Leben

Die Normalität von Henri Jakobs Die Transition war ein "Einrasten ins Leben"

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Henri Maximilian Jakobs hätte sich präsente Transmenschen gewünscht, als er für seine Situation noch keine Erklärung hatte.

(Foto: Sophia Emmerich)

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Henri Maximilian Jakobs hieß nicht immer Henri. Und bis er da ankommt, wo er heute steht, ist es ein langer und schmerzhafter Weg. Inzwischen kennt er so ziemlich jede Frage, die Transmenschen gestellt wird und wünscht sich mehr Interesse und weniger Sensationsgeilheit.

ntv.de: Sie sind Autor, Musiker, Schauspieler und Transmann. Worüber haben Sie in letzter Zeit mehr gesprochen? Über Ihre künstlerische Arbeit oder über Ihr Transsein?

Henri Maximilian Jakobs: Es ging viel ums Transsein und was das alles heißt und bedeutet. Das ist natürlich auch dem Buch geschuldet.

Ihr Buch heißt "All die brennenden Fragen". Welche Fragen halten Sie denn für okay, wenn man Transpersonen neu kennenlernt und tatsächlich unsicher ist und kein Ignorant sein will?

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Fragen sind ja auch immer an Kontexte geknüpft. Ich stelle natürlich einer guten Freundin ganz andere Fragen als jemandem, den ich gerade beim Bäcker treffe. Wenn ich jetzt jemanden kennenlerne, dann ist die Frage, warum muss das überhaupt eine große Rolle spielen? Ich empfinde das immer als angenehm, wenn es keine Rolle spielt. Ich verstehe die Sache mit den Pronomen. Danach gefragt zu werden, ist aber nicht für jeden oder jede angenehm, weil man daraus schließen könnte, dass das eigene Passing (Anm. d. Red. Passing bedeutet, dass ein Mensch als das Geschlecht gelesen und anerkannt wird, mit dem er sich identifiziert) nicht so gut ist. Wenn sich der Kontext ergibt und wir reden über das, was bei dir sonst noch so passiert ist, dann sprechen wir drüber. Aber wenn nicht, dann meine Güte, bist du ein Mensch und ich bin ein Mensch. Nächstes Thema.

Sie beschreiben ein Problem, das auch andere marginalisierte Gruppen haben. Dass sie immer in dieser Erklär-Rolle sind. Wie gehen Sie damit um?

Ich gebe denen jetzt immer mein Buch und sage, dass all diese brennenden Fragen hier beantwortet werden. Ansonsten kommt es darauf an, mit welcher Intention jemand auf einen zukommt. Fragen nach den Operationen sind oft keinem wirklichen Interesse, sondern einfach nur Sensationsgeilheit geschuldet. Mit seiner Transition hat man ja nicht zeitgleich eine Ausbildung zum Therapeuten oder zum Sozialarbeiter oder was auch immer gemacht und auf einmal die ganze Welt verstanden. Tatsächlich kann man auch wahnsinnig viel googeln und ich kann auch gar nicht für alle Transmenschen sprechen. Wenn man also wirkliches Interesse hat, muss man sich an die Arbeit machen und sich mit dem eigenen Verhalten auseinandersetzen.

Wie würden Sie Ihr Grundgefühl vor der Transition beschreiben?

Das ist total schwer, das jemandem begreiflich zu machen, der oder die überhaupt nie darüber nachgedacht hat, wie es ist, sich im eigenen Leben so immens falsch und unwohl zu fühlen. Das betrifft ja das gesamte Dasein. Ich würde es mal so beschreiben: Man hat etwas an, was furchtbar ist, krass, scheiße, schlimm und womit man sich in der Öffentlichkeit oder im Zusammenhang mit anderen Menschen einfach komplett falsch fühlt. Man schaut nicht in den Spiegel, man schaut sich beim Duschen nicht an, man ist einfach voller Unwohlsein und voller Hass auf das, was man eben mitbekommen hat, dass es einen wirklich um den Verstand und ein bisschen auch umbringt. Jeden Tag ein bisschen mehr. Und natürlich weiß man es auch nicht von Anfang an. Ich konnte dem gar keinen Namen geben. Auch, weil es so nicht so präsent war in den Medien oder in meinem Umfeld, dass ich hätte sagen können, woher das alles rührt. Irgendwann war es dann so, dass der Groschen gefallen ist. Alles hat sich zusammengefügt und ich habe verstanden, ach, okay, wow.

Wie lange dauerte Ihre Transition insgesamt?

Ein bisschen ist es ein fortwährender Prozess. Aber ich würde sagen, das Größte - auch im Sinne von die Dokumente ändern zu lassen und medizinisch einiges ins Lot zu bringen- das waren für mich eineinhalb bis zwei Jahre.

Was hat sich in dieser Zeit in Ihrem Inneren zu dem vorherigen Zustand am meisten verändert?

Ich glaube, dass einfach so eine Richtigkeit Einzug gehalten hat, ein richtig Fühlen und eine Zufriedenheit. Es ist eine Gelassenheit dazugekommen, ein Einrasten ins Leben. Das ist natürlich ein immens gutes Gefühl, sich endlich verorten zu können.

Früher kannte kaum jemand Transmenschen, heute ist das häufiger der Fall. Oft wird unterstellt, dass das eine Folge davon ist, dass mehr darüber gesprochen wird. Wie sehen Sie das?

