Wirtschaft

"Stinker" in der SchweinezuchtFerkel-Halter fürchten Betäubungspflicht

27.09.2018, 13:32 Uhr
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Messereinsatz im Schweinestall: Ab Januar 2019 ist die betäubungslose Kastration von Ferkeln verboten. (Foto: picture alliance/dpa)

Am 1. Januar 2019 tritt das neue Gesetz zur Ferkelkastration in Kraft. Wenige Wochen vor dem Stichtag formiert sich unter Schweinehaltern dagegen Protest. Die Landwirte fürchten erhebliche Mehrkosten. Mögliche Alternativen, heißt es, seien noch nicht ausgereift.

Für die einen ist es ein Ende der Ferkelqual, die anderen fürchten den Untergang ihres Berufes: Vom 1. Januar 2019 an dürfen in Deutschland keine Ferkel mehr ohne Betäubung kastriert werden. Verboten ist es eigentlich schon seit der Änderung des Tierschutzgesetzes 2013, aber der Gesetzgeber ließ die jahrhundertealte Praxis, männliche Ferkel mit einem kleinen Schnitt von Bauernhand zu kastrieren, noch übergangsweise zu. Eine Initiative des Freistaats Bayern, die Ausnahmegenehmigung noch zu verlängern, hatte der Bundesrat vergangene Woche abgelehnt.

Dass die Agrarminister bei der laufenden Agrarministerkonferenz im westfälischen Bad Sassendorf das Ruder doch noch umwerfen, ist eher unwahrscheinlich - die Schweinebauern hoffen trotzdem drauf. Aus Sicht vieler Sauenhalter ist das Treffen der Landwirtschaftsminister aus den 16 Bundesländern - bei dem für die Minister noch andere Themen auf der Agenda stehen - so etwas wie die letzte Chance, das wirtschaftliche Aus doch noch zu verhindern. Auch deswegen sind heute zahlreiche Bauern zu einer Kundgebung in die nordrhein-westfälische Gemeinde zwischen Dortmund und Paderborn angereist.

Um den von vielen Verbrauchern als eklig oder abstoßend empfundenen Ebergeruch zu vermeiden, der bei etwa fünf Prozent der Tiere vorkommt, werden männliche Mastschweine kurz nach der Geburt vom Bauern kastriert. Früher hieß es, dass die Tiere den kleinen Schnitt schnell überwinden. Heute verbietet es das Gesetz, den Tieren vermeidbare Schmerzen zuzufügen. Warum also werden die konventionell gehaltenen Schweine vor der Kastration nicht einfach betäubt, wie es in der Biohaltung getan wird? Die Antwort der konventionellen Bauern: Die Kosten sind hoch, und es gibt nicht genügend Tierärzte für die vielen konventionellen Betriebe.

In Dänemark und Schweden gibt es noch einen anderen Weg. Dort sind es die Landwirte, die ihre Ferkel lokal betäuben, bevor sie sie kastrieren - ohne einen Veterinär heranziehen zu müssen. Tierschützer feiern es als Sieg, dass die Ferkel überhaupt betäubt werden müssen. Dass die Bauern das selbst tun, wird bei den Nachbarn in Dänemark nicht infrage gestellt. Das Vorgehen wurde sogar von Dyrenes Beskyttelse, Dänemarks größter und ältester Tierschutzorganisation, selbst ins Spiel gebracht.

Vehemente Ablehnung

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Für Tierschützer ist die Ferkelkastration ohne Betäubung Tierquälerei. (Foto: dpa)

Der Verband der dänischen Schweineproduzenten hat sich inzwischen gut mit der Regelung arrangiert. Die Schweinemäster haben sich selbst auferlegt, dass die Ferkel lokal betäubt werden müssen. Gesetzlich vorgeschrieben ist die lokale Betäubung nicht. Um das begehrte Label zu erhalten, das eine Produktion in Dänemark attestiert, kommen die dänischen Schweinehalter vom 1. Januar 2019 an jedoch an der Betäubung nicht mehr vorbei.

Bauern, die ihre Schweine selbst lokal betäuben wollen, dürfen das seit Anfang 2018, müssen aber vorher einen Kurs mit theoretischem und praktischem Teil belegen. Das pragmatische Vorgehen bietet auch greifbare Vorteile, heißt es. Durch die lokale Betäubung verlaufe die Heilung schneller und es gebe weniger Komplikationen, erklärte der Verband. Unterm Strich bleiben den Haltern mehr Tiere erhalten als in der bisherigen Praxis ohne Betäubung.

