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Mit Bio-Label in die Krise Sri Lanka und der Irrweg einer chemiefreien Landwirtschaft

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Bei den Demonstranten in Colombo ist der neue Präsident Ranil Wickremesinghe unbeliebt - sie halten ihn für einen Verbündeten des gerade verjagten Präsidenten Gotabaya Rajapaksa.

(Foto: picture alliance / Pacific Press)

Der Präsident des Inselstaats Sri Lanka ließ Düngemittel und Pestizide verbieten. Es war der Startschuss für eine tiefe wirtschaftliche und politische Krise.

Sri Lanka schien ein Steh-auf-Land zu sein, das trotz vieler Probleme immer wieder smarte Lösungen zu finden schien. Da sind die immensen Spannungen zwischen den einzelnen Volksgruppen. Aber der Sezessionskrieg der Tamilen, die den Norden und Osten der Insel der Kontrolle der Hauptstadt entziehen wollten, endete 2009 nach 26 blutigen Jahren mit der Niederlage der "Befreiungstiger von Tamil Eelam". Da war der Terror radikaler Islamisten, die bei dem Osteranschlag 2019 auf christliche Kirchen und Luxushotels mindestens 253 Menschen töteten und dennoch keine nennenswerte Gefolgschaft der muslimischen Minderheit hinter sich vereinen konnten. Da waren wirtschaftliche Krisen und verbreitete Korruption. Dennoch entwickelte sich in der 22-Millionen-Bevölkerung eine solide Mittelklasse mit guten Einkommen und hoher Bildung. Selbst die für das vom Tourismus abhängige Sri Lanka besonders schmerzhaften Folgen des Covid-Lockdowns schien die Regierung in den Griff zu bekommen.

Und so wurden die Parlamentswahlen im August 2020 vielfach als Bestätigung des Kurses bei gleichzeitigem Bekenntnis zu Reformen gesehen. Eine Wahlbeteiligung von 71 Prozent in Zeiten der Pandemie mutete sensationell an und schien Sri Lanka als eine reife Demokratie auszuweisen. Die ganz neue Partei des erst ein Jahr zuvor gewählten Präsidenten Gotabaya Rajapaksa gewann mehr als zwei Drittel der Parlamentssitze. Der Präsident und ehemalige Oberstleutnant war zum einen bekannt als harter Hund, der wegen seines rücksichtslosen Vorgehens gegen die tamilischen Separatisten selbst in der eigenen Familie "Terminator" genannt wurde.

Zum anderen versprach Gotabaya eine neue, bessere Politik, eine grüne Vision. Seinen Wahlkampf bezeichnete er als "CO2-neutral", weil er auf Kunststoff-Flaggen und Wahlkampfplakate verzichtete und dort, wo doch einmal Kohlendioxid freigesetzt wurde, zur Kompensation Bäume pflanzen ließ. Zudem, so versprach er, werde unter ihm die Landwirtschaft, renommiert vor allem durch die Teeplantagen, gänzlich von Chemikalien befreit.

Proteste wurden ignoriert

Sri Lanka als erstes Land der Welt mit einem Bio-Label gewissermaßen auf jedem Lebensmittel, jeder Frucht und jedem Teeblatt - das klang gut und ging einher mit Importrestriktionen auf Obst, Gemüse und Gewürze. Denn das alles könne man ja auch lokal anbauen und produzieren, so Gotabaya. Er wollte die Insel, die geostrategischen Begehrlichkeiten ausgesetzt ist, außenpolitisch stärker in Richtung Asien steuern und vor allem an Indiens Kurs der Blockfreiheit orientieren.

Tatsächlich gelangte Sri Lanka durch die Erschwernisse auf Importe 2020 erstmals seit der globalen Öffnung der Wirtschaft 1977 zu einem Handelsüberschuss. Waren für 1,02 Milliarden US-Dollar wurden exportiert und für 961 Millionen US-Dollar exportiert.

Doch die zweite Vision erwies sich als katastrophaler Irrweg: Am 26. April 2021 verbot Sri Lankas Regierung den Import und Einsatz von sämtlichen chemischen Düngemitteln, Pestiziden, Unkrautvernichtern und Pilzbekämpfungsmitteln. 85 Prozent der Bauern warnten in einer Umfrage des Instituts Verité Research, dass dann ihre Erträge schrumpfen würden. Sie protestierten zu Tausenden auf den Straßen.

