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Richtig leben mit Terror Was wir von Israel lernen können

Soldaten patroullieren durch Jerusalem.

Soldaten patroullieren durch Jerusalem.

(Foto: picture alliance / dpa)

Von Israelis kann man lernen, wie man mit Terrorismus lebt. Es ist beispielsweise nicht sinnvoll, auf Restaurantbesuche zu verzichten. Man kann von ihnen aber auch lernen, was man nicht tun sollte.

Es stimmt, in Israel haben wir viel Erfahrung damit, wie man mit Terrorismus lebt. Der erste Terroranschlag, an den ich mich erinnere, fand statt, als ich neun Jahre alt war: Ein älteres Kind aus meiner Schule war unter den 35 Menschen, die bei dem PLO-Anschlag auf einen Bus auf einer Küstenstraße nördlich von Tel Aviv getötet wurden. Seitdem gehört Terrorismus zum Leben dazu, mit einem Höhepunkt während der zweiten Intifada von 2000 bis 2004, vor allem in den ersten Monaten des Jahres 2002, als Selbstmordanschläge in israelischen Städten an der Tagesordnung waren. Ich habe damals sogar einen Roman über einen Typen geschrieben, der drei Terroranschläge überlebt (in Deutschland erschienen bei Luchterhand unter dem Titel "Ein schönes Attentat").

Assaf Gavron, Jahrgang 1968, ist Schriftsteller, Singer/Songwriter und Übersetzer. In Deutschland erscheinen seine Bücher bei Luchterhand. Er lebt in Tel Aviv.

Assaf Gavron, Jahrgang 1968, ist Schriftsteller, Singer/Songwriter und Übersetzer. In Deutschland erscheinen seine Bücher bei Luchterhand. Er lebt in Tel Aviv.

(Foto: Howard Romero)

Aber dies soll kein Artikel darüber werden, wie man Terroranschläge vermeidet. Keine Anleitung, was man tun oder lassen, wo man hingehen oder nicht hingehen soll, welche Vorsichtsmaßnahmen man treffen muss. Ich glaube nicht, dass es ein Rezept dafür gibt, Terroranschlägen zu entgehen. Die Wahrscheinlichkeit, sich am Ort eines Anschlags zu befinden, ist lächerlich gering (selbst im kleinen Israel mit seinen wenigen Millionen Einwohnern, und viel stärker noch im riesigen Europa), viel geringer als die Wahrscheinlichkeit, in einen Verkehrsunfall verwickelt zu werden. Es hat daher keinen Sinn, wenn Sie Ihre Pläne ändern. Sie haben nie darauf verzichtet, in ein Restaurant zu gehen, weil die Gefahr besteht, dass Sie auf dem Weg dahin überfahren werden, oder? Ändern Sie also auch nicht Ihre Pläne, weil Sie Angst vor Terrorismus haben.

Dies wird auch kein Artikel mit Vorschlägen, wie man Terror aus militärischer Perspektive beenden kann. Dafür gibt es Fachleute, und ich bin sicher, dass es viele israelische Sicherheitsexperten gibt, die ihr Wissen bereits in begierige europäische Ohren fließen lassen. Hoffentlich können sie dazu beitragen, Bewusstsein zu schärfen, geheimdienstliche Methoden zu verbessern, zu verstehen, wie man mit in der aktuellen Situation mit Anschlägen umgeht und so weiter.

Ich werde stattdessen darüber schreiben, was eine Zeit wie die jetzige mit einer Gesellschaft macht und wohin das führen kann. Wo die Gefahren in sozialer und politischer Hinsicht liegen. Wie diese Gefahren unsere Gesellschaften beschädigen können und wie wir versuchen sollten, das zu vermeiden. Ungefähr anderthalb Jahrzehnte nach dieser krassen Phase täglichen Terrors können wir hier in Israel die Folgen davon sehen. Vielleicht können wir daraus etwas lernen – und andere etwas lehren.

Trotz der oben erwähnten Wahrscheinlichkeiten kann man nicht bestreiten, dass Terror Angst erzeugt, und zwar in großem Umfang. Darum geht es ja. Das ist der Sinn des Wortes. Terroristen versuchen, eine Gesellschaft zu terrorisieren. Aus Angst wird dann rasch Hass, der auf die gesamte Gruppe gerichtet wird, aus der die Terroristen kommen. Dieser Hass wird dann von extremen Politikern instrumentalisiert. Sie erlangen Beliebtheit, indem sie "harte Maßnahmen" gegen die Terroristen und ihre Unterstützer versprechen. Diese Politiker werden gewählt, aber irgendwie lösen ihre harten Maßnahmen das Problem des Terrorismus nicht, im Gegenteil, sie erzeugen mehr Hass, mehr Racheakte. Auf diese Weise bleibt der Kreis der Gewalt erhalten. Das ist die Wirklichkeit in Israel nach der zweiten Intifada – aus Angst wurde Hass auf die Araber, was dazu führte, dass mehrere rechtsgerichtete Regierungen in Folge gewählt wurden, die den Druck erhöhten und die Vergeltung gegen die Palästinenser verschärften, die ihrerseits zunehmend Leid und Angst erlebten, was zu noch mehr Hass führte, der wiederum noch mehr Gewalt erzeugte. Und so geht der Kreislauf immer weiter.

Was also könnten Europäer machen, abgesehen davon, weiterhin ins Restaurant zu gehen?

Ich glaube, das Wichtigste ist, die Terroristen bewusst als einzelne radikale Extremisten auszugrenzen. Auf jeden Fall, wenn es Außenseiter sind wie in München oder bei Schießereien an amerikanischen High Schools. Vor allem aber, wenn sie Teil einer größeren Gruppe sind, die entweder ethnisch ("Araber"), religiös ("Muslime"), national ("Marokkaner") oder durch einen bestimmten Status ("Flüchtlinge") definiert ist. Denn das bedeutet ja nicht, dass alle Araber, alle Muslime, alle Marokkaner oder alle Flüchtlinge (und Sie können natürlich jede Kategorie durch viele andere ersetzen) Terroristen oder Feinde sind. Es gibt absolut keinen Zweifel daran, dass die übergroße Mehrheit in diesen Gemeinschaften einfach nur in Frieden ihr Leben führen will – sie wollen arbeiten, lieben, Familien gründen, Sport treiben, Spaß haben. Wenn sie nach Europa immigriert sind, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie gekommen sind, um genau solchen Spannungen in ihren Heimatländern zu entfliehen. In dem Augenblick, in dem man sie als Terroristen oder Feinde kategorisiert und behandelt, ob durch Behörden, Sicherheitskräfte oder Bürger auf der Straße, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit radikalen Extremisten in ihren Reihen sympathisieren und sich ihnen anschließen. Auf diese Weise schließt sich der Kreis der Gewalt.

Die Schlussfolgerung ist also ganz einfach: Treten Sie den wenigen, die die Gesellschaft terrorisieren, geschlossen entgegen und überlassen Sie es den Sicherheitskräften, sich um diese Leute zu kümmern – das ist ihr Job. Umarmen Sie die große Mehrheit derer, die nur in Frieden leben und dazugehören wollen. Glauben Sie nicht diesen radikalen Politikern, die leichte Lösungen und "harte Maßnahmen" versprechen und Spaltung und Hass predigen, und wählen Sie sie nicht. Und gehen Sie in dieses Restaurant, auf welchem Weg auch immer. 99 Prozent von Ihnen werden sicher dorthin und wieder nach Hause kommen. Guten Appetit!

(Übersetzung: Hubertus Volmer)

Hier finden Sie die englische Originalversion des Textes.

Quelle: ntv.de

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