Normalität frühestens am Monatsende Merkel fordert ausreichend Bahn-Personal
13.08.2013, 20:55 Uhr
(Foto: REUTERS)
Nun erreicht die Krise um den Mainzer Hauptbahnhof auch die Spitze der Bundesregierung: Kanzlerin Merkel spricht von einem ernsten Problem. Zudem zieht das Eisenbahnbundesamt die Zügel an. Die Bahn verspricht nach einem ersten Krisentreffen eine schrittweise Rückkehr zum normalen Fahrplan. Bis zum Ende der Turbulenzen scheint es indes noch ein weiter Weg.
Nun schaltet sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in die Mainzer Chaostage bei der Bahn ein und forderte die Sicherstellung einer ausreichenden Personalstärke. "Es geht jetzt erstmal darum, dass ausgebildetes Personal da ist und dass man daran arbeitet, diese Personaldecke so auszustatten, dass auch in Krankheits- und Urlaubsfällen nicht jedes Mal Tausende von Menschen leiden müssen", sagte sie in der Sendung "Forum Politik" des TV-Senders Phoenix und des Deutschlandfunks.
Sie sei sehr froh, "dass die Bahn sich mit aller Ernsthaftigkeit der Sache angenommen hat". Die Beeinträchtigungen in Mainz seien ein "sehr ernstes Problem", sagte Merkel. "Die Bahn ist für viele Menschen lebenswichtig für die Ausübung ihres Berufs."
Derweil hat die Bahn Linderung versprochen. Allerdings kann sie die Beeinträchtigungen am Hauptbahnhof der Landeshauptstadt nicht sofort ganz stoppen. Die Bahntochter DB Netz kündigte nach einem Krisengipfel Verbesserungen ab der kommenden Woche an. Ab 30. August wolle sie dann wieder zum normalen Betrieb zurückkehren, falls nicht weitere Fahrdienstleiter krank würden, sagte DB Netz-Chef Frank Sennhenn. Zuvor hatte das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) dem Unternehmen ein Ultimatum gestellt.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD, l-r), DB Netz-Chef Frank Sennhenn, Verkehrsminister Roger Lewentz (SPD) und der Vorsitzende der Eisenbahngewerkschaft, Alexander Kirchner, nach dem Krisengipfel.
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Bereits ab Samstag (17. August) gilt zumindest an den Wochenenden wieder der normale Fahrplan, ab Montag (19. August) dann auch nachts, wie die Bahn weiter mitteilte. Zum Schulbeginn von Montag an sollen zwischen 06.00 und 08.00 Uhr dann 85 Prozent der Züge fahren, zwischen 08.00 Uhr und 20.00 Uhr aber weiter nur 60 Prozent. Bisher ist offen, ob alle Schüler auch wieder planmäßig nach Hause kommen. Dazu ist ein weiteres Treffen geplant. Seit über einer Woche gibt es Zugausfälle und Umleitungen in Mainz. Zunächst war knapp die Hälfte der 15 Fahrdienstleiter des Stellwerks krank oder im Urlaub, einer ist laut Bahn-Tochter DB Netz inzwischen aus dem Urlaub gekommen.
Personaldecke mitunter "sehr dünn"
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) zeigte sich nicht ganz zufrieden und forderte vom Bund als Eigentümer, weniger Geld aus der Bahn herauszuziehen. Es bedürfe mehr, "einen Betrieb eben gut zu fahren als regelmäßig Dividende daraus zu ziehen". Der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) kritisierte: "Das ist bei weitem noch nicht genug."
Bahnchef Rüdiger Grube macht die Personalprobleme zur Chefsache und wird am Mittwoch mit dem Vorstand der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft in Frankfurt darüber sprechen. Der Konzernbetriebsrat der Bahn forderte, dass personelle Engpässe schnellstmöglich beseitigt werden müssten. "Die Personaldecke im Konzern ist in einigen Geschäftsbereichen sehr dünn", teilte Vizechefin Heike Moll mit.
Bahn muss Behörde fortlaufend berichten
Angesichts der massiven Probleme hatte das Eisenbahn-Bundesamt die Bahn angewiesen, "unverzüglich" den uneingeschränkten Betrieb des Stellwerks wieder aufzunehmen. Unverzüglich bedeute dabei ein Handeln ohne "schuldhaftes Zögern", bestätigte eine Sprecherin der Behörde einen Bericht des "Handelsblattes". Die Bahn müsse zudem künftig verhindern, dass Ausfälle durch fehlendes Personal ausgelöst werden können. Seit über einer Woche plagen den Mainzer Hauptbahnhof Zugausfälle und Umleitungen.
Das EBA sieht in den Problemen der Sprecherin zufolge auch einen möglichen Gesetzesverstoß der verantwortlichen Bahn-Tochter DB Netz. So sei die Bahn verpflichtet, ihre Infrastruktur in einem betriebssicheren Zustand zu halten, hieß es weiter. Dazu gehöre auch, dass "genügend und qualifiziertes Personal zur Verfügung steht". Die DB Netz habe durch die angeordnete Nutzungseinschränkung des Stellwerks den Bahnbetrieb "erheblich tangiert". Ohne Besetzung des Stellwerkes seien "netzweite Auswirkungen im Personenfernverkehr und im Güterverkehr" zu erwarten.
Das EBA verpflichtete die Bahn, fortlaufend über ihre Maßnahmen zur Behebung der Probleme zu berichten. Für den Fall, dass die DB Netz nicht alles ihr Mögliche und Zumutbare zur ausreichenden Besetzung des Stellwerks unternehme, drohte die Behörde mit weiteren Schritten gegen die Bahn.
Ramsauer schiebt Schuld auf SPD
Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) wies unterdessen Vorwürfe einer Mitschuld zurück. Zu Zeiten von Rot-Grün hätten der damalige Finanzminister und heutige SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sowie Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) eine Privatisierung des Konzerns vorangetrieben. Dabei sei Personal "sträflich heruntergefahren" worden, sagte er. Seit 2010 würden Mitarbeiterzahlen und Investitionen erhöht.
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle forderte eine grundlegende Umstrukturierung der Bahn und sprach in der Mainzer "Allgemeinen Zeitung" von einer "internationalen Blamage", einem "unglaublichen Zustand, für den die Menschen kein Verständnis haben". Es helfe jetzt nicht, einen Bahn-Vorstand abzusetzen, vielmehr müsse die Bahn-Struktur mit ihrer staatlichen Absicherung "grundlegend unter die Lupe genommen werden", forderte er.
Kritiker sehen die Börsenpläne des früheren Bahn-Chefs Hartmut Mehdorn als eine der Hauptursachen der aktuellen Missstände. Als Sofortmaßnahme unterstützt Brüderle unterdessen den Vorschlag von FDP-Generalsekretär Patrick Döring, notfalls Bahn-Mitarbeiter aus dem Urlaub zu holen.
Gewerkschafter lehnen genau diesen Lösungsversuch strikt ab: Die Mitarbeiter in den Stellwerken dürften nicht für die Fehlentscheidungen des Konzerns verantwortlich gemacht werden, heißt es. Die Bahn-Fachkräfte seien ohnehin schon seit Jahren überlastet und hätten sich ihren Erholungsurlaub verdient.
"Erzwingen können wir es nicht"
Uwe Reitz, Sprecher der Eisenbahn-Gewerkschaft EVG, sagte, die Fahrdienstleister seien am meisten durch den Überstundenberg genervt, der nicht abgebaut werde. Außerdem würden ihre Dienstpläne wegen der dünnen Personaldecke ständig geändert. Das sei nicht mehr zumutbar.
Bei der Bahn hieß es, man habe mit den betreffenden Mitarbeitern Gespräche geführt, ob sie bereit seien, vorzeitig zurückzukehren. Die Appelle des Arbeitgebers führten bislang offenbar nicht zum Erfolg. Es werde weitere Gespräche geben, sagte ein Bahn-Sprecher. "Erzwingen können wir es nicht." Tatsächlich können die Bahner nicht einfach zum Abbruch ihres Urlaubs verpflichtet werden. Für Bahn-Kunden, Touristen, Gelegenheitsreisende und Pendler bleibt der Fahrplan am Mainzer Hauptbahnhof damit bis auf Weiteres stark ausgedünnt.
In der Stadt Mainz selbst und der gesamten Region liegen unterdessen die Nerven blank: Der Oberbürgermeister der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt, Michael Ebling, stellte der Bahn ein Ultimatum. "Wir erwarten, dass die peinliche Situation am Mainzer Hauptbahnhof noch im Laufe dieser Woche beendet wird", sagte der SPD-Politiker. Der rheinland-pfälzische Verkehrsminister Roger Lewentz (SPD) warf der Bundesregierung "absolutes Versagen" vor.
Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin gab Ramsauer die Schuld am Bahnchaos. "Peter Ramsauer hat durchgehend versagt", sagte er. Beim Sparkurs für die Bahn habe er vergessen, dass es Menschen brauche, wenn Züge fahren sollen.
Personalprobleme auch an anderen Stellen
Grundsätzlich bleibt das Problem mit personellen Engpässen in den Stellwerken offenbar längst nicht nur auf Mainz beschränkt. "Wir haben bundesweit eine angespannte Situation", räumte DB-Netz-Vorstandschef Frank Sennhenn ein. Unter den aktuell herrschenden Bedingungen ist es demnach unter ungünstigen Umständen ohne weiteres möglich, dass auch weitere - möglicherweise noch dichter befahrene - Verkehrsknotenpunkte der Bahn von ähnlichen Ausfallerscheinungen betroffen sein könnten.
Laut Gewerkschaft GDL fehlen zudem auch mindestens 800 Lokführer. Man werde im nächsten Tarifvertrag mit dem Unternehmen eine verbindliche Personalplanung vereinbaren, sagte der Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer Claus Weselsky. Die bislang vereinbarten Einstellungsquoten reichten nicht aus, um die Abgänge der kommenden Jahre zu kompensieren. In den vergangenen Jahren sei die Zahl der Überstunden bei den aktuell rund 22.500 Lokführern auf mehr als drei Millionen in diesem Jahr angewachsen. Auch bei den privaten Bahnen mit rund 4500 Lokführern fehlten rund 200 Stellen.
Quelle: ntv.de, mmo/jwu/AFP/dpa