Wirtschaft

Finanzielle Gewalt gegen Frauen "Männern die ganze Verantwortung zu übertragen, ist auch unfair"

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Finanzielle Bildung ist  laut Natascha Wegelin ganz klar der Weg hinaus aus finanzieller Gewalt.

Finanzielle Bildung ist laut Natascha Wegelin ganz klar der Weg hinaus aus finanzieller Gewalt.

(Foto: IMAGO/Zoonar)

Wenn Partner ihre finanzielle Abhängigkeit missbrauchen, üben sie Gewalt aus. Noch immer trifft sie hauptsächlich Frauen. Im Interview erklärt Natascha Wegelin, warum es fatal ist, sich nicht mit Finanzen beschäftigen zu wollen und wie Paare eine finanzielle Schieflage ausgleichen können.

ntv.de: Wenn Menschen körperliche Gewalt anwenden, schlagen sie zu. Gerade in einer Paarbeziehung kann aber auch finanzielle Gewalt ausgeübt werden. Wo fängt diese Form an?

Natascha Wegelin: Finanzielle Gewalt wird immer dann ausgeübt, wenn monetäre Abhängigkeit ausgenutzt wird. Sie ist deswegen eine Form des Machtmissbrauchs. Finanzielle Abhängigkeit kann für beide Seiten okay sein, wenn Partner sich darauf einigen, dass einer zu Hause bleibt und der andere sich dafür beispielsweise um die Kinder kümmert. Diese Art von Teamwork ist nicht per se schlecht. In dem Moment, indem der eine Partner diese Abhängigkeit allerdings ausnutzt, wird finanzieller Gewalt ausgeübt.

Wie lässt sich das verhindern?

Natascha Wegelin ist Gründerin und Geschäftsführerin der Madame Moneypenny GmbH.

Natascha Wegelin ist Gründerin und Geschäftsführerin der Madame Moneypenny GmbH.

Um nicht finanziell abhängig von seinem Partner zu sein, rate ich jedem zu einem eigenen Konto. Sollte sich ein Paar für ein gemeinsames Konto entscheiden, müssen auch beide darauf Zugriff haben. Ist das nicht der Fall und jemandem wird der Zugriff verwehrt, dann ist das eine Form von Ausbeutung. Hier wird Abhängigkeit missbraucht. Finanzielle Gewalt ist es aber zum Beispiel auch, wenn ein Partner Briefe vom Finanzamt abfängt, ein zusätzliches Einkommen verschwiegen wird oder ein Mann seiner Ex-Frau keinen Unterhalt für die Kinder mehr zahlt. Die Lösung kann zum Beispiel darin liegen, nicht auf ein eigenes Konto zu verzichten und einer Arbeit nachzugehen, auch wenn es für die Familie auf den ersten Blick finanziell nicht so viel Sinn macht. Allein schon, um weiter in die Rentenkasse einzuzahlen.

Wer ist finanzieller Gewalt besonders oft ausgesetzt?

Es gibt kaum Studien und Statistiken zu dem Thema. Damit jemand seine Macht missbrauchen kann, muss er aber erstmal mehr Macht haben als sein Partner. Und das ist in unserem System häufiger der Mann als die Frau. Eine alleinerziehende Mutter, die jeden Monat auf ihren Unterhalt wartet, ist am häufigsten von finanzieller Gewalt betroffen. Eine der wenigen Studien, die sich mit dem Thema beschäftigt, hat herausgefunden: Von den 2021 wegen Verletzung der Unterhaltspflicht Tatverdächtigen sind rund 94 Prozent Männer und 6 Prozent Frauen.

Wird finanzielle Gewalt immer bewusst ausgeübt?

Einerseits gibt es sicherlich Paare, denen es nicht bewusst ist, dass es in ihrer Beziehung finanzielle Gewalt gibt. Für sie ist es zum Beispiel ganz normal, dass sich der Mann um die Finanzen kümmert und die Frau kein eigenes Konto hat. Einigen von ihnen fehlt vielleicht auch einfach die finanzielle Bildung. Ich möchte gerne glauben, dass niemand absichtlich finanzielle Gewalt ausübt. Wenn wir finanzielle Gewalt aber so definieren, dass die Abhängigkeit absichtlich missbraucht wird, dann ist ein Wirtschaften auf Augenhöhe nicht gewollt. Wenn ein Mann seiner Frau den Zugriff auf das gemeinsame Konto verweigert und ihr stattdessen ein Taschengeld auszahlt, dann hat er kein Interesse an Augenhöhe

Gewalt ist ein starkes Wort. Ist der Begriff zutreffend?

