Fast 77 Milliarden Euro Kosten durch kranke Angestellte enorm gestiegen
13.09.2024, 13:46 Uhr Artikel anhören
Menschen in Deutschland sind immer länger krank.
(Foto: IMAGO/Zoonar)
Deutschland verzeichnet einen sehr hohen Krankenstand. Dafür gibt es mehrere Gründe. Die telefonische Krankschreibung ist einer davon. Einer Studie zufolge kostet der Ausfall kranker Angestellter die deutsche Wirtschaft Dutzende Milliarden Euro.
So viele Beschäftigte wie nie, deutlich gestiegene Löhne sowie ein hoher Krankenstand: Die Kosten der Arbeitgeber für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sind laut einer Schätzung im vergangenen Jahr auf eine Rekordsumme von fast 77 Milliarden Euro gestiegen. Damit hätten sich die Kosten binnen 14 Jahren mehr als verdoppelt, erklärte das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) - allerdings nominal, also nicht preisbereinigt.
Das IW beruft sich in der Studie auf Daten des Bundesarbeitsministeriums und der Betriebskrankenkassen. Demnach verzeichnete der Dachverband der Betriebskrankenkassen im Jahr 2010 durchschnittlich 13,2 Kalendertage, an denen beschäftigte Mitglieder ein ärztliches Attest vorlegten - 2022 seien es schon 22,6 Tage gewesen. Eine Stichprobe lege nahe, dass der Krankenstand 2023 kaum gesunken sei.
Mehrere Einflussfaktoren verantwortlich
Der Anstieg des Krankenstands lasse sich auf verschiedene Einflussfaktoren zurückführen, heißt es in der IW-Studie: In alternden Belegschaften sei damit zu rechnen, dass Krankheitsbilder gehäuft auftreten, die mit zunehmendem Alter öfter vorkommen.
Auch der Anteil der psychischen Erkrankungen an allen Arbeitsunfähigkeitstagen habe kontinuierlich zugenommen; gleichzeitig führten diese zu besonders langwierigen Ausfallzeiten von durchschnittlich 40,4 Kalendertagen. Und schließlich sei bis heute nicht abschließend geklärt, welchen Einfluss die Corona-Pandemie auf die Krankenstand-Entwicklung hat.
Missbrauch telefonischer Krankschreibung vorbeugen
Der Autor der Studie, Jochen Pimpertz, sprach sich dafür aus, die Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung einzuschränken und so "potenziellem" Missbrauch vorzubeugen. Die telefonische Krankschreibung solle nur der Hausarzt oder ein in Deutschland ansässiger Arzt ausstellen dürfen. Bei Atemwegserkrankungen während eines Auslandsurlaubs sollte Beschäftigten der Besuch eines ortsansässigen Arztes "zugemutet werden".
Legen erkrankte Beschäftigte innerhalb von drei Tagen ein ärztliches Attest vor, wird das Gehalt für bis zu sechs Wochen vom Arbeitgeber weitergezahlt. Diese Bescheinigung kann bei Atemwegserkrankungen vom Arzt auch nach einem Telefonat ausgestellt werden. Dauert die Genesung länger als sechs Wochen, zahlen die Krankenkassen im Anschluss ein Krankengeld in Höhe von 70 Prozent des regelmäßigen Bruttoentgelts - längstens bis Ende der 72. Woche.
Die Entgeltfortzahlungen im Krankheitsfall betrugen für die Arbeitgeber im vergangenen Jahr geschätzt 64,8 Milliarden Euro brutto. Dazu kamen laut IW noch geschätzt 11,9 Milliarden Euro an Sozialversicherungsbeiträgen - insgesamt also 76,7 Milliarden Euro.
FDP-Chef Christian Lindner plädiert für die Abschaffung der telefonischen Krankschreibung. "Man wird für die Krankmeldung zukünftig wieder zum Arzt gehen müssen und das nicht einfach nur telefonisch erledigen können", sagte der Finanzminister. Er wolle niemandem vorwerfen, die Regelung auszunutzen. Es gebe aber leider "eine Korrelation zwischen dem jährlichen Krankenstand in Deutschland und der Einführung der Maßnahme, die als guter Bürokratieabbau gedacht war".
Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband kritisierte Lindners Äußerungen. Man könne die Aussagen nicht nachvollziehen, sagte der Vorsitzende Markus Beier der Deutschen Presse-Agentur. Die Einführung der Regelung sei medizinisch und versorgungspolitisch eine absolut richtige und sinnvolle Entscheidung gewesen. Unterstellungen, dass sich Menschen damit einen schlanken Fuß machten, könne man aus der täglichen Arbeit nicht bestätigen.
Beier warnte vor der Gefährdung einer Regelung, "die unsere Praxen wie auch unsere Patientinnen und Patienten gerade in den extremen Infektmonaten entlastet und eine der wenigen politischen Maßnahmen ist, die aktuell wirklich Bürokratie reduziert." Es sei bekannt, dass sich die gestiegene Zahl der Krankschreibungen in großen Teilen auf die elektronische Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zurückführen lasse. Dadurch würden nun auch Krankschreibungen erfasst, die die Kassen früher nie erreicht hätten.
Quelle: ntv.de, mba/AFP/dpa