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Die Masse ist gefährlich Wenn das Wohnmobil crasht

Wie eine riesige Kanonenkugel kracht das Wohnmobil in das Heck des Pkw. Die Folgen sind verheerend.

Wie eine riesige Kanonenkugel kracht das Wohnmobil in das Heck des Pkw. Die Folgen sind verheerend.

Wohnmobilisten fahren in der Regel nicht schnell, sitzen hoch und haben viel Raum um sich. Ergo sollte bei einem Unfall nicht viel passieren. Doch weit gefehlt. Wenn es kracht, dann mit erheblichen Folgen für alle Beteiligten.

Bei dem Unfall mit dem Wohnmobil wäre der Fahrer des Pkw vermutlich ums Leben gekommen.

Bei dem Unfall mit dem Wohnmobil wäre der Fahrer des Pkw vermutlich ums Leben gekommen.

Für einen kurzen Moment ist es, als bliebe einem das Herz stehen - man erstarrt, holt tief Luft, kann nicht glauben, was da gerade passiert ist. Auf dem Crashtestcenter der Organisation CTS nahe Münster sollte es anders sein. Doch wenn das leicht überladene Wohnmobil mit rund 70 km/h auf das Heck des stehenden Pkw kracht, ist der Lärm ohrenbetäubender und der Schreckmoment eindrücklicher als gedacht.

Das Szenario ist nach Erkenntnissen der Unfallforschung der Versicherer (UDV) ein typisches, dessen Augenzeuge man jederzeit werden könnte - wenn auch die Wahrscheinlichkeit nicht so hoch ist wie bei einem Unfall mit dem Pkw. Verglichen mit anderen Fahrzeugarten passieren in Deutschland relativ wenige Unfälle mit Wohnmobilen. 544-mal sind im vergangenen Jahr Caravans verunfallt und dabei Menschen verletzt oder getötet worden. Das entspricht einem Anteil von 0,18 Prozent an allen Unfällen mit Personenschaden, Pkw-Crashs machen mehr als 80 Prozent aus.

Trotzdem sollte diese Unfallart nicht vernachlässigt werden, findet die UDV. Zum einen, weil die Zahl zugelassenen Wohnmobile steigt. Von 2009 bis 2014 verzeichnete das Kraftfahrt-Bundesamt einen Anstieg von 13 Prozent auf 369.087 angemeldete Reisemobile. Zum anderen, weil viele typische Unfälle vermeidbar wären oder zumindest die Verletzungsschwere verringert werden könnte.

Gefahr für alle Beteiligten

Dass bei einem Unfall längst nicht nur die Wohnmobil-Insassen selbst gefährdet sind, zeigt der Crashtest auf dem Testgelände eindrücklich: Das mit 70 km/h anrauschende Wohnmobil bohrt sich ins Heck seines Vordermanns und schleudert den Pkw mehr als 20 Meter nach vorn.

Wie eine riesige Kanonenkugel kracht das Wohnmobil in das Heck des Pkw. Die Folgen sind verheerend.

Wie eine riesige Kanonenkugel kracht das Wohnmobil in das Heck des Pkw. Die Folgen sind verheerend.

Als die Fahrzeuge zum Stehen gekommen sind, sieht man das Ausmaß des Schadens: Während die Front des Caravans eingedrückt ist, hat sich das Heck des Pkw bis auf Höhe der Hinterreifen geschoben - es ist quasi nicht mehr vorhanden. Die Fahrersitzlehne hat es aus ihrer aufrechten Stellung gerissen, darauf liegt der Fahrer-Dummy, der schwere Wirbelsäulen-Verletzungen davongetragen haben dürfte. Die Statistik zeigt, dass die Folgen für den Unfallgegner oft gravierender sind als für die Insassen des Reisemobils: Von den 2014 bei Wohnmobil-Unfällen Getöteten waren vier im Reisemobil selbst, aber elf bei den Unfallbeteiligten, so die Unfallforscher. Grund dafür sind die unterschiedlichen Masseverhältnisse.

Die vorderen Insassen im Wohnmobil haben es beim Crashtest aber nur vermeintlich besser getroffen: "Angegurtet sollten sie eigentlich eher leichtere Verletzungen davon getragen haben", sagt Matthias Kühn, bei der UDV verantwortlich für die Fahrzeugsicherheit. "Aber die Umstände sind entscheidend." Denn für sie ist die herumfliegende Ladung die größte Gefahr.