Ich finde schon. Oftmals wird gerade Unrecht, das Frauen angetan wird, sprachlich verharmlost. Dann ist etwa die Rede von ‚Gewalt gegen Frauen‘ oder ‚häuslicher Gewalt‘. Die männlichen Täter werden hier gar nicht benannt. Den harschen Begriff ‚finanzielle Gewalt‘ finde ich deswegen um einiges besser als etwa ‚finanzielle Ungerechtigkeit‘. Wenn jemand ausgebeutet wird und keine Chance hat sich daraus zu befreien, dann ist das Gewalt

Ist Betroffenen bewusst, dass ihnen Gewalt angetan wird?

Hier liegt, glaube ich, das Problem. Etlichen Betroffenen ist es gar nicht bewusst, dass ihnen Unrecht geschieht. Ich fürchte, dass manche Frauen zu viel mit sich machen lassen und nicht genug für sich einstehen. Gleichzeitig sind sie klar die Opfer und sollten sich nicht einreden lassen, sie seien selbst schuld.

Sind jüngere Frauen mehr vor finanzieller Gewalt gefeit als ältere?

Sicherlich spielt eine sehr traditionelle Rollenverteilung, wie wir sie von unseren Eltern und Großeltern vorgelebt bekommen, finanzieller Gewalt in die Karten. Wenn sich eine monetäre Abhängigkeit gar nicht vermeiden lässt, sollten Frauen sich mindestens über einen Ehe- oder Partnerschaftsvertrag rechtlich auch wasserdicht absichern.

Viele Frauen sagen, sie wollen sich erst gar nicht mit Finanzen beschäftigen.

Das ist eine absolute Verweigerung von Verantwortung. Es reicht nicht, wenn sich einer in der Beziehung mit Finanzen auseinandersetzt. Ich möchte an alle Frauen appellieren: Es ist eure Verantwortung. Ihr seid eigenständige Menschen. In dieser Verweigerungshaltung schwingt sicherlich auch viel Angst mit. Männer sind aber nicht per se qualifizierter. Sie kommen nicht mit einem angeborenen Finanz-Gen auf die Welt. Männern die ganze Verantwortung zu übertragen, ist auch unfair. Alle Finanzen im Blick zu haben, ist eine ziemlich große Verantwortung.

Welche Rolle spielt Finanzbildung? Es gibt inzwischen immer mehr Angebote, die sich speziell an Frauen richten.

Finanzielle Bildung ist ganz klar der Weg hinaus aus finanzieller Gewalt. Wenn der Ex-Partner einer Mutter seit fünf Monaten allerdings keinen Unterhalt zahlt, ist der erste Gang wahrscheinlich erstmal zur Anwältin. Da nützt auch ein Finanzbuch nichts. Ohne eine existenzielle Bedrohung ist Finanzbildung aber natürlich extrem hilfreich, um auf eigenen Beinen zu stehen. Gerade die speziellen Angebote für Frauen sind gute Anlaufstellen, um eine Abhängigkeit aufzulösen: Durch ein eigenes Konto, durch ein eigenes Vermögen, durch eine eigene Rentenversicherung und dadurch, dass mein Name im Grundbuch steht.

Wie können Paare eine finanzielle Schieflage ausgleichen?

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Im Optimalfall verfügt die Frau über Vermögen im eigenen Namen. Darüber hinaus kann das Drei-Konten-Modell für Transparenz sorgen. Dieses Modell besagt, dass Einkommen oder Elterngeld auf einem Gemeinschaftskonto landet. Von diesem Konto werden etwa Miete, Lebensmittel oder Urlaube bezahlt. Was übrig bleibt, wird auf die einzelnen Konten fair aufgeteilt. Dieses Geld steht jedem dann zur freien Verfügung. Wenn ein Paar Interesse hat, sich eine Beziehung auf Augenhöhe aufzubauen, dann liegt das für mich auf der Hand.

Mit Natascha Wegelin sprach Juliane Kipper

Quelle: ntv.de

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