Die Schweinezucht ist für Dänemark ein wichtiger Wirtschaftszweig. 2016 wurde laut Landwirtschaftsministerium Fleisch für 30 Milliarden Kronen, also umgerechnet rund vier Milliarden Euro, exportiert. Auch in Schweden müssen die Ferkel seit 2016 vor der Kastration lokal betäubt werden. Auch hier machen das die Landwirte selbst, nach einer entsprechenden eintägigen Ausbildung. In Norwegen sind Bestimmungen etwas anders. Hier gilt die Betäubungspflicht sogar schon seit Herbst 2002, betäubt wird allerdings durch Tierärzte.

In Deutschland wird der "dänische Weg" von Tierschützern und Tierärzten vehement abgelehnt. So sieht die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz in der Lokalanästhesie eine hochgradig schmerzhafte Behandlung, die die Tiere unnötig stresse. Auch aus Sicht der Bundestierärztekammer erfüllt die Methode nicht die Voraussetzungen des deutschen Tierschutzgesetzes, ebenso äußert sich der Deutsche Tierschutzbund.

"Stinker" im Schlachthof

Die Ablehnung der dänischen Lösung von Tierärzten und Tierschützern stößt wiederum auf scharfe Kritik der betroffenen Landwirte und der Fleischindustrie. Wie kann es sein, dass ein von Tierschützern in einem Land selbst vorgeschlagenes Verfahren von Tierschützern im Nachbarland abgelehnt wird? "Eine Methode, die in Dänemark oder den Niederlanden die Akzeptanz der Verbraucher und der Politik hat, sollte diese Akzeptanz auch in Deutschland haben", sagt der Sprecher des deutschen Schlachthof-Marktführers Tönnies, André Vielstädte.

Seit einigen Jahren werden zwei weitere Alternativen diskutiert und ausprobiert: Einmal das Mästen von Ebern - die "Stinker" werden dann im Schlachthof von speziell geschulten Mitarbeitern aussortiert. Und es gibt die sogenannte Immunokastration, eine Art Impfung der Tiere gegen den Ebergeruch. Bei der Beurteilung der zwei Alternativen gibt es auch innerhalb der Tierschutzszene und der Tierärzteschaft unterschiedliche Meinungen, aber im Großen und Ganzen sehen Tierschützer diese Methoden als mögliche Lösung.

Veterinäre und Tierrechtsaktivisten fordern schon seit Jahren, ganz auf chirurgische Kastration zu verzichten. Die Betäubungspflicht könne nur ein erster Schritt sein, heißt es. Die Kastration durch eine Impfung zu ersetzen, also die Immunokastration, sei prinzipiell möglich, setze aber Akzeptanz der Verbraucher voraus. Und das sei fragwürdig. Verwiesen wird auch auf eine Untersuchung an 55 Tieren, nach der eine Vollnarkose wegen der schwierigen Dosierung für den massenhaften Einsatz in der Praxis nicht geeignet sei.

"Das kannst du keinem erklären"

Die deutschen Landwirte fürchten, im Vergleich mit ihren Kollegen aus den Nachbarländern ins wirtschaftliche Hintertreffen zu geraten. Heinrich Dierkes, Vorsitzender der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN), warnt vor massenhaften Betriebsaufgaben im Bereich der Sauenhalter und Ferkelerzeuger in Deutschland, sollte es nicht doch noch eine Fristverlängerung bei der Ferkelkastration geben. Alle Alternativen zur betäubungslosen Kastration seien noch nicht ausgereift und bedürften weiterer Forschung, argumentiert er.

Teurer als die Betäubung seien sie obendrein, die Mehrkosten ließen sich auf dem derzeitigen Markt nicht hereinholen. "Was passiert am 1. Januar: Wir stigmatisieren die deutschen Tierhalter und nehmen Ferkel von dänischen Landwirten, die genau das tun, was wir nicht dürfen - das kannst du keinem Bauern erklären", sagt er.

Der Deutsche Tierschutzbund sieht den Handel gefragt: Der könnte durch Auflagen nur noch Fleisch von Tieren akzeptieren, die nach den in Deutschland zulässigen Betäubungsverfahren kastriert wurden, gibt Präsident Thomas Schröder zu Bedenken. Aber an dem Verbot vom 1. Januar an müsse festgehalten werden. "Wer daran rumfummelt, verlängert das Leid für die Ferkel, verschlechtert damit im Grundsatz die Tierschutzvorgaben und verstößt damit auch gegen das Staatsziel Tierschutz."

Quelle: psa/dpa

LandwirtschaftTierschutzJulia Klöckner