
Es ist möglich. Es muss möglich sein! Tölke im "Kreuzberger Himmel" mit Mitarbeitern.
(Foto: privat)
Vor fünf Jahren hat Be an Angel e.V. das Restaurant "Kreuzberger Himmel" initiiert. Der Autor dieser Zeilen, Mitgründer, Vorstandsmitglied des Vereins und außerdem einer der Geschäftsführer, ist jüdisch. Und im Restaurant allein unter Muslimen. Wie geht das in der aktuellen Situation?
Morteza ist aus Afghanistan, geflohen vor dem islamistischen Terror. Erst in den Irak, wo es keine Option gab legal zu leben, dann nach Deutschland. Er ist einer dieser jungen Männer, die jetzt nun mal hier sind. Morteza ist inzwischen allerdings Restaurantleiter im "Kreuzberger" Himmel im gleichnamigen Berliner Stadtteil. Das Restaurant ist dazu gedacht, Begegnungen zu schaffen. Denn die Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind, treffen entweder meist total überarbeitete oder ruppige Behördenmitarbeiter. Oder das komplette Gegenteil: megaemphatische Ehrenamtliche. Kontakt zu "normalen" Deutschen - gerade in Berlin - Fehlanzeige. Also leben sie in ihrer Bubble aus Afghanen, Syrern, was auch immer.

Restaurantleiter Morteza, die Bundestagsabgeordnete Lamya Kadoor und Andreas Tölke im Restaurant (v.l.).
(Foto: privat)
Unsere Idee, die wir seit fünf Jahren leben, war und ist daher: Deutschen die Chance zu geben, mal nicht nur über "Flüchtlinge" zu reden, sondern sie live und in Farbe zu erleben. Andersrum genauso. Überraschend für das Team aus aktuell vier Ländern: Deutsche können ja lachen und herzlich sein! Überraschend für unsere Gäste: Das sind ja ganz normale Leute. Mal charmant am Tisch, mal etwas holperig, hölzern. So viel zur Ausgangssituation. Jetzt zu Israel/Gaza.
Eine Flagge und ihre Folgen
Morteza funkt mich nachts um elf an. Er schickt ein Foto, auf dem er eine israelische Flagge auf der Theke in eine Blumenvase gesteckt hat. Es ist quasi das Erste, was man sieht, wenn man durch die Tür in das Restaurant kommt. Meine Reaktion wird vielleicht erstaunen. "Nimm die Flagge bitte sofort weg!" "Warum?", will Morteza wissen. "Weil ich die Diskussion nicht mehr aushalte", meine Antwort.
Er schreibt erneut: "Wir sind vor islamistischem Terror geflohen. Wir wissen, was es bedeutet, wenn Fanatiker Macht haben." Das wird vermutlich jeder verstehen. Wir haben alle den Terror des "Islamischen Staat" gesehen. Wir alle wissen, was radikale Muslime Frauen und sogenannten "Nicht-Gläubigen" bereit sind anzutun. Wir erleben die Auswirkungen auch in Deutschland: Menschen flüchten aus Ländern, in denen radikale Muslime anderen (Muslimen) ein freies, friedliches Leben unmöglich machen.
Die Hamas ist da nicht anders. Seit 2006 gab es keine Wahlen mehr in Gaza. 2021 sollte es Wahlen geben. Präsident Mahmud Abbas sagte sie ab, aus Angst vor Machtverlust. Die aktuelle Situation ist bekannt. Zivilisten in Gaza werden bombardiert, haben quasi keine Fluchtmöglichkeit und erhalten keine nennenswerte Hilfe.
Die Schuldzuweisungen fallen leicht: Israel ist schuld. Dass die Grenze von Gaza nach Ägypten zur Sinai-Halbinsel geschlossen ist - egal. Und dass daher auch jeder deutsche Jude verantwortlich ist - beinah Konsens. Deutsche Juden sind das Ziel von Attacken - Hunderte antisemitische Straftaten gab es allein seit dem 7. Oktober in Deutschland, die meisten davon in Berlin.
Wer Israel das Existenzrecht abspricht, ist raus
Die Diskussion darüber halte ich aktuell nur selten aus. Nach meinem letzten Beitrag bei ntv.de erreichten mich Nachrichten wie: "Du gehörst ins Gas, du alter Zio-Nazi." Auch Morteza musste einiges an Beschimpfungen aushalten. Für ein paar Stunden israelische Flagge zeigen im "Kreuzberger Himmel". Nicht aus eigenen Reihen des Restaurant-Teams, nein! Wie ein Lauffeuer wurde ein Foto von der israelischen Flagge im "Kreuzberger Himmel" verbreitet. Und einige seiner afghanischen Freunde sind von jahrzehntelangem Israel-Hass geprägt. Der Terror der Hamas, der 1400 Menschen in Israel das Leben gekostet hat, wird von ihnen verdrängt. Oder billigend in Kauf genommen? Wenn bei den Opfern die Frage der Herkunft entscheidend für den Grad der Trauer ist, dann hat die Humanität sich verabschiedet.
Seit fünf Jahren arbeite ich allein unter Muslimen. Darunter waren wunderbare, herzliche Menschen - und Unsympathen. Menschen halt. Jede und jeder weiß und wusste: Ich bin Jude. Es gab harte Diskussionen über Israels Siedlungspolitik, über die Mauer zu Gaza, über Passierscheine und Menschenrechtsverletzungen. Und: Ja, all das gibt es, all das ist Unrecht! Dennoch: Wer Israel das Existenzrecht abspricht, ist raus.
Frühchen sterben, weil kein Strom da ist
Es herrscht eine entsetzliche humanitäre Situation: Gerade hat mir Mustafa ein Video einer Frühchen-Station in einem Krankenhaus in Gaza geschickt. Die Babys sterben, weil es keinen Strom gibt. Wen das kaltlässt, weil es sich eben um palästinensische Kinder handelt, hat nichts verstanden. Wer in Deutschland auf der Straße die Vernichtung Israels fordert, ebenfalls nicht.
Morteza sagt: "Vielleicht ist es noch zu früh, um gemeinsam für Frieden und Verständigung zu sprechen." Traurig und wahrscheinlich wahr. Heute Abend bin ich wieder im Restaurant. Allein unter Muslimen, meinen Freunden.
Quelle: ntv.de