Heizen oder essen? Prepaid-Stromzähler zwingen Briten in die Kälte
21.12.2022, 17:53 Uhr
Heizrechnung unbezahlbar: Ungedämmte Häuser im Londoner Vorort Arnos Grove.
(Foto: imago images/Roberto Herrett)
Britische Energiekonzerne können die Zähler ihrer Kunden auf ein Prepaid-System umstellen. Oft sind Menschen mit kleinem Einkommen betroffen. Sie landen dann auch noch in den teuersten Tarifen. Viele sind derzeit gezwungen, auf Heizung und Strom ganz zu verzichten.
Auf dem Dach liegt Schnee, bittere Kälte umhüllt das Reihenhaus im Londoner Vorort Arnos Grove. Drinnen wärmt sich Samantha Pierre-Joseph an einem surrenden Heizlüfter. Das Gerät im Wohnzimmer ist die einzige Heizung im Haus. Mehr Wärme kann sich die 40-jährige Psychotherapeutin nicht leisten, seit ihre Energieversorgung auf ein Prepaid-System umgestellt wurde.
Die Briten leiden wie der Rest Europas an drastisch gestiegenen Strom- und Heizkosten aufgrund des russischen Überfalls auf die Ukraine. Doch manche auf der Insel trifft es besonders hart: Wer einen Prepaid-Zähler hat, zahlt noch höhere Tarife, und die Kosten verteilen sich nicht gleichmäßig übers Jahr. Bis vor Kurzem beglich Pierre-Joseph die Rechnung für Strom und Gas per Bankeinzug. Doch dann stritt sie sich mit dem Energieversorger über eine Rechnung, die sie für ungerechtfertigt hielt. Daraufhin änderte das Unternehmen die Zahlweise.
"Vor etwa sechs Wochen kam ich vom Einkaufen nach Hause, ging in meine Küche, stellte meine Taschen ab und schaute auf den Smart-Zähler", sagt Pierre-Joseph. "Und da stand 'Jetzt aufladen', was wirklich seltsam war." Pierre-Joseph, die mit ihrer erwachsenen Tochter zusammen lebt, kann jetzt nur noch Strom und Gas verbrauchen, wenn sie ihr Guthaben auflädt. Außerdem ist sie automatisch in einen höheren Tarif gerutscht. Deshalb bleibt die Zentralheizung jetzt aus - genauso wie die Lichter am Weihnachtsbaum.
Betreiber installieren Prepaid-Zähler aus der Ferne
Mehr als vier Millionen britische Haushalte sind über Prepaid-Zähler angeschlossen. Dabei handelt es sich nicht mehr um die Münzzähler von früher, sondern meist um Zähler, die online aufgeladen und von den Betreibern aus der Ferne auf Prepaid umgestellt werden können. In manchen Wohnungen sind auch noch ältere Geräte installiert, für die bei der Post oder in kleinen Läden Guthaben verkauft werden. "Haushalte mit Prepaid-Zählern sind am härtesten von der Energiekrise betroffen, weil sie die steigenden Energiekosten vom ersten Tag an im Voraus bezahlen mussten", sagt Peter Smith von der Hilfsorganisation National Energy Action. "Es ist eine teurere Zahlungsmethode im Vergleich zum Lastschriftverfahren."
Die britische Regierung zahlt in der Krise den meisten Haushalten Zuschüsse für die Energiekosten. Wer jedoch einen älteren Prepaid-Zähler hat, bekommt das Geld nicht automatisch, sondern muss es erst beantragen - was aber rund 40 Prozent der Berechtigten noch nicht getan haben. Verbraucherverbände rechnen damit, dass im Winter wegen wachsender Schulden bei den Energieversorgern hunderttausende weitere britische Haushalte gezwungen sein könnten, ihre Energiekosten im Voraus zu bezahlen.
Ruppiger Umgang mit schutzbedürftigen Verbrauchern
In Großbritannien wird säumigen Kunden nur selten der Strom oder die Heizung abgestellt. Aber das Prepaid-Verfahren läuft manchmal auf dasselbe hinaus. Denn dann stehen Arme vor der Wahl, ob sie lieber heizen oder essen und entscheiden sich meist für Letzteres. "Einige Haushalte haben einfach nicht die Mittel, ihre Energiezähler aufzuladen und stellen den Energieverbrauch in ihrem Haus ein", sagt Smith und warnt vor den gesundheitlichen Folgen. Auch die britische Energieregulierungsbehörde Ofgem zeigt sich besorgt und kritisiert den "Umgang mit schutzbedürftigen Verbrauchern". Bei der Umstellung auf Prepaid-Zahlung würden die Lebensumstände der Menschen nicht ausreichend berücksichtigt. "In extremen Fällen führte das Berichten zufolge dazu, dass schutzbedürftige Kunden für Tage oder sogar Wochen ohne Strom waren", teilte die Behörde mit.
Im Londoner Vorort Arnos Grove hat Pierre-Joseph den Energiezähler ständig im Blick. "Im Grunde genommen sind alle meine Geräte die meiste Zeit über ausgeschaltet - außer dem Kühlschrank und dem Warmwasserboiler", sagt sie. Um Strom zu sparen, kocht Pierre-Joseph nur noch alle zwei Tage. Trotzdem muss sie ihren Zähler jede Woche mit mindestens 60 Pfund, umgerechnet 69 Euro, aufladen.
Quelle: ntv.de, Von Olivier Devos, AFP