Leben

Zwischen "Mega" und "Mist" Heugabeln zu Kunstwerken - auf nach Osnabrück

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"Freiheitliches Denken ist mir wichtig." Volker-Johannes Trieb setzt mit seiner Kunst gerne Protestzeichen.

"Freiheitliches Denken ist mir wichtig." Volker-Johannes Trieb setzt mit seiner Kunst gerne Protestzeichen.

(Foto: Hermann Pentermann)

Echt irre, was es in dem Städtchen Osnabrück an Schätzen gibt: zeitgenössische Kunst, tolle Museen, Remarque, den Westfälischen Frieden, gutes Essen und nette Hotels. Der Künstler Volker-Johannes Trieb beispielsweise hat aus 1648 Mistgabeln eine riesige Skulptur geschaffen. Auf nach Niedersachsen! ntv.de war schon dort.

Olle Jutesäcke und abgelegte Kleider haben gerade noch ein ehemaliges Kaufhaus in Christo-Manier verhüllt und jetzt sind alte Heugabeln am Rathaus in den Himmel gestapelt. In der Schwebe zwischen "Mega" und "Mist" polarisieren temporäre Skulpturen im öffentlichen Raum von Osnabrück. Das ist Kunst, ja, aber wäre das Geld dafür woanders nicht besser investiert? Kunst fragt, Kunst fordert. Beide monumentalen Interventionen, die Klamotten von Ibrahim Mahama und die Mistgabeln von Volker-Johannes Trieb, sind Teil der Feierlichkeiten für den Westfälischen Frieden. Der wurde hier vor 375 Jahren am 25. Oktober 1648 als Endpunkt des Dreißigjährigen Krieges verkündet. Den Künstlern geht es darum, ein Signal für den aktuell so besonders fragilen Frieden zu senden.

Irritierende Projekte auf die Straße zu bringen, das ist etwas, das Volker-Johannes Trieb mehr und mehr antreibt. Der Konzeptkünstler hat "forx. Pitchforks for peace" erdacht. 1648 weiß getünchte Mist-, Dung-, Heu-, Erd-, Mulch- oder Rübengabeln schmiegen sich bis Ende Oktober in eine Ecke des geschichtsträchtigen Rathauses. Weiß als Farbe, die Frieden bringt, die Anzahl entspricht dem Jahr des wegweisenden Friedensvertrags, der nach fünf zähen Jahren und einem drei Jahrzehnte dauernden Krieg geschlossen wurde. Die Installation ist 15 Meter hoch, 28 Tonnen schwer, wirkt wie ein Netz und hat eine erstaunliche Leichtigkeit.

Wehrhaft - wie die Demokratie

375 Jahre Westfälischer Frieden - das wird in Osnabrück mit einer monumentalen Skulptur gefeiert.

375 Jahre Westfälischer Frieden - das wird in Osnabrück mit einer monumentalen Skulptur gefeiert.

(Foto: Hermann Pentermann)

Trieb erzeugt einen großartigen Kunstmoment für alle, die den Marktplatz betreten. "Ich weiß nicht, ob jeder versteht, was ich mit diesem Mahnmal am Rathaus des Westfälischen Friedens erreichen will. Es ist auch eine Kampagne für den Klimawandel und die Landwirtschaft", sagt er ntv.de beim Atelierbesuch in Osnabrück. "Die Menschheit hat schon immer Krieg gegen sich selbst geführt und tut dies inzwischen auch ökologisch." Die Mistforken stünden für menschliche Arbeit und seien das Symbol für Landwirtschaft. Sie haben zudem etwas Wehrhaftes, denn auch eine Demokratie müsse wehrhaft sein und sich an der Kunst der Diplomatie versuchen, so der Künstler weiter.

Als Streitgabel ist die Mistgabel ungeeignet, ihre Zinken sind stumpf. Trieb hat ihnen ein altes Holzstück aufgepflanzt, trotzdem will er mit seiner Kunst sein Publikum piksen. Der 57-Jährige möchte den Diskurs um Frieden und Klimawandel anstacheln. "Ich möchte nicht zum Widerstand mit Gewalt aufrufen. Oft haben Friedenszeichen wie die geknotete Pistole ein militärisches Pendant." Die Mistgabel hingegen ist ein Gegenstand, der weltweit verstanden wird. "Mit ihr wird geerntet und sie erinnert uns daran, dass acht Milliarden Menschen satt werden müssen. Ich bin froh, dass ich bei meinem Projekt auch die Landwirtschaft integrieren konnte", holt Trieb aus.

