Politik

Reaktionen auf Pendler-Kommentar Wir Verbraucher verantworten Dieselkrise mit

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Das Stuttgarter Neckartor hat besonders mit Feinstaub und Stickoxid zu kämpfen.

(Foto: picture alliance / Larissa Schwe)

Der n-tv.de Kommentar zur Rolle von Pendlern bei der Verschmutzung der Innenstädte hat teils heftige Kritik geerntet. Richtig ist: Pendler dürfen nicht pauschal diffamiert werden. Aber: Autofahrer müssen lernen, ihr Verhalten auch zu hinterfragen.

Um es vorwegzunehmen und weiteren Missverständnissen vorzubeugen: Pendler sind Arbeitende und damit die Säule unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Viele haben keine andere Wahl, als jeden Tag Stunden im Auto zu verbringen. Es ist auch politisch gewollt. Ohne Pendler stünden ganze stadtferne Regionen vor dem Aus. Zudem hält die Agentur für Arbeit lange Arbeitswege für zumutbar. Niemand will alle Menschen in der Stadt leben sehen. Und: Verantwortlich für die Dieselkrise sind zuerst Autohersteller und Politik.

Autofahrer tragen als Wähler und Konsumenten dennoch eine Mitverantwortung für die Dieselkrise. Über diese Wahrheit muss man auch reden können. Der Unwillen vieler Autofahrer zur Selbstkritik hat sich in den gestrigen Reaktionen in unverhältnismäßiger Wut Bahn gebrochen - neben vielen konstruktiven Zuschriften, Kommentaren und Anrufen.

Wie sieht diese Mitverantwortung aus? Zuerst einmal muss eine Henne-und-Ei-Frage beantwortet werden. Was war zuerst da: Eine autoverliebte Nation, die die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs und neuer Mobilitätskonzepte für zweitrangig hielt? Oder ein fehlender Nahverkehr, der der Mehrheit die Anschaffung eines Automobils unvermeidlich erscheinen lässt?

Vom fehlenden ÖPNV und Öko-Faschisten

Deutschland ist nicht plötzlich in der Dieselkrise gelandet. Die Verstädterung der Arbeit ist ein andauernder Trend und damit auch die Verstopfung der Einfallstraßen. Gewählt werden aber nur Politiker, die versprechen, tiefgreifende Herausforderungen wie Urbanisierung und Klimawandel ohne jedwede Zumutung für den Einzelnen stemmen können. "Alles bleibt, wie es ist, sorgen Sie sich nicht!"

Parteien und Aktivisten, die den Ausbau von Bus und Bahn sowie Park-and-Ride-Parkplätzen am Stadtrand zur Priorität erklären, müssen sich Vorwürfe von Bevormundung bis Öko-Faschismus gefallen lassen. Überhaupt: Wer am Heiligen Gral Auto rüttelt, weil er internationale Selbstverständlichkeiten wie Tempolimits und Fahrtüchtigkeitsuntersuchungen für Ältere debattieren möchte, braucht in der Bundesrepublik ein sehr dickes Fell. Von der Kritik an SUVs und unnötig leistungsstarken Pkw ganz zu schweigen.

Die im Allgemeinen Auto-unkritische Kultur hat den (Selbst-)Betrug mit den Dieselfahrzeugen erst möglich gemacht. Dass Verbrauch und Emissionen nur auf dem Papier niedrig sind, wusste jeder Autofahrer schon vor Aufdeckung des VW-Skandals. Dass immer mehr Pendler-Autos in einer immer dichter bewohnten Stadt zu Staus und damit zu hohen Gesundheits- und Umweltbelastungen für die Stadtbewohner führen, auch. Das gilt selbst für saubere Diesel nach Euro-6 und mit Abstrichen für Elektroautos. Dieses Wissen wird erfolgreich verdrängt - jeden Tag, millionenfach.

Es stimmt, dass das Fahrrad und das gegenwärtige Bus- und Bahnangebot für die meisten Autopendler keine Alternative darstellen. Gerade deshalb braucht es aber Anreize, neue Mobilitätskonzepte zu entwickeln. Ein Blick auf die Innenstädte der Niederlande oder in Kopenhagen zeigt, dass es auch mit weniger Autos gehen kann. Dass eben nicht jeder Weg allein am Steuer eines Auto sitzend zurückgelegt werden muss.

Kein Beharren auf Status quo mehr

Niemand will, schon gar nicht Politik und Wirtschaft, Diesel-Autos von heute auf morgen aus den Citys verbannen. Aber ein klarer Planungshorizont, der das Ende von Verbrennermotoren im innerstädtischen Raum festlegt, ist Gebot der Stunde. Er würde zu neuen Lösungen führen, darunter die Förderung des Home Office oder - langfristig - einer Heerschar alternativ angetriebener, vollautonomer Kleinbusse, die auf eigenen Fahrspuren flexibel und zügig Menschen vom Stadtrand zu ihrem Ziel bringen.

Fantasieloses Beharren auf die Alternativlosigkeit von einem Passagier pro Verbrennungsmotor hingegen hat erst zur Möglichkeit von Diesel-Fahrverboten geführt. Dieses Festhalten am Status quo bewirkt auch, dass Arbeitnehmer weiter wertvolle Lebenszeit in Staus und auf Überlandfahrten verlieren, statt bei ihren Familien zu sein. Die Pendler-Republik kann nicht weitermachen wie bisher. Die Lehre aus der Diesel-Krise muss daher lauten: Denken wir mutig und kritisch - auch über uns selbst.

Quelle: ntv.de

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