagen. Weil sie in den meisten aber maximal drei Tage verbringen durften, konnten sie auf ihrer Fahrt kein Geld verdienen. Als sie auf halber Strecke in Tepic ankamen, blieben ihnen von ihrem Ersparten nur noch 20 Pesos - umgerechnet knapp ein Euro. "Wir mussten weiter", sagt Cindy.
Ich habe einen lokalen Journalistenkollegen von mir gefragt, wie es in Tepic ist für Migranten. Seine Antwort: "Da riecht die Luft nach Blut."
Cindy stieg auf die Bestie, mit ihrem Partner und 30 anderen Männern. Und sie blieb unversehrt. Bei Zwischenstopps sorgten einige Mitarbeiter der Bahn sogar dafür, dass sie als einzige Frau aufsteigen darf, wenn der Zug steht. Normalerweise müssen Flüchtlinge auf die fahrenden Züge aufspringen. Etliche verlieren dabei Arme, Beine oder das Leben. Zu einer ihrer größten Herausforderungen zählte an Bord der Gang zur Toilette. Während Jungs einfach von Bord pinkelten, wartete sie ab, bis sie vom Zug absteigen konnte.
Die Kinder sind bei ihrer Großmutter
Seit zwei Wochen ist Cindy nun in der Casa del Migrante in Caborca. "Wenn mal Frauen herkommen, verschwinden sie meist gleich am nächsten Tag", sagt sie. "Ich fühle mich hier ein bisschen einsam." Sie fügt aber gleich hinzu: "So viel Glück wie ich haben nicht viele."
Am Ziel ist Cindy allerdings noch nicht: Sie will in die USA. Das heißt: Sie muss mithilfe eines Schmugglers, hier in der Gegend werden diese Kojoten genannt, zu Fuß die Wüste durchqueren. Auch dabei sind Frauen immer wieder sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Und immer wieder werden sie danach Berichten zufolge in der Ödnis zum Sterben ausgesetzt. Einige verschwinden auch in der Zwangsprostitution. Ein Schicksal, das sie auf jeder Etappe ihrer Reise ereilen kann.
Schafft Cindy es in die USA, steht ihr die nächste Probe bevor. Trotz ihres jungen Alters hat sie bereits vier Kinder. Die sind mit ihrer Großmutter in Guatemala. Cindy und ihr Mann wollen vier bis fünf Jahre in den Vereinigten Staaten bleiben und Geld verdienen - damit ihre zwei Söhne und zwei Töchter eine Zukunft haben. So lange werden sie sich nicht sehen.
*Cindy ist nicht der richtige Name der Protagonistin dieses Artikels.
Quelle: ntv.de