
Entspanntes Miteinander: Tölke mit Bakri Kamurgi, Syrer, sein Geschäftspartner im Restaurant "Kreuzberger Himmel".
(Foto: privat)
Beim Thema "Jüdisches Leben in Deutschland" sind sich plötzlich Faschisten, der linke Rand und Islamisten ganz nah. Das ist für jüdische Deutsche nicht überraschend und trotzdem nicht hinnehmbar. Gerade, weil es beinahe hoffnungslos erscheint.
Abends kommt das Foto einer Berliner Freundin. Ein Wohnhaus in Berlin, auf der weißen Wand ein Davidstern. Vier Uhr nachts am Mittwoch, dem 18. Oktober, fliegen zwei Molotowcocktails an eine Synagoge. Vormittags wird ein Mann an der Synagoge in Mitte verhaftet, mit dem Tatverdacht eines Angriffs. Woran erinnert uns das?
Meine vor Jahren verstorbene Mutter, Jahrgang 1925, hat ihre Kindheit und Jugend mit dem Judenstern und auf sie fliegende Steine hinter sich bringen müssen. Immerhin hat sie überlebt. Und hatte ihr Leben lang Angst in Deutschland. Sie hatte aber obendrein einen sehr speziellen Humor - ihre Reaktion auf entlarvte Nazis in der deutschen Nachkriegspolitik war das Singen des Horst-Wessel-Liedes: "Die Fahnen hoch, die Reihen fest geschlossen. SA marschiert mit ruhig festem Tritt." Zynische Hilflosigkeit. Sie sang es oft.
Heute würde sie wahrscheinlich dauernd singen. Zumindest jedes Mal, wenn der Name "Björn Höcke" fällt. Der AfD-Frontmann darf qua Gerichtsurteil als "Faschist" bezeichnet werden. Was das über die Anhänger sagt, die ihm bei seinen Aussagen zum "Denkmal der Schande" (Anm.d.Red.: gemeint ist das Holocaust-Mahnmal mitten in Berlin) auch noch applaudieren, bedarf keiner weiteren Ausführung. Oder doch: "Das ist die deutsche Seite, die den Juden bis heute Auschwitz nicht verziehen hat", sagt Zvi Rix, ein israelischer Psychoanalytiker.
Von hier keine Gefahr - noch nicht
Die andere innerdeutsche Seite sind fanatische Palästinenser, die in Köln, in Berlin, Duisburg und Bremen auf die Straße gehen, um "ihre Meinung" zu äußern. Die eben keine Meinung ist, sondern die Forderung nach der Vernichtung Israels. Das wiederum ist Antisemitismus in reinster Form. Schade, dass diese Tatsache erklärungsbedürftig ist: Diese Forderung stellt das Existenzrecht Israels ja nicht nur infrage - sie fordert die Vernichtung der Menschen, die dort leben.
Immer und immer wieder taucht diese These auf: Gäbe es Israel nicht, wäre Frieden in der Region. Komischerweise wird diese Forderung nur im Falle Israels laut. Keiner, der das fordert, würde das Existenzrecht der USA oder gar Deutschlands infrage stellen. Aber hier ist es ja auch friedlich, von hier geht keine Gefahr aus. Noch nicht. Bis auf die Demos und die Molotowcocktails ...
Klammheimliche Freude
Beim Thema "Jüdisches Leben in Deutschland" sind sich dann auch plötzlich Faschisten, der linke Rand und Islamisten ganz nah. Die Anhänger der AfD, die sonst als Erste "abschieben" brüllen, befinden sich mit Fanatikern aus Palästina im Schulterschluss gegen jüdisches Leben in Deutschland. Der linke Rand ist noch immer dem romantischen Arafat-PLO-Pali-Tuch verfallen und trauert insgeheim ein bisschen der RAF nach. Auch diese gewisse Form der "klammheimlichen Freude" ist übrigens deutsche Geschichte.
Immerhin gelingt dem rechten Rand der Spagat: Jüdisches Leben in Deutschland ist irgendwie "Schande", der Hamas-Terror auf Israel gleichzeitig aber auch irgendwie nicht okay. Damit sind die Rechten tatsächlich weiter als viele Deutsche, die jeden deutschen Juden verantwortlich machen für israelische Politik. Das sorgt natürlich auch für Entlastung: Endlich ist der Jude mal böse und "die Deutschen" sind nicht mehr so ganz allein und schlimm Schuld an sechs Millionen toten Juden. Wobei jüdische Menschen zum größten Teil die Nachkriegsgenerationen der Deutschen überhaupt nicht beschuldigen - uns geht es ums "nicht vergessen"! Islamisten sind da eindeutiger: Jude ist Jude - bringt sie um, egal wo.
Oma war kein Nazi
Jede der Gruppen, die sich gegen jüdisches Leben in Deutschland und Israel richtet, hat ihre Befindlichkeit. Das kann analysiert werden, mit dem Ergebnis, dass die antisemitischen Deutschen mit ihrem "Schuldkult" nicht klarkommen und es letztlich aber doch nachvollziehbar ist, dass die eigene Oma aus der ehemals von Juden bewohnten Wohnung das Tafelsilber geklaut hat. Aber ein Nazi war sie natürlich nicht.
Die Gedanken rasen, eine Erklärung, wie es so weit kommen konnte, fällt schwer, selbst bei voller Kenntnis der Sachlage: Die palästinensischen Deutschen werden, wie alle Palästinenser, im (wohlwollend ausgelegten) Existenzkampf von arabischen Staaten instrumentalisiert. Instrumentalisiert? Ja. Warum sonst können Zivilisten aus Gaza nicht über die ägyptische Grenze nach Sinai flüchten? Weil viele arabische Regierungen Opfer brauchen, um den Hass zu befeuern.
Was macht das mit mir?
Was macht das mit mir, einem jüdischen Deutschen mit einer wirklich bizarren jüdischen Identität, gespeist von einer Mutter, die mich von allem Jüdischen ferngehalten hat, weil ich mich sonst vielleicht "verraten" könnte? Und dann morgen abgeholt werden würde ...
Was macht das mit mir, als Initiator des Vereins "Be an Angel e.V.", einer Hilfsorganisation, die sich seit acht Jahren für die Integration Geflüchteter - zumeist muslimischer Menschen - engagiert?
Es macht das: Jedes zivile Opfer macht mich unendlich traurig. Als jüdischer Mensch fühle ich mich in Deutschland nicht sicher. Ich bin kein Nahostexperte. Ich lasse mich nicht zwingen, Unterschiede bei Menschenleben zu machen.
Ich bin die nächste Generation
Das, was meine Mutter für mich getan hat, ist nicht in Worte zu fassen: Ihre grenzenlose Kraft, ihre Empathie und ihr sehr diverses Engagement hat mich zu dem gemacht, der ich bin. Das Horst-Wessel-Lied werde ich nie singen. Ich bin die nächste Generation. Die sich wehrt. Auch wenn es momentan beinahe hoffnungslos erscheint.
Jedoch, und daran glaube ich, ohne Wenn und Aber: "We-ahavta le-reacha kamocha" - "Und du wirst deinen Nächsten, deinen Nachbarn lieben, er ist wie du!"
Quelle: ntv.de