Geschirr und Hund machen sich selbständig

Vor allem dann, wenn die Urlauber im Crashmobil Fehler gemacht haben: Vor dem Crash waren drei Wasserkisten hinten im Fahrzeug gestapelt - aber nicht gesichert. Kisten, Flaschen, aber auch das zum Trocknen neben der Spüle deponierte Geschirr sind beim Crash nach vorn geflogen. Treffen sie aufgrund der Beschleunigung mit dem Vielfachen ihres Gewichts die Passagiere, sind schwere Verletzungen kaum zu vermeiden.

Auch der 20 Kilogramm schwere Hunde-Dummy ist gefährdet und wird für die Reisenden im Wohnmobil zur Gefahr. Beim Crash-Test fliegt er mit fast 30 km/h durch das komplette Wohnmobil. Prognose: tot. Auch für den dritten, hinten nicht angeschnallten Mitfahrer sieht es nicht gut aus: Er ist unter die Tischplatte gerutscht und mit dem Kopf angeschlagen. Hinten ist statistisch die Wahrscheinlichkeit ein Drittel höher, bei einem Unfall verletzt zu werden – auch, weil dort die Rückhaltesysteme längst nicht immer dem neusten Stand entsprechen.

Auch für die Insassen im Wohnmobil geht ein Unfall nicht glimpflich ab.

Auch für die Insassen im Wohnmobil geht ein Unfall nicht glimpflich ab.

Während die Forscher das Fahrverhalten von Wohnmobilen auch im Grenzbereich als unkritisch bewerteten, kommt es vor allem bei Auffahrunfällen auf Landstraßen und Autobahnen zu schweren Verletzungen und Todesfällen. "Viele davon müssten nicht sein, wenn Wohnmobile mit Bremsen nahe am Pkw-Niveau ausgerüstet und Fahrzeuge oft nicht auch noch überladen wären", sagt UDV-Leiter Siegfried Brockmann.

Wohnmobil bremst anders

Fahrversuche der Unfallforscher zeigen, dass ein Wohnmobil frühestens nach 50 bis 55 Metern, unter realistischen Bedingungen nach mehr als 60 Metern zum Stehen kommt – rund ein Drittel später als ein Pkw. Da spielt hinein, dass die Fahrer nur in wenigen Wochen des Jahres ihr Wohnmobil bewegen und noch auf die Bremswirkung ihres Pkw eingestellt sind. Stärkere Bremsen und die Ausstattung mit Notbremsassistenten könnten nach Meinung des UDV eine Lösung sein. Allerdings eine, die in weiter Ferne liegt – vor dem Hintergrund, dass Wohnmobile üblicherweise auf kostenoptimierten Nutzfahrzeug-Fahrgestellen aufbauen.

Neben der Ladungssicherung ist die maximale Beladung ein entscheidender Faktor, auf den der Wohmobil-Fahrer Einfluss hat. Im Rahmen der Unfallforschung hat die UDV die Polizei bei Beladungskontrollen begleitet, das Ergebnis: Rund die Hälfte der überprüften Fahrzeuge war überladen. Vielen Fahrern sei das überhaupt nicht bewusst gewesen, so Brockmann. So seien zum Beispiel viele mit komplett vollen Wassertanks unterwegs gewesen – eigentlich unnötig, da man sie am nächsten Campingplatz wieder auffüllen kann.

Die Unfallforscher empfehlen, vor der Urlaubsfahrt beispielsweise zu einer Prüforganisation zu fahren und dort das Wohnmobil wiegen zu lassen. Schon beim Kauf sollte man fragen, wieviel bis zur 3,5-Tonnen-Grenze zugeladen werden darf: "Die Ausstattung wird immer besser, da bleibt weniger Luft nach oben zum Beladen", sagt Unfallforscher Kühn. Auch die Reifen der Reisemobile stellen seiner Ansicht nach einen Risikofaktor dar: Ist durch die Nutzung an wenigen Wochen im Jahr zwar das Profil noch vorhanden, kann trotzdem die Gummimischung schon so verhärtet sein, dass Straßenkontakt und Bremsleistung sich deutlich verschlechtern oder der Reifen sogar platzt.

Die Unfallforscher wollen die steigende Zahl von Wohnmobilisten mit ihren Forschungsergebnissen für diese sicherheitsrelevanten Themen sensibilisieren. Und wer sich die Crashtest-Bilder mit der gewaltigen Zerstörung anschaut, versteht auch, warum.

Quelle: ntv.de, hpr/sp-x

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