
Die kleinste Zahl kommt nach links, die größte nach rechts - das ist schon für Kinder selbstverständlich.
(Foto: picture alliance / Zoonar)
Die meisten Menschen sortieren Zahlen und Gegenstände von links nach rechts. Dieses Verhalten ist weltweit verbreitet - viele nehmen an, es sei angeboren. Eine Studie zeigt nun, dass auch kulturelle Aspekte eine wichtige Rolle spielen könnten - und dass nicht alle in dieselbe Richtung denken.
Wenn wir die Aufgabe bekommen, Gegenstände der Größe nach zu sortieren, dann tun wir das - ganz intuitiv - von links nach rechts: der kleinste Stein ganz links, der größte ganz rechts. Auch wenn wir uns Zahlenreihen oder Zeitabfolgen vorstellen, assoziieren die meisten Menschen die kleineren Zahlen mit der linken und die größeren Zahlen mit der rechten Seite. Aber was ist der Grund dafür?
Eine eindeutige Ursache wurde bisher nicht erforscht. Die Denkrichtung könnte angeboren sein, nehmen einige Wissenschaftler an. So würden schon Neugeborene nach einer Gewöhnung an Anordnungen mit einer festen Anzahl an Punkten bei einer kleineren Anzahl an Punkten eher nach links und bei einer größeren nach rechts schauen. Begründet werden könne dies mit einer Asymmetrie in den Hirnhemisphären.
Es könnte jedoch auch Zufall sein, dass die ganze Welt von links nach rechts denkt. Die mentale Zahlenreihe wäre dann kulturell geprägt und hätte auch gut andersherum sein können. Zu genau diesem Schluss kommt ein Team um den Psychologen Benjamin Pitt von der University of California in Berkeley. Die Wissenschaftler waren der Frage um den Ursprung des menschlichen Ordnungssystems auf den Grund gegangen.
Um die Auswirkungen kultureller Erfahrungen zu isolieren, testeten die Forscher neben 18 US-amerikanischen Erwachsenen auch 31 junge Kinder, die gerade erst zählen lernen, sowie 96 Angehörige der Tsimane, einer indigenen Gruppe aus Bauern und Viehzüchtern aus dem Amazonasbecken Boliviens, die weitgehend abgeschottet von der Industriegesellschaft lebt.
Die Tsimane haben kaum Lese-, Schreib- und Rechenkenntnisse, gehen nicht zur Schule und nutzen nur wenig moderne Technologien. Insbesondere haben sie kaum Erfahrungen mit Richtungspraktiken, wie sie die Mehrheit der Weltbevölkerung kennt. Wenn das Zähl- und Sortierverhalten angeboren ist, müssten auch die Kinder und Indigenen von links nach rechts zählen und sortieren - so die These der Forscher.
Im ersten Experiment sollten zunächst die erwachsenen US-Amerikaner Bilder von Wolken aus ein bis fünf Punkten sowie einzelne Punkte unterschiedlicher Größe nach Anzahl und Dimension sortieren. Das Ergebnis war wenig überraschend: Alle Teilnehmer ordneten die Karten beginnend mit den wenigsten oder dem kleinsten Punkt von links nach rechts. Nun waren die drei- bis fünfjährigen US-Amerikaner sowie die Tsimane-Angehörigen an der Reihe. Bei ihnen ergab sich ein anderes Bild, denn sie hatten keine bevorzugte Richtung. Die Teilnehmer ordneten die Gegenstände zwar in der richtigen Reihenfolge, "zeigten aber keine Richtungspräferenz", schrieb der Psychologe Pitt auf Twitter.
Ähnlich sah es bei Zeitabfolgen aus. Die Teilnehmer sollten Bilder von unterschiedlich lang gereiften Bananen nach ihrem Alter sortieren. Während die Erwachsenen aus den USA die grünen Bananen stets links und die schwarzen rechts anordneten, ergab sich bei den Indigenen und den kleinen Kindern keine Vorzugsrichtung. Vielmehr starteten einige links und andere rechts. "Nur die am besten ausgebildeten Teilnehmer der Gruppe der Tsimane ordneten nach rechts", heißt es in der Studie.
Es hätte auch anders kommen können
Außerdem überraschte es die Forscher, dass die meisten der Kinder und Tsimane-Angehörigen unterschiedliche Bereiche unterschiedlich anordneten. Ein Indigener ordnete die Zeit zum Beispiel "perfekt von links nach rechts", twitterte Pitt. Im nächsten Versuch allerdings "ordnete er die Zahlen in die entgegengesetzte Richtung." Diese Inkonsistenz sei wirklich schwer zu erklären, wenn es doch eine einzige mentale Größenordnung gibt, wie viele Theorien annehmen, so der Psychologe.
Die Ergebnisse der Wissenschaftler "stellen die Behauptung infrage, dass Menschen eine angeborene Links-nach-rechts-Zuordnung von Zahlen haben und dass diese Zuordnungen aus einem bereichsübergreifenden Größensystem resultieren", heißt es in der Studie. Das Zähl- und Sortierverhalten der Menschen ist den Ergebnissen zufolge also weder vererbt noch fest fixiert. "Kurz gesagt, US-Kinder und Tsimane-Erwachsene zeigten keine Anzeichen für eine standardmäßige Richtungsvorliebe oder eine mentale Größenordnung", schrieb Pitt.
Die Psychologen schlussfolgern, dass dieses Verhalten bei den allermeisten Menschen als Kind von anderen abgeschaut wird. Damit würde die kulturelle Prägung die wichtigste Rolle bei der Denkrichtung spielen. Es wäre somit gut möglich gewesen, dass wir heute Steine, Bahnen, Zahlen oder Zeiten nicht von links nach rechts, sondern von rechts nach links sortieren.
Quelle: ntv.de