Das ist doch total hanebüchen. Man könnte auch sagen, wir reden darüber und teilen unsere Gedanken, Sorgen, Ängste. Man muss das nicht alles im Verborgenen mit sich selber aushandeln, so wie ich es zum Beispiel machen musste, sondern hat Wörter und Begrifflichkeiten für Gefühle und Dinge, die man vermuten würde. Auch nach der Transition ist es nicht so, dass dann auf einmal alles geil ist und die Umwelt sagt Hurra, endlich bist du da! Sondern der Staat und Mitmenschen machen es einem zum Teil relativ schwer.

Besonders Transfrauen stehen häufig unter Verdacht, dass sie nur transitionieren, um Zugang zu weiblichen Räumen zu bekommen und dort Gewalt auszuüben.

Natürlich gibt es Gewalt gegen Frauen, das steht außer Frage. Aber die kommt, wenn man sich die Statistiken anschaut, sehr häufig von aktuellen Partnern oder von Ex-Partnern. Wenn ein Mann sich in eine Umkleidekabine schleichen will, dann macht er das. Oder er bedroht Frauen im Park oder zu Hause oder sonst wo. Aber das ist ganz bestimmt keine Transfrau, die mit Sicherheit Ewigkeiten gehadert hat, ob sie jetzt in die Umkleidekabine geht und sich da eventuell dumme Sprüche oder wer weiß was abholt. Ich frage mich tatsächlich, was bei den Menschen vorgeht, die so etwas sagen. Bei TERFs (Anm. d. Red. TERF steht für trans excluding radical feminists, also Trans-ausschließender Radikalfeminismus) wie Alice Schwarzer glaube ich, dass man natürlich mit radikalen Aussagen Aufmerksamkeit bekommt und auch Klicks und Reichweite. Man sucht sich irgendwie ein einfaches Opfer, wie Transmenschen.

Ist es ein Wunsch von Menschen nach ihrer Transition einfach normal sichtbar zu sein? So sichtbar wie jeder und jede andere auch?

Ich glaube, es gibt ganz viele, die einfach sagen, okay, jetzt habe ich diesen ganzen Wahnsinn hinter mir. Ich will nur meine Ruhe haben und möchte einfach ganz in Ruhe mein Leben leben. Und im Idealfall weiß niemand, was früher war. Es ist natürlich auch nicht angenehm, immer an etwas erinnert zu werden, was einen sehr belastet hat, was sehr unangenehm und schlimm für einen war. Dann gibt es aber auch Leute wie mich oder andere, die sagen, ich erzähl' darüber einfach.

Was bewirkt denn die Sichtbarkeit von Transmenschen aus Ihrer Erfahrung?

Vor sieben, acht Jahren, als ich angefangen habe, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen, gab es total wenig sichtbare Transpersonen und wenn, dann war es wie Zirkus oder Freakshow. Für mich wäre total wichtig gewesen, zu sehen okay, wow, da ist jemand, der hat diese Entscheidung getroffen. Und das Leben, das er jetzt hat, ist gut. Das hat mir schon gefehlt. Das Hoffnung stiftende Element und das beruhigende Element dieser Sichtbarkeit. Ich habe sehr viel Zeit auf Instagram verbracht oder auf Youtube. Und da tatsächlich Gewissheit und Zuspruch oder auch Beruhigung gefunden, weil ich dann die Entwicklung von Transmännern verfolgt habe. Und da habe ich gesehen, okay, das ist alles gut und es ist alles möglich und es endet nicht in all den Katastrophen, sondern in einem sinnvollen und schönen und richtigen Leben. Und das war sehr wichtig für mich.

Sichtbarkeit bedeutet für Transpersonen aber durchaus auch ein Risiko, weil sie beispielsweise in der Öffentlichkeit angegriffen werden. Was glauben Sie, macht Menschen so aggressiv auf andere Menschen, die sie irgendwie nicht einordnen können?

Ich weiß es nicht. Eine Erklärung dafür zu suchen, kommt mir irgendwie auch immer ein bisschen so vor, wie eine Entschuldigung zu finden, dass jemand die Gewalt wählt. Ich kann nicht sagen, was die Leute so provoziert, dass sie sich dadurch angegriffen fühlen und denken, dass die Entscheidung eines anderen Menschen und sein Leben irgendeinen Einfluss auf ihr Leben hat. Das ist ja überhaupt nicht der Fall. Es gibt für mich keine Erklärung und keine Entschuldigung dafür, dass man sich so verhält.

Spielt diese Bedrohung in Ihrem Leben eine Rolle?

Nein, dazu muss ich aber sagen, dass ich einfach sehr eindeutig als Mann gelesen werde und mich deswegen sehr entspannt in der Öffentlichkeit bewegen kann. Dünnes Eis wird es in Umkleidekabinen oder bei Arztbesuchen, wo man ein bisschen mehr von sich preisgeben muss. Aber wenn man jetzt sehr am Anfang seiner Transition ist, die Vergangenheit noch ein bisschen mehr durchschimmert und man deshalb belästigt wird, dann ist das natürlich eine andere Geschichte.

Mit Henri Maximilian Jakobs sprach Solveig Bach

Quelle: ntv.de

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