Sind Innenstädte noch zu retten? "Menschen wollen Orte, wo sie nichts kaufen müssen"
15.04.2023, 13:07 Uhr Artikel anhören
Selbst auf der einst erfolgreichen Frankfurter Zeil müssen Warenhäuser schließen. Die Einzelhandelsumsätze sind in manchen Bereichen bis zu 20 Prozent niedriger als vor der Pandemie.
(Foto: picture alliance / Jochen Tack)
Mit dem großen Kaufhaussterben wächst die Angst vor toten Innenstädten. "Es wird jetzt viel experimentiert", sagt Thomas Krüger von der Hafencity Hamburg ntv.de. Er sieht Vorzeigeprojekte, aber auch Orte, die verlieren werden. Zum Glück sei es noch nicht so, "dass Innenstädte komplett ausgestorben sind". Innenstädte seien für Menschen wichtig und stehen auch für die Identität ihrer Heimatstadt, sagt der Professor für Stadtplanung ntv.de. Sie zum Teil neu zu erfinden wird ein Kraftakt, ist er sich sicher. Für ihn ist klar: "Maximalrenditen sind hier für Investoren nicht mehr drin."
ntv.de: Das Kaufhaussterben und der Überlebenskampf von Galeria Kaufhof und Peek und Cloppenburg schüren Ängste vor zugenagelten Innenstädten. Neu ist das Thema allerdings nicht, es ist nur lange nichts passiert, oder?
Thomas Krüger: Das ist richtig, hier ist viel Zeit tatenlos verstrichen. Der Niedergang der Warenhäuser begann bereits direkt nach dem Höhepunkt des Formats in den frühen 70er Jahren. Die Warenhäuser haben damals bis zu 6 Prozent der gesamten Kaufkraft gebunden, heute sind es nur noch etwa 1,5 Prozent. Innenstadt, das war gleichbedeutend mit Karstadt oder Hertie. Dann kamen die spezialisierten Ketten wie H&M oder Mediamarkt auf. Sie haben eine breitere Produktpalette in ihrem jeweiligen Segment und sind viel flexibler und schneller am Markt. Die Warenhäuser haben die Zeichen der Zeit einfach nicht erkannt und es wurde nicht investiert. So etwas merken die Konsumenten. Zwei Dinge haben den Niedergang allerdings auch sehr beschleunigt: die Lockdowns in der Pandemie und die Verlagerung des Konsums ins Internet. Die Menschen sind zwar nach Corona in die Zentren zurückgekehrt, aber sie kaufen hier deutlich weniger ein.
Ab wann gilt eine Innenstadt denn als verödet, wann sollten in den Städten und Kommunen die Alarmglocken schrillen?
Spätestens, wenn Ein-Euro-Shops, Spielhallen und Fastfood sich einmieten. "Downtrading", wie es genannt wird, ist die Vorstufe, dass ein Zentrum uninteressant wird. Vermieter finden immer schwieriger Mieter, Kunden kein interessantes Angebot und am Ende gibt es Leerstand.
Sie sind Stadtplaner. Welche Ideen haben Sie, um den Prozess der Verödung in den Stadtzentren aufzuhalten, wenn das Warenhauskonzept tot ist?
Also, noch gibt es Hoffnung. International gibt es ja erfolgreiche Warenhausanbieter. Auch bei uns wurde das Format schon mal wiederbelebt: durch das Shop-in-Shop-System. Aber davon unabhängig haben wir Glück, weil die Innenstädte bislang nicht komplett ausgestorben sind. Die Menschen wollen eine Innenstadt. Was sie dort aber immer weniger wollen ist nur Shoppen. Sie wollen einen Ort, wo sie sich gerne aufhalten, wo sie Menschen treffen, aber nicht immer Geld ausgeben müssen. Städte müssen ihre Zentren also zum Teil neu erfinden. Die Qualität für Aufenthalt, Begegnung und Erlebnis muss verbessert werden. In der Innenstadt muss etwas stattfinden, wo ich zuschauen oder sogar teilhaben kann: Das können Konzerte, Tanz, Straßentheater, Sport und Spiel oder andere Dinge sein.
Der Ehrlichkeit halber muss man sagen: Das nette Beisammensein bringt der Wirtschaft aber kein Geld und die Städte müssen dazu noch viel investieren, um die Orte attraktiv zu machen. Ist das dann nicht utopisch?
Die Kosten sind ein großes Problem. Aber für viele Menschen sind die Innenstädte der wichtigste Anlaufpunkt. Innenstadt, das ist der "Marktplatz" der Gesellschaft, Markt im Sinne von Wirtschaft, Politik, Begegnung und Kultur. Es geht hier auch um Identität.
Wie stark begleiten die Kommunen denn den Prozess der Erneuerung?

Prof. Dr.-Ing. Thomas Krüger leitet seit 2000 das Arbeitsgebiet Projektentwicklung und Projektmanagement im Fachbereich Stadtplanung an der Hafencity Universität Hamburg. Schwerpunkte der Forschung sind die Wechselwirkungen von Immobilien- und Stadtentwicklung.
