Eintracht-Ansage aus Glasgow Die wundersame Auferstehung der Rangers
18.05.2022, 07:13 Uhr
Vor 150 Jahren wurden die Glasgow Rangers gegründet, vor 50 Jahren holten sie ihren ersten und einzigen Europapokal. Zehn Jahre nach dem vorläufigen Tiefpunkt ist die nächste Krönung nah. Der Verein wird von ähnlichen Tugenden getragen wie Endspielgegner Frankfurt.
Der Tiefpunkt der Glasgow Rangers liegt kein Jahrzehnt zurück. Die Misswirtschaft der 1990er-Jahre trieb den schottischen Rekordmeister 2012 in die Insolvenz, der großen europäischen Bühne folgte dann die knallharte Bruchlandung in der 4. Liga. Vor 3000 Zuschauern begann auf den Sportplätzen der Provinz der beschwerliche Kampf um neuen Ruhm. Nach dem nationalen Meistertitel in der Vorsaison winkt nun der Thron der Europa League - es wäre eine wundersame Wiederauferstehung in Rekordzeit. Die Schotten haben mit ihrer Tradition, einem starken Kollektiv und den einmaligen Fans eine Wucht erzeugt, die sie bis ins Finale der Europa League nach Sevilla getragen hat.
In der Hitze von Andalusien steht an diesem Mittwoch (21 Uhr live bei RTL, auf RTL+ und im Liveticker bei ntv.de) der ganz große Fußball-Showdown gegen Eintracht Frankfurt an. "Ich bin sehr stolz auf das, was wir erreicht haben. Es fühlt sich außergewöhnlich gut an", sagte Trainer Giovanni van Bronckhorst, der im vergangenen Herbst auf Steven Gerrard folgte. Auf dem Spiel steht nun nicht nur ein Titel, sondern auch das Direktticket in die Champions League. Es wird ein Duell für Fußballromantiker, Tradition trifft auf Tradition. Die Eintracht gewann 1980 den UEFA-Cup, Glasgow triumphierte bereits acht Jahre zuvor im Europapokal der Pokalsieger.
"Make us dream again"
Der schlafende Riese ist erwacht, auf den Finalort rollt eine einzigartige schottische Fan-Welle zu. Bis zu 100.000 Schotten sollen nach Sevilla reisen, um ihr Team zu unterstützen. Selbst vom Endspielgegner gibt es etwas neidische Blicke. "Sie haben nahezu sämtliche Fähren gekapert. So etwas beeindruckt mich, die haben richtig Bock drauf", sagte Frankfurts Vorstandssprecher Axel Hellmann in einer Medienrunde. Da auch knapp 50.000 Fans aus Hessen die beschwerliche Reise antreten, "erwartet Sevilla ein Ansturm, den diese Stadt noch nicht erlebt hat", führte Hellmann aus: "Das wird ein einzigartiges Zusammentreffen der sangeskräftigsten und begeisterungsfähigsten Fans Europas."
"Der Slogan 'Make us dream again' beschreibt den aktuellen Zustand rund um die Rangers am besten. Alle sind super euphorisch und möchten wie wir den Titel gewinnen", sagte der ehemalige Bundesliga-Profi Leon Balogun, der seit 2020 für den Klub spielt. Es wäre das ideale Jahr dafür: 150 Jahre nach Klubgründung, 50 Jahre nach dem ersten und einzigen Europapokal-Titel und zehn Jahre nach dem vorläufigen Tiefpunkt, den der Verein bestens weggesteckt hat. Die Weltrekordzahl von 55 Meisterschaften und 33 nationalen Pokalsiegen haben die Rangers in ihrer Vitrine, ihr bislang letztes großes internationales Finale verloren sie 2008 im UEFA-Cup 0:2 gegen Zenit St. Petersburg.
Kein typisches Finalteam
Gemessen am Personal sind die Rangers kein typisches Finalteam. James Tavernier als torgefährlicher Außenverteidiger oder Offensivspieler Ryan Kent haben zwar auf sich aufmerksam gemacht, sind aber keine klassischen Stars. Die Schotten zeichnen sich - ähnlich wie Gegner Frankfurt - durch mannschaftliche Geschlossenheit, Kampfgeist und Heimstärke aus. Das reichte immerhin für das Weiterkommen gegen deutlich höher gehandelte Teams wie Dortmund oder Leipzig.
"In diesem Jahr wird einer die Europa League gewinnen, der nicht zu den üblichen Verdächtigen gehört", sagte Axel Hellmann und fügte an: "Wenn die Eintracht nicht spielen würde, würde ich wissen, für wen mein Herz schlägt." Nämlich die Rangers, die als Kultklub eine riesige Fankultur haben und mit ihrer Spielweise Sympathien in ganz Europa erworben haben. Frankfurts Trainer Oliver Glasner nannte das Rangers-Spiel "unglaublich druckvoll und aggressiv" sowie "sehr, sehr zweikampfstark".
Frankfurt "eine machbare Aufgabe"
Tavernier, der als Außenverteidiger die Torschützenliste der Europa League anführt, ist für das Endspiel gegen die Hessen optimistisch: "Wir sind gerade voller Selbstvertrauen." Der Ex-Mainzer Balogun nennt Frankfurt "eine machbare Aufgabe" und setzt für das Endspiel ebenfalls auf den Faktor Fans. "Es kann absolut unangenehm werden, wenn es nicht so läuft. Trotzdem ist es absolute Liebe und Besessenheit. Das macht diese Fans aus. Ich liebe es, diese Wucht", sagte der Defensivspieler. Leipzig hat dies vor zwei Wochen erst zu spüren bekommen, als beim 1:3 in Glasgow das 1:0-Polster aus dem Heimspiel und damit auch das Ticket für ein deutsches Finale verloren ging. Ibrox sei "wie eine Urgewalt", stellte Balogun fest. Diesmal wird im Estadio Ramón Sánchez Pizjuán gespielt - und beide Fangruppen haben nur 10.000 Tickets erhalten.
"Man muss von etwas träumen, um es wirklich zu erreichen", gab van Bronckhorst als Marschroute aus: "Das Finale in Sevilla gibt uns die Chance, dass wir uns in die Geschichtsbücher dieses Vereins eintragen." Und nicht nur das - auch für die weiter knappen Kassen des protestantisch geprägten Vereins hält der Triumph mit einem Geldregen von rund 30 Millionen Euro einen Segen bereit. Der Scherbenhaufen aus dem Jahr 2012 wäre endgültig zusammengekehrt und beiseite geräumt.
Quelle: ntv.de, tno/dpa/sid