
Martin Hyun weiß, dass er alles richtig machen kann und trotzdem nicht dieselbe Akzeptanz erfahren wird.
(Foto: Sammy Hart)
Martin Hyun hat sich schon viel anhören müssen: "Schlitzauge", "Fidschi", "Spiel doch auf dem Reisfeld" sind noch harmlosere Beschimpfungen für den ehemaligen Eishockeyprofi. In "People of Deutschland" erzählt er zusammen mit 44 anderen Personen mit Migrationshintergrund seine Geschichte.
Martin Hyun ist Ex-Eishockeyprofi, Autor, Gründer und CEO von "Hockey is Diversity e.V.", studiert, promoviert, verheiratet, Steuerzahler. So weit, so normal bis außergewöhnlich. Dennoch hat Hyun sehr oft erfahren, dass er anders ist als seine Mitspieler. Ein asiatisch aussehender Typ auf dem Eis? Das passte dem einen oder anderen nicht ins Bild: Noch nicht auf dem Eis wird er einmal sogar von einem Sicherheitsmitarbeiter am Betreten desselben gehindert, weil dieser nicht glauben kann, dass Martin ein Spieler ist, und nicht "der Koch oder der Physiotherapeut", wie Martin Hyun bei der Buchvorstellung im Kulturkaufhaus Dussmann erzählt.
"Für den passte es einfach nicht ins Bild, dass jemand mit meinem Aussehen einer der Spieler sein könnte." Auf dem Eis dann muss Martin sich oft weiter beleidigen lassen, als asiatisches Gericht etwa und schlimmer. Dabei ist Martin Spieler der deutschen Juniorennationalmannschaft. Sogar sein Kindheitstraum geht in der Saison 2004/05 in Erfüllung: Er wird Profispieler seines Heimatclubs Krefeld Pinguine.
Martins Geschichte ist nur eine von 45 in dem aufschlussreichen Buch "People of Deutschland" über Rassismus im Alltag. Alle Geschichten sind absolut individuell und doch gleichen sie sich auf die unschönste Art, die man sich vorstellen kann: Die Menschen in dem Buch, das Martina Rink und Simon Usifo herausgebracht haben, sind alle BIPoC (Black, Indigenous, People of Colour) und werden dafür angemacht, bedroht, verhöhnt, nicht ernst genommen, benachteiligt. Da sich dieser Zustand in unserem Land ändern muss, kommt dieses Buch zu einem Zeitpunkt, an dem rund ein Viertel aller Deutschen einen Migrationshintergrund haben, wie gerufen.
Rassismus ist in unserem nur scheinbar liberalen Land noch immer alltägliche Realität. Erst wenn die Visionen, die in diesem Buch zusammengefasst werden, Wirklichkeit sind, können wir von einer weltoffenen Gesellschaft sprechen. Bis dahin heißt es: Ran an die Arbeit! Im Berufsleben, beim Sport, in Bus und Bahn - wir alle haben Vorurteile. Das an sich ist kein Verbrechen, denn auch Frauen haben Frauen gegenüber Vorurteile, große Männer hänseln kleinere, Jüngere belächeln Ältere, Ältere nehmen Jüngere nicht ernst. Wenn die Vorurteile aber aufgrund von Hautfarbe oder Physiognomie lebensentscheidend werden, etwa weil ein Mann mit dem Nachnamen "Hyun" einfach keine Stelle bekommt, obwohl er besser ausgebildet ist als so mancher "Bio-Deutscher", dann geht es ans Eingemachte.
"Lieber Martin, du bist nicht geeignet ..."
Hyun beschreibt in einem Brief an sein jüngeres Ich eindrücklich, wie es ihm ergangen ist: "Lieber Martin, (...) das Leben eines südkoreanischen Gastarbeiterkindes ist nicht fair. Du hast gelernt, dass Bildung, Sprache und harte Arbeit nicht ausreichen, um eine berufliche Heimat zu finden. Die Einladung zu einem Bewerbungsgespräch wird eine Rarität bleiben. (...)"
Es folgen diverse Begründungen, warum Martin Hyun nicht geeignet ist für diesen und jenen Job, und die Bandbreite ist erschreckend: Vom "nicht hundertprozentig zutreffenden Qualitätsprofil" bis hin zu der Aussage, dass man seine "Loyalität zu Deutschland" anzweifle, ist alles dabei. Dabei schuften Hyuns Eltern klassisch deutsch: Der Vater unter Tage als Bergarbeiter, die Mutter als Krankenschwester, natürlich überwiegend im Nachtdienst. Sie schuften für Martin, Julia und Simone. Sie merken schon, bei den Vornamen haben sich die Eltern Hyun was gedacht - hat aber nicht gereicht.

"Alltagsrassismus kommt mit dem Paradox, dass er von allen und jedem ausgehen kann, selbst von Menschen, die einen aufrichtig mögen und nicht merken, wenn sie einen verletzen", sagt Herausgeber Simon Usifo (li, zusammen mit Herausgeberin Martina Rink)
(Foto: Sammy Hart )
Seinen Vater beschreibt Martin Hyun als eine Art Drill Sergeant, aber liebevoll: Er treibt seinen Sohn zu Höchstleistungen in der Schule an, davor noch schickt er ihn um den Sportplatz, um sechs Uhr morgens, danach unter die kalte Dusche: "Aber glaube mir", schreibt Hyun an sein jüngeres Ich, "er bereitet dich damit auf die reale Welt vor. Vater gibt dir das Rüstzeug, um dich schulisch, sportlich und beruflich durchzusetzen. Er zeigt dir auch, wie du im Leben nach dem Sport erfolgreich sein kannst."
Der Vater freundet sich mit den Eismeistern im Stadion an, übernimmt noch einen Job als Ordner, damit sein Sohn aufs Eis darf, nach dem Training der anderen, und damit er die Spiele der ersten Mannschaft mit seinem Sohn zusammen anschauen kann. Er wird der "Home"-Trainer, der mentale Unterstützer, das zweite Paar Augen für seinen Sohn - alles, damit dieser es weit bringt. Martin ist aber nicht nur sportlich, er studiert in den USA, Belgien und Bonn. Er promoviert. Er arbeitet seine Geschichte auf. Er findet Freunde fürs Leben, er findet die Frau fürs Leben - "eine Ur-Berlinerin!" - und er fällt eine Entscheidung nach einer Reise in die Heimat seiner Eltern: "Du wirst der Generation, die lautlos in Deutschland geblieben ist, eine starke Stimme verleihen, du wirst drei Bücher schreiben, die sich mit der Thematik befassen."
Eine Person, die keine Rolle spielt?
Martin Hyun macht alles richtig. Er organisiert die olympischen und paralympischen Spiele im Eishockey in Korea, er sitzt als Fachmann im ARD-Studio, er trägt die olympische Fackel ein Stück, und dennoch kommt er zu der Erkenntnis, dass es ihm alles nichts nützt, er keine Liebe und Anerkennung bekommt, auch wenn er der Beste ist, wenn seine Herkunft und sein Aussehen für andere nur eines bedeuten: "Vor allem Unsichtbarkeit, Unterwürfigkeit und gefügig sein - eine Person, die politisch, gesellschaftlich, kulturell und sportlich keine Rolle spielt."
Damit sich das ändert, müssen wir, die nicht sichtbar migrantisch sind, zuhören. Und lesen - in "People of Deutschland" stehen noch 44 weitere unglaubliche Geschichten. Es wird Zeit, Sichtweisen zu überdenken. Wir brauchen uns.
Quelle: ntv.de