In den letzten Jahren haben die meisten Städte gemerkt, dass sie sich darum kümmern müssen. Allen ist klar: Niedergang, Leerstand und Verfall der Innenstadt sind ein fatales Signal für die ganze Stadt. Das Problem ist, dass die Grundstücke größtenteils privaten Eigentümern, auch Großinvestoren wie René Benko gehören, die rein wirtschaftlich arbeiten. Der Stadt gehören nur die Straßen und Plätze, das Rathaus und vielleicht ein Museum. Mehr nicht. Deshalb ist es wichtig, dass Geschäftsleute, Eigentümer und Stadt zusammenarbeiten. Hilfreich wäre auch eine Startup-Kultur: Neue Geschäftideen, die Laden- und Online-Geschäft kombinieren, der Umbau von Bibliotheken zu Medienzentren oder Theater auf dem Marktplatz. Shakespeares Theater war ein Straßentheater! Diesen kreativen Menschen könnte geholfen werden: beispielsweise mit einer Zwischennutzung von Gebäuden oder der Übernahme von Schlüsselimmobilien. Maximalrenditen sind da natürlich für Investoren nicht mehr drin. Der Ort für die Gesellschaft und nicht der Ort des Konsums muss gestärkt werden. Meines Erachtens wäre auch das Öffnen öffentlicher Kultureinrichtungen in den Innenstädten wichtig, zumal wir die mit Steuergeldern sowieso bezahlen.
Welche Leuchtturmbeispiele für eine erfolgreiche innovative Erneuerung der Innenstädte gibt es denn, die Mut machen könnten?
Interessant finde ich das Core in Oldenburg in Niedersachsen. Eine alte Hertie-Immobilie am Rande der Innenstadt, also in ganz schlechter Lage. Das Core ist heute eine erfolgreiche Begegnungsstätte. Treppen führen gleich in den ersten Stock. Besucher müssen nicht durch die schlechte Warenhausluft, die jeder kennt. Im Erdgeschoss gibt es Gastronomie und Veranstaltungsräume. Im Obergeschoss Coworking-Spaces. Es gibt Bio-Läden und vieles mehr. Im Mainz entsteht der Boulevard Lu, ein ehemaliges Karstadt-Gebäude, das ein regionaler Investor erworben hat. Auch hier gibt es ein sehr interessantes Mischkonzept. Karstadt ist auf reduzierter Fläche geblieben.

Dachterrasse mit Café und einer Entspannungs-Oase auf dem Dach des Warenhauses "Salling" in Aarhus.
(Foto: picture alliance/dpa)
Wie in Aarhus in Dänemark laufen die Menschen durch das Haus und haben Zugang zu einer kostenlosen Aussichtsplattform auf dem Dach. Die Handwerkskammer der Region hat dort Probierwerkstätten eingerichtet, wo Schüler sich über Handwerksberufe informieren können.
Mittlerweile sind auch eine Reihe kommerzieller Projektentwickler mit Konzepten unterwegs, die gutes Geld bringen sollen. Hier geht es dann um sogenannte Event-Spaces und hippe Begegnungsstätten für Gamer beispielsweise. Mit einem bunten Marktplatz-Milieu hat das wenig zu tun. Ist das eine Lösung für die Zukunft?
Das sind die Ausnahmen und profilierte Einzelprojekte, die vor allem für Großstädte taugen. Ich glaube, wir sind in einer Übergangsphase, wo viel experimentiert wird. Seit mindestens 20 Jahren werden Warenhäuser umgebaut und umgenutzt: im Erdgeschoss Einzelhandel, manchmal Gastronomie. Im Obergeschoss Büroflächen oder Wohnraum. Das funktioniert. Jetzt geht die Entwicklung weiter. Wir kommen in eine Phase, wo wir aus Klimaschutzgründen auch nicht mehr alles abreißen und neu bauen werden. In der Projektentwicklung lernen sie gerade erst, damit umzugehen.
Apropos Wohnraum. In den Innenstädten haben wir mehr leerstehende Gewerbeimmobilien, als allen lieb ist. Welche Rolle spielen die für die Erschließung von neuem Wohnraum?
Der große Effekt für den Wohnungsmarkt ist hier leider nicht zu erwarten. Die Gebäude müssen umgebaut werden, dabei entstehen Kosten wie für einen Neubau. Das geht also nur für eine Klientel, die sich das auch leisten kann. Es gibt wenige Ausnahmen: In Lünen beispielsweise hat eine Wohnungsbaugenossenschaft in einem alten Hertie-Gebäude günstige Wohnungen gebaut.
Können es grundsätzlich alle Städte schaffen, ihre Zentren wiederzuleben?
Das kommt es sehr darauf an, wie attraktiv eine Stadt und ihr Einzugsbereich sind. Ein Ort mit 5000 Einwohnern hat schlechte Chancen. Aber ab 20.000 Einwohnern kann es in einem Joint Venture zwischen privaten und neuen kulturellen oder gewerblichen Initiativen und Menschen gelingen. Derzeit gibt es dafür viele Fördermittel und Programme.
Mit Thomas Krüger sprach Diana Dittmer
Quelle: ntv.de