Eingriff ins Stadtbild?

4000 Quadratmeter verhüllte Fassade: Das Kunstwerk Transfer(s) von Ibrahim Mahama sorgte in Osnabrück für kontroverse Dikussionen.

4000 Quadratmeter verhüllte Fassade: Das Kunstwerk Transfer(s) von Ibrahim Mahama sorgte in Osnabrück für kontroverse Dikussionen.

(Foto: privat)

Für sein Kunstwerk hat er im Vorfeld viele Menschen aus der Region eingebunden, "ein ganzes Dorf", wie er sagt. An die 2000 alte Forken wurden an 15 Stellen in der Region gegen neue, von einem Unternehmen gespendete, getauscht. Partizipation ist das Prinzip, auf das auch Ibrahim Mahama mit seiner Verhüllungsaktion gesetzt hat. Für "Transfer(s)" haben 60 Freiwillige jeden Alters, Geschlechts und vieler Nationalitäten dem ghanaischen Künstler geholfen, die Stoffbahnen mit grobem Garn und großen Nadel zusammenzunähen. Gemeinsam wurde schließlich damit das ehemalige Warenhaus ummantelt.

Mit dem Eingriff ins gewohnte Stadtbild sollte an die Verbrechen des Kolonialismus, die ungleiche Verteilung von Macht und die Sehnsucht nach Frieden erinnert werden. Trieb hat sich beim Aufbau ebenfalls Hilfe geholt und mit Osnabrücker Gewerken wie der Maler- und Dachdeckerinnung zusammengearbeitet. "Mir hat Transfer(s) von Mahama gut gefallen. Es hat mich verletzt, wie viele Leute hier das Werk verhöhnt haben. Der Kolonialismus hat vielen Menschen ihr Leben gekostet und die Umwelt nachhaltig zerstört. Außerdem weiß ich nur zu gut, welche Fallstricke in punkto Finanzierung oder technischen Auflagen bei solchen monumentalen Projekten drohen. Da zittert man als Künstlerkollege mit."

Ist das Schrott oder kann das weg?

Vor 40 Jahren kam Volker-Johannes Trieb aus Worms nach Osnabrück, machte hier eine Ausbildung zum Keramiker. Danach entschloss er sich, Künstler zu werden. Ein nicht immer leichter Weg als Autodidakt. Inzwischen bespielt er private Sammlungen mit Keramiken und öffentliche Orte in Niedersachsen mit bildhauerischen Arbeiten. Seine Bögen, Linien und abstrakten Skulpturen aus rostig wirkendem Stahl finden sich auch im Garten seines Ateliers, das zugleich sein Wohnhaus ist. Er arbeitet bevorzugt mit Materialien, die als Schrott gelten, das gefällt nicht immer.

So wie seine künstlerischen Aktionen, die Missstände sichtbar machen sollen. Mit Tausenden schlaffen Fußbällen protestierte er vor der Züricher FIFA-Zentrale gegen die Situation von Arbeitsmigranten in Katar. Zum Kriegsbeginn in der Ukraine fuhr er nach Berlin und umwickelte dort für eine knappe Stunde die Panzer des Sowjetischen Ehrenmal im Tiergarten mit Flatterband. Darauf stand "Und langsam häufen sich auf dem Feld die Toten." Ein Zitat von Erich Maria Remarque aus seinem weltberühmten Roman "Im Westen nichts Neues", der als Netflix-Verfilmung in diesem Jahr mit Oscars überhäuft wurde. Der Osnabrücker Schriftsteller Remarque schrieb mit seinen Büchern gegen den Horror des Ersten Weltkrieges an. Aktuell stecken Osnabrücks Museen voll mit Malerei, Skulpturen, Videoarbeiten und Installationen zum Thema Frieden. Im Felix-Nussbaum-Haus und der Kunsthalle wird Kunst als ein Mittel für Widerstand und Protest gezeigt.

Hunger als Waffe

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Ist Volker-Johannes Trieb inzwischen mehr Aktivist als Künstler? "Das Aktivistische wird mir immer wichtiger. Aber ich brauche auch die Arbeit in meinem Atelier mit Materialität." Neben dem Klimawandel geht ihm der Krieg in der Ukraine sehr nah. "Auch daran sollen die Forken erinnern. Keiner hätte es für möglich gehalten, dass ein Krieg aus territorialen Ansprüchen und Nationaldenken heraus nochmal Europa erschüttert." Es bestehe eine grausige Parallele zum Dreißigjährigen Krieg: Neben Vergewaltigungen und Plünderungen werde auch heute Hunger als Waffe gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt. Mit 1648 Mistgabeln schlägt der Konzeptkünstler den Bogen von der Geschichte ins Jetzt. Er hofft, dass sein Kunstwerk noch woanders hinwandert. Ansonsten werden die von Trieb bearbeiteten Forken verkauft und der Erlös soll in ein Trinkwasserprojekt in Afrika fließen.

