Wulff entschuldigt sich "Er hat nur die Hälfte verstanden"
22.12.2011, 18:58 UhrNach zehn Tagen nicht abebbender Diskussion um Christian Wulff und seinen Privatkredit, tritt der Bundespräsident vor die Kameras – und entschuldigt sich. Er verschafft sich so die Chance auf Rehabilitation. Diese Entschuldigung kann stilbildend sein, meint n-tv.de. Doch bleibt es abzuwarten, welche Schäden Wulff und sein Amt noch nehmen werden. Vorerst sichert sich der Bundespräsident sein politisches Überleben, auch wenn er laut mancher Medien aus der Affäre nur wenig gelernt habe.
"Wulffs vorweihnachtliche Mea-culpa-Erklärung hatte die Funktion einer Notbremse", konstatiert die Süddeutsche Zeitung. Zwar sei die Bremse zu spät betätigt worden, aber der Karren komme so noch vor dem Abgrund zum Stehen – hoffentlich. "So unappetitlich manches an der Kredit-und-Amigo-Affäre ist, so wenig taugt sie als hinreichender Rücktrittsgrund vom Amt des Bundespräsidenten." Und in Klammern fügt das Blatt aus München aus Vorsicht hinzu: "(Dies gilt nur, falls nicht Ungeheuerlichkeiten bekannt werden wie etwa Vorteilsgewährung im Amt oder strafrechtlich relevante Geldmauscheleien.)"
Die Frankfurter Neue Presse bezeichnet es als einen "Treppenwitz, dass Wulff sich ein Beispiel an einem Vorgänger nehmen konnte, dessen Rücktritt er einst gefordert hatte". Damit verweist das Blatt auf die Affäre um Johannes Rau, der in seinem ersten Amtsjahr als Bundespräsident davon eingeholt wurde, dass die West-LB ihm einst Flüge bezahlte. Wulff habe damals gesagt: "'Ich leide physisch darunter, dass wir keinen unbefangenen Bundespräsidenten haben.'" Rau blieb im Amt, und er sei laut Meinung des Blattes "ein guter Präsident" geworden. Auch Wulff bleibe Bundespräsident. Doch nun stellt sich die Frage: "Hat er die Chance, ein guter Präsident zu werden? Oder läuft er Gefahr, bei jeder Rede, jedem moraltriefenden Appell an seine Sünden erinnert zu werden? Abwarten. Er ist zweifellos ein geknickter Präsident; ob er sich wieder aufrichten kann, liegt wesentlich an ihm selbst. Vielleicht hat er sich durch seine Erklärung in einen Weihnachtsfrieden retten können. Im neuen Jahr jedoch werden ihn die alten Probleme wieder einholen."
Auch die Hessische/Niedersächsische Allgemeine ist der Meinung, dass es nun an Wulff selbst liege, ob er sich von dieser Affäre im Amt des Bundespräsidenten erholen könne. Sein Auftritt vor der Presse sei "für sein politisches Überleben zwingend notwendig" gewesen. "Die Kanzlerin, die ihn vor anderthalb Jahren als Kandidaten durchboxte, hätte ihn zwar (nach dem Desaster mit Horst Köhler) nicht fallen lassen können. Um im Amt aber Wirkung erzielen zu können, musste Wulff den (nun) beschrittenen Weg einschlagen. Denn die Ereignisse der vergangenen Tage haben seine Glaubwürdigkeit beschädigt. Mit der öffentlichen Erklärung hat er sich die Chance auf Rehabilitierung erarbeitet. Nun muss er sie aber nutzen. Denn andernfalls würde auch das Amt des Bundespräsidenten beschädigt, das eine von innerer Erosion bedrohte Gesellschaft mehr denn je benötigt."
Doch benötigt das deutsche Volk überhaupt noch einen Bundespräsidenten nach dem Modell, wie wir ihn derzeit haben? Die Lüneburger Landeszeitung bezieht auf Grund der Vorfälle eine eindeutige Position: "Es ist beschämend genug, dass ein Staatsoberhaupt versichern muss, seine Freunde seien keine Günstlinge mit ungerechtfertigtem Einfluss auf seine Amtsführung. Eineinhalb Jahre nach dem Rücktritt Horst Köhlers beschädigen die Turbulenzen um Wulff das Amt des Bundespräsidenten ein weiteres Mal. Abschaffen oder ausbauen? Einen machtlosen Frühstücksdirektor als gefühlten Monarchenersatz hat die Bundesrepublik nicht mehr nötig. Was für die Weimarer Republik noch verhängnisvoll war, könnte die reife Demokratie der Bundesrepublik voranbringen: ein mächtigerer Präsident. Direkt vom Volk statt von der Bundesversammlung gewählt und mit mehr Kompetenzen ausgestattet, könnte er ein stärkeres Korrektiv sein."
Laut der Frankfurter Rundschau habe Wulff "nur die Hälfte verstanden", denn er habe in seiner Erklärung nicht gesagt, "es sei falsch gewesen, private Kredite anzunehmen" und "sich sich in luxuriöse Urlaubsdomizile einladen zu lassen". Daher werde Wulff in Zukunft zwar vorsichtiger, aber nicht wirklich klüger sein. "Da war kein Wort, wie er gedenkt, mit solchen Angeboten zu verfahren. Nur der Hinweis, er habe durch sein Verhalten niemandem einen unberechtigten Vorteil verschafft. Wie? Nur keinen unberechtigten? So weit hat es der spitzfindige Herr Wulff schon gebracht, dass einem solche Fragen einfallen."
Die Berliner Morgenpost meint, Wulffs "Zerknirschungsadresse" sei "wohl weniger dem Bedürfnis, Klarheit zu schaffen", entsprungen, "als vielmehr nackter Panik".
Die Badische Zeitung hofft, dass Wulff und andere Politiker aus dem Vorfall Lehren ziehen: "Wulff hat dem Staatsamt und sich selbst durch seine Instinktlosigkeiten als Landespolitiker geschadet. Nach quälendem Zaudern aber hat er sich jetzt immerhin einsichtig gezeigt. Was rechtens ist, muss deshalb nicht richtig sein - die Erkenntnis mag verdächtig nach Phrase klingen. Wer sie beherzigt, legt gleichwohl die Latte des Anstands nach oben. So gesehen enthält Wulffs Erklärung zugleich ein Versprechen: In Zukunft wird der Bundespräsident strengeren Ansprüchen genügen müssen."
Die Neue Presse aus Wulffs politischer Heimatstadt Hannover schließlich glaubt nicht, dass die Debatte nun zu Ende ist. "Es wird keine weihnachtliche Ruhe eintreten, denn die Debatte um den Präsidenten spaltet Deutschland. Hier die Empörten, die unvermindert den Rücktritt fordern; dort die Versöhnten, für die Wulffs Entschuldigung das Ende einer medial überhitzten Debatte markiert. Zwischen diesen Polen stehen ein Mann und sein Amt.
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Julia Kreutziger