Leben

Nicht mehr Paar, nur noch Eltern "Es gibt keine glücklichen Trennungskinder"

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Für Kinder ist die Trennung der Eltern zutiefst verunsichernd.

(Foto: imago/Ikon Images)

Getrennte Eltern, das ist für immer mehr Kinder eine Realität. Trotzdem ist es in jedem Einzelfall eine Herausforderung, denn nur wenn Eltern die Bedürfnisse ihrer Kinder ernst nehmen, können die auch nach der Trennung wieder glücklich werden, sagt Diplom-Psychologe Claus Koch.

n-tv.de: Was bedeutet die Trennung der Eltern für ein Kind?

Claus Koch: Kinder sind Beziehungswesen, sie kommen auf die Welt und wachsen in und durch Beziehungen. Die Eltern sind nach der Geburt die wichtigsten Bezugspersonen, dort entsteht die Bindung und damit Sicherheit und Geborgenheit. Bis zum Alter von zehn bis zwölf Jahren ist das für das Kind überlebensnotwendig. Wenn Eltern sich trennen, machen Kinder die Erfahrung, dass sie ohnmächtig sind. Sie haben kein Mitspracherecht, sondern müssen einfach damit fertig werden. Insofern sind bei einer Trennung ganz existenzielle Bedürfnisse betroffen, das bedeutet eine starke Erschütterung und erzeugt starke Ängste.

Warum ist das so?

Dahinter stehen die Fragen, bin ich willkommen, hört ihr mich, seht ihr mich, seid ihr da, wenn ich euch brauche? All diese Fragen werden bei einer Trennung aus Sicht des Kindes nicht mehr sicher mit Ja beantwortet. Eine große Rolle spielt Verlustangst, wenn ein Elternteil auszieht, könnte der andere das ja auch machen. Auch das Selbstwertgefühl des Kindes ist erschüttert. Die Eltern haben immer gesagt, das Kind ist das Wichtigste im Leben, aber jetzt ist ja ganz offensichtlich etwas anderes wichtiger. Deshalb gibt es keine glücklichen Trennungskinder, wohl aber Kinder, die wieder glücklich werden können.

Was ist denn an dem Punkt, an dem Kinder von der Trennung erfahren, besonders wichtig?

Ganz wichtig ist es, authentisch und transparent zu sein und den Kindern nichts vorzumachen. Dass man also nicht sagt, der Papa zieht jetzt woanders hin, weil das sein Beruf erfordert oder weil er eine lange Reise macht. Auch wenn es schwerfällt, muss man direkt sagen: Wir werden uns trennen, die Mama wird ausziehen und du wirst uns beide sehen und beim Papa leben. Ganz wichtig ist außerdem, klar zu sagen, dass es die Entscheidung der Eltern ist. Dabei muss man sich klarmachen, dass viele Kinder in dieser Situation Schuldgefühle entwickeln.

Woher kommen diese Schuldgefühle?

Kinder können sich ein anderes Leben, als das, dass sie bisher geführt haben, nicht vorstellen und überlegen sich deshalb, es könnte etwas mit ihnen zu tun haben. Weil sie ihr Zimmer nicht aufgeräumt haben oder in der Schule nicht gut genug waren. Deshalb muss man deutlich sagen: Es ist nicht deine oder eure Schuld.

Das ist natürlich nicht so einfach in einer Trennungssituation.

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Ja, aber es ist absolut wichtig, in dieser Situation die Eltern- von der Paarebene zu trennen. Die Kinder müssen die Botschaft bekommen: Als Eltern sind wir weiter gemeinsam für euch da, als Paar gehen wir auseinander. Ob der Papa eine neue Freundin hat oder die Mama den Papa nicht mehr liebt, ist für die Kinder nicht so wichtig. Aber die Fähigkeit, die Elternebene von der Paarebene zu trennen, schon. Sie kommt nicht über Nacht, daran muss man arbeiten. 

Es gibt dafür den Begriff des Co-Parentings, die Eltern sind also weiter gemeinsam für ihre Kinder da. Ist das inzwischen das gängige Modell?

Es wird immer häufiger. Vor allem bei vielen jüngeren Eltern sehen wir, dass sie sich auch schon in der Beziehung vor ihrer Trennung sehr viel selbstverständlicher gemeinsam um die Kinder gekümmert haben. Das spielt eine wichtige Rolle, wenn es zur Trennung kommt. Weil beide die Verantwortung getragen haben und das auch künftig so halten wollen. Die kritische Zeit ist der Trennungspunkt, weil natürlich alle Konflikte zutage treten. Außerdem muss vieles neu organisiert werden. Da können Freunde oder Großeltern unterstützen, um für die Kinder das Gefühl von Geborgenheit zu erhalten. Aber es geht nicht anders, das muss man ganz deutlich sagen, auch wenn es die Konflikte und Verletzungen gibt.