Ein unnötiges Experiment, verschärft durch den Ukraine-Krieg

Tatsächlich waren die Ernteausfälle gewaltig. Um 30 bis 40 Prozent brach der Reisanbau ein, um 50 Prozent die Maisproduktion - wohlgemerkt in einer Situation, in der die Lebensmittelimporte künstlich reduziert worden waren. Die Inflation, die im Januar 2021 bei 3,7 Prozent lag, stieg bis zum Dezember auf 14 Prozent. Bis Mai 2022 kletterte sie auf 45,3 Prozent. Die Preise für Tomaten und Karotten legten gar auf das Fünffache des Vorjahresniveaus zu. Menschen stehen bis zu 14 Stunden vor Lebensmittel an, Eltern ernähren sich über Wochen nur von Reis und reservieren das wenige Gemüse, das sie beschaffen können, für ihre hungernden Kinder.

"Das war ein unnötiges Experiment", sagte Jeevika Weerahewa, Landwirtschaftsökonomin an der Peradeniya Universität in Sri Lanka, der Nachrichtenagentur Reuters. Als die Regierung im November endlich den Einsatz von chemischen Düngemitteln immerhin für private Landwirte wieder erlaubte, sagte Weerahewa voraus, dass diese Maßnahme zu spät kam: "Die Zeit für die Ausbringung von Düngemitteln für Reis ist vorbei und die Ernte wird sich nicht erholen. Außerdem haben sich die Weltmarktpreise [für Düngemittel] mehr als verdoppelt, und es gibt keine Lieferanten."

Nur drei Monate später wurde der Mangel an Düngemitteln auf dem Weltmarkt noch dramatischer, als Russland in die Ukraine einmarschierte. Die beiden Länder gehören zu den wichtigsten Fertilizer-Produzenten auf dem Weltmarkt.

Der neue Staatschef rudert zurück

Premierminister Ranil Wickremesinghe, im Mai nachgerückt für den von den landesweiten Protesten aus dem Amt gejagten Präsidenten-Bruder Mahinda Rajapaksa, räumte gleich zu Beginn seiner Amtszeit kleinlaut ein, für die sogenannte "Yala-Saison" von Mai bis August seien keine Düngemittel mehr zu erwarten. Aber es seien "Maßnahmen ergriffen worden, um adäquate Vorräte für die Maha-Saison [September bis März] sicherzustellen".

Doch die Rücknahme des Importverbots betraf zunächst nur Dünger für Tee, Kokosnuss und Kautschuk als die wichtigsten landwirtschaftlichen Exportwaren. Und ohnehin erholen sich die Böden nicht so schnell. Auch die kommende Ernte werde deutlich unter den Erwartungen bleiben, sagt Buddhi Marambe, Professor für Landwirtschaft an der Peradeniya Universität. Darum dürften die Preise in den kommenden Monaten noch weiter steigen.

Der 73-jährige Wickremesinghe wurde im Juli zum Interims-Präsidenten erklärt, nachdem tausende wütende Demonstranten Gotabayas Residenz erstürmt hatten und dieser ins Ausland geflohen war. Dass die bislang friedvollen Protestler den Juristen und Berufspolitiker aber dauerhaft als neues Staatsoberhaupt akzeptieren werden, ist angesichts der wirtschaftlichen Verheerungen in Sri Lanka unwahrscheinlich.

Derzeit sucht Sri Lanka nach Wegen zur Reduzierung der immensen Schuldenlast vor allem gegenüber China, Indien und Japan. Es benötigt Finanzmittel, um neben Dünger auch Treibstoff zu importieren. Während der Westen vor allem auf Russlands Krieg gegen die Ukraine konzentriert ist, hat Peking Bereitschaft zu Gesprächen signalisiert. Die hoch verschuldete Insel braucht dringend marktwirtschaftliche Reformen und eine pragmatische Politik, die Umweltbelange ebenso berücksichtigt wie sichere ökonomische und landwirtschaftliche Grundlagen zur Ernährung der Bevölkerung. Grüne Experimente sollten Sri Lankas Politiker nicht wiederholen, insbesondere dann nicht, wenn sie die Erfahrungen der Farmer und Bauern völlig ignorieren.

Ansgar Graw leitet das Medienprogramm Asien der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Singapur. Er ist Journalist und Buchautor.

Quelle: ntv.de

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