Wirtschaft

Immobilien-Pleite in China Wie lange kann sich Evergrande noch über Wasser halten?

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Es ist kompliziert: Die Frage ist, inwiefern die Liquidations-Entscheidung des Hongkonger Gerichts direkte Auswirkungen auf den Evergrande-Konzern als Ganzes haben wird.

Es ist kompliziert: Die Frage ist, inwiefern die Liquidations-Entscheidung des Hongkonger Gerichts direkte Auswirkungen auf den Evergrande-Konzern als Ganzes haben wird.

(Foto: REUTERS)

Das jahrelange Siechtum des chinesischen Evergrande-Konzerns hat ein Ende. Ein Hongkonger Gericht beschließt diese Woche die Auflösung des hoch verschuldeten Immobilienriesen. Wie geht es nun weiter? Bekommen die Gläubiger ihr Geld zurück? Und betrifft die Pleite auch deutsche Unternehmen? Die Insolvenzexpertin Elske Fehl-Weileder beantwortet die wichtigsten Fragen. Im Fokus: das komplizierte Unternehmenskonstrukt.

Frau Fehl-Weileder, eine Richterin in Hongkong hat die Liquidation des Immobilienkonzerns Evergrande beschlossen. Hongkong aber unterliegt einem anderen Rechtssystem als das chinesische Festland. Wird China die Insolvenz überhaupt anerkennen?

Elske Fehl-Weileder: Formell wird China die Insolvenz voraussichtlich anerkennen. Es gibt verschiedene Abkommen, zum Beispiel seit Kurzem ein Anerkennungsabkommen, das unter anderem für Shenzhen gilt, wo einige operative Gesellschaften der China Evergrande Group ihren Sitz haben. Trotzdem ist fraglich, ob die Liquidations-Entscheidung und ein entsprechendes Verfahren direkte Auswirkungen auf den Evergrande-Konzern als Ganzes haben werden. Denn der Konzern dürfte nicht nur aus Gesellschaften in verschiedenen Ländern bestehen, sondern agiert wahrscheinlich auch über zwei verschiedene Stränge: Der eine, zu dem die Holding zählen dürfte, umfasst die Gesellschaften, die für die Finanzierung zuständig sind. Der andere besteht aus den operativ tätigen Gesellschaften, in denen etwa die Bauprojekte organisiert sind.

Bei der jetzt angekündigten Abwicklung von Evergrande ist also die Holding und damit der Finanzierungsstrang betroffen?

Ja, man kann da durchaus von einer "Börsengesellschaft" sprechen - das Vehikel, um Kapital für das operative Geschäft einzusammeln und dortige Verbindlichkeiten bedienen zu können, zum Beispiel für die Immobilienprojekte. Diese Holding ist an der Börse in Hongkong notiert und hat ihren Sitz auf den Cayman Islands. Deshalb ist sie gesellschaftsrechtlich vermutlich nicht identisch mit den in China tätigen operativen Gesellschaften. Mit den Cayman Islands hat China außerdem kein Rechtsabkommen - das dürfte bei der Frage der Anerkennung der Liquidations-Entscheidung eine Rolle spielen.

Kann Evergrande sich ohne die Börsengesellschaft denn finanziell über Wasser halten?

Elske Fehl-Weileder ist Fachanwältin für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei der Kanzlei Schultze & Braun in Nürnberg. Sie ist Expertin für chinesisches Insolvenzrecht und Mitglied der Deutsch-Chinesischen Juristenvereinigung.

Elske Fehl-Weileder ist Fachanwältin für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei der Kanzlei Schultze & Braun in Nürnberg. Sie ist Expertin für chinesisches Insolvenzrecht und Mitglied der Deutsch-Chinesischen Juristenvereinigung.

Erst einmal fließen jetzt wahrscheinlich keine Gelder aus dem Finanzierungsstrang mehr in das operative Geschäft, um etwa Bauunternehmer zu bezahlen oder Kredite zu bedienen. Auch Schadenersatzforderungen oder Rückabwicklungen von Käufen sind nicht mehr gewährleistet. Wenn die Liquidations-Entscheidung umgesetzt wird, ist der Geldhahn für China Evergrande von dieser Seite endgültig zugedreht. Gleichzeitig werden die Anleger ihre Forderungen geltend machen. Evergrande kann sich nur über Wasser halten, wenn es aus einer anderen Quelle Geld bekommt, beispielsweise von staatlichen chinesischen Banken.