Warum geht es nicht anders?

Wenn man seinen Kindern ein gutes und gelingendes Leben ermöglichen will, ist Co-Parenting die einzige Möglichkeit. Wenn man das nicht allein hinbekommt, muss man das über Mediation oder familientherapeutische Hilfe versuchen. Das zeigen alle Untersuchungen ganz deutlich. Ansonsten werden Kinder in für sie unerträgliche Loyalitätskonflikte hineingezogen. Die Erwachsenen können ja ihre verloren gegangenen Partner ersetzen. Aber für das Kind ist die Mama die Mama und der Papa der Papa. Und beiden fühlt es sich absolut zugehörig und mit beiden will es weiter zusammen sein. Das gilt auch noch für Jugendliche.

Aber Kindern wäre ja auch nicht unbedingt gedient, wenn sie sehen, dass ihre Eltern weiter zusammenbleiben, obwohl sie sich nicht mehr besonders schätzen.

Das stimmt. Es gibt auch wissenschaftliche Untersuchungen, die zeigen, dass es bei Kindern lang anhaltende Ängste freisetzt, wenn sie ständigen Konflikten der Eltern ausgesetzt sind oder gar Gewalttätigkeit erleben. Kinder sind sehr feinfühlig und bekommen viel mehr mit, als sich Erwachsene vorstellen. Eine ständige Bedrohung, die Eltern könnten sich trennen, ist wirklich furchtbar. Dann ist es auf jeden Fall besser, sich tatsächlich zu trennen. Trotzdem muss man sich klarmachen, dass die Kinder immer den Wunsch haben, dass ihre Eltern zusammenbleiben.

Studien zeigen, dass sich die meisten Familien sechs Monate nach der Trennung in die neue Situation eingefunden haben. Welche Auswirkungen haben diese Veränderungen langfristig auf die Kinder?

Es gibt drei Langzeitstudien, in denen bis ins Erwachsenenalter verfolgt wurde, wie Kinder nach Trennungen mit ihrem Leben klarkommen. Zwei stammen aus den USA und zeigen, dass sich 70 bis 80 Prozent der Kinder von getrennten Eltern kaum oder gar nicht von Kindern aus intakten Elternschaften unterscheiden. Dabei geht es um die Fähigkeiten zu Freundschaften und eigenen Beziehungen. Eine Studie, die seit den 1990er Jahren am deutschen Jugendinstitut in München erhoben wird, ist ebenfalls optimistisch, was auffällige Trennungsfolgen angeht. Am ehesten sieht man die Trennungserfahrung daran, dass Kinder, deren Eltern sich getrennt haben, später ängstlicher sind, dass die eigene Beziehung scheitern könnte. Das kann sich darin äußern, dass sie eine Bindung vermeiden und es bei One-Night-Stands belassen. Oder auch darin, dass die Beziehung von Trennungsängsten belastet wird.

Was geht bei den 20 bis 30 Prozent schief, die die Trennung nicht so gut verkraften?

Es gibt einen besonders deutlichen Faktor in den Untersuchungen, das ist die sogenannte Hochstrittigkeit, also wenn Eltern gegeneinander vor Gericht ziehen. Für finanzielle Regelungen oder für den künftigen Aufenthalt des Kindes beispielsweise. Das stürzt Kinder in schwerste Loyalitätskonflikte, wenn sie dann vielleicht noch einem Verfahrensbeistand sagen sollen, ob sie lieber bei Mama oder Papa sind. Diese Kinder haben die schlechteste Prognose. Deshalb sind beispielsweise in Skandinavien Mediationen vorher Pflicht. Um genau das zu verhindern. Katharina Barley hat das als Justizministerin auch für das deutsche Recht angeregt. Dazu ist es aber bisher nicht gekommen. Umgekehrt ist Co-Parenting die günstigste Prognose. Auch weil die Kinder den Alltag mit beiden Elternteilen behalten. Aber dass nach zwei, drei Jahren noch immer 50 Prozent der Väter jeglichen Kontakt zu den Kindern verlieren, das ist eine aus Kindersicht unerträgliche Realität.

Mit Claus Koch sprach Solveig Bach

Quelle: ntv.de

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