Essen mit Blick auf Keramikkunst im Restaurant "Wilde Triebe" ist doppelter Genuss. Volker Johannes-Trieb sagt, dass er nur schwer abschalten kann. "Sehr zu meinem Leidwesen rattert es ständig in meinem Kopf."

Essen mit Blick auf Keramikkunst im Restaurant "Wilde Triebe" ist doppelter Genuss. Volker Johannes-Trieb sagt, dass er nur schwer abschalten kann. "Sehr zu meinem Leidwesen rattert es ständig in meinem Kopf."

(Foto: privat)

Als Künstler müsse man sich ständig auf den Prüfstand begeben und neu erfinden, sagt er nachdenklich. Man stolpere von einer Pubertät in die nächste. Kann Frieden überhaupt neu gedacht werden? Die Frage wird in Osnabrück im Zuge der Feierlichkeiten zum Westfälischen Frieden in diesem Monat verhandelt. Volker-Johannes Trieb findet: "Wandel ist wichtig, man muss ihn wollen. Zugegeben fällt mir das auch schwer, dabei ist Wandel keine Bedrohung, sondern eine große Chance." Das Osnabrücker Rathaus ist, wenn man so will, längst ein Ort der Transformation: Im 16. Jahrhundert für eine politische Machtelite erbaut, steht das historische Rathaus inzwischen für demokratische Prozesse.

Die Kunst des Friedensschließens

Der Westfälische Friede gilt als der Vertrag, mit dem Regierungen erstmals die Kunst des Friedensschließens gelernt haben. Zudem wird er als Geburtsstunde des europäischen Staatenbundes gefeiert. Vor 375 Jahren war Osnabrück das, was heute die UN ist, findet Volker-Johannes Trieb. Das sei auch eine Verpflichtung, den Geist von damals auf heute zu übertragen. "Ich möchte nicht der halluzinierende Aktivist sein. Aber vielleicht kann das Erlebnis vor meinem Kunstwerk ein kleiner Tropfen sein, der irgendwann etwas bewirkt."

How to Osnabrück

Anreise: Mit der Bahn ist die niedersächsische Friedensstadt gut angeschlossen.
Übernachten: Im "Romantik Hotel Walhalla" schläft man mitten im historischen Zentrum sehr ruhig in modernen Zimmern und nur ein paar Meter vom Rathaus entfernt. Das Haus existiert seit 1690, es ist Osnabrücks ältestes bestehendes Gasthaus - heute ist es ein Hotel mit drei Restaurants.
Essen: Ein Erlebnis für alle Sinne mit Keramik vom Künstler Trieb ist das Restaurant "Wilde Triebe", Am Sutthauser Bahnhof 5. Das Essen im 150 Jahre alten ehemaligen Bahnhofsgebäude ist laut Guide Michelin "trendig-puristisch und ideenreich". Eine gute Verbindung von Kunst und Kulinarik. Bitte reservieren. Auf Anfrage kann man den auf dem Gelände befindlichen Garten des Künstlers besuchen.
Kunst: Die Installation von Volker-Johannes Trieb "forx. pitchforks for peace" ist noch bis zum 31. Oktober am Rathaus, Markt 30, 49074 Osnabrück zu sehen.
Im Felix-Nussbaum-Haus, Lotter Straße 2, läuft die Ausstellung "#nicht muedewerden - Felix Nussbaum und der künstlerische Widerstand heute" (bis zum 7. Januar). Sie zeigt die Kraft der Kunst gegen Krieg und Krisen im Dialog mit dem Maler Nussbaum und internationalen KünstlerInnen.
Die Kunsthalle, Hasemauer 1, wartet mit zeitgenössischer Kunst in einer ehemaligen Klosterkirche auf. Zum 30-jährigen Jubiläum des Museums wurde die Installation von Ibrahaim Mahama initiiert.
Das Erich-Maria-Remarque-Friedenszentrum, Markt 6, bietet viel zum 125. Geburtstag des Autors, auch mehr zum "Westfälischen Frieden - 375 Jahre" und seinem Jubiläumsprogramm.
Film: "Im Westen nichts Neues", der