Wie wahrscheinlich ist es, dass als Folge des Urteils in Hongkong der ganze Konzern aufgelöst wird?

Eine Umsetzung dieser Gerichtsentscheidung in China ist sehr unwahrscheinlich. Immerhin erging das Urteil in einem Verfahren, das von einem ausländischen Gläubiger angestoßen wurde. Das oberste Interesse der chinesischen Regierung ist jetzt, die vielen Wohnungskäufer einigermaßen schadlos zu halten. Die Regierung hat erst zuletzt wieder staatliche Banken angewiesen, Bauunternehmen nochmals zu unterstützen.

Was sind die nächsten Schritte bei der Auflösung?

Bei der Liquidation eines Unternehmens wird das vorhandene Vermögen - also Finanzmittel, aber auch Vermögenswerte - verwertet, um daraus die Gläubiger zu befriedigen. Da stellt sich natürlich die spannende Frage, über welches Vermögen die Hongkonger Börsengesellschaft überhaupt verfügt. Die genauen Verhältnisse der Beteiligungen und Verbindungen im Evergrande-Konzern sind von außen nicht ersichtlich.

Wie stehen also die Chancen für Gläubiger, ihr Geld zurückzubekommen?

Grundsätzlich ist es im Immobilienbereich üblich, dass die Erlöse aus dem operativen Geschäft an die Anleger gehen, zum Beispiel als Zinszahlung auf ihr Anlage-Investment. Solche rein vertraglichen Ansprüche stellen aber kein tatsächlich greifbares Vermögen dar. Es kann gut sein, dass die Vermögenswerte bei den operativen Gesellschaften von China Evergrande liegen. Das würde bedeuten, dass die Gläubiger der "Börsengesellschaft" vermutlich nicht viel zurückbekommen. Und selbst wenn die Immobilien über Beteiligungen oder der Holding-Gesellschaft direkt zuzuordnen sind, dürfte es schwierig werden, darauf zuzugreifen. Es ist anzunehmen, dass Chinas Regierung alles daransetzen wird, den Weiterbau zu ermöglichen und inländische Gläubiger gegenüber ausländischen Kapitalmarkt-Gläubigern vorrangig zu behandeln.

Sind auch Gläubiger aus Deutschland betroffen?

Möglich wäre, dass jemand über einen Fonds Anteile gekauft hat, dann wäre er jetzt Gläubiger in dem Hongkonger Verfahren. Die Auswirkungen der finanziellen Schieflage von Evergrande und weiterer großer Player im Immobilienmarkt könnten jedoch deutsche Unternehmen auf Umwegen treffen. Die Immobilienkrise in China hat Auswirkungen auf die chinesische Gesamtwirtschaft. Dazu hat die Bevölkerung in sehr großem Umfang in Immobilien investiert, weil es in China kaum einen anderen Weg gab, sein Geld anzulegen. Auswirkungen des Ganzen betreffen dann unter Umständen auch deutsche Unternehmen, die dort Geschäfte machen.

Neben Evergrande sind auch andere Immobilienkonzerne in China hoch verschuldet. Droht ein Domino-Effekt, der noch mehr Baufirmen zu Fall bringen könnte?

Meiner Einschätzung nach wird China keine harte Linie fahren à la: Ihr hattet genügend Zeit, euch mit euren Gläubigern zu einigen und nachdem ihr das nicht geschafft habt, wickeln wir euch alle ab. Die Regierung könnte eine gewisse Abkühlung als notwendig erachten, aber insgesamt ist der Immobiliensektor für China wirtschaftlich und gesellschaftlich sehr bedeutend. Ein vollständiger Zusammenbruch kann nicht riskiert werden.

Mit Elske Fehl-Weileder sprach Victoria Robertz

Das Interview erschien zuerst bei Capital.de

Quelle: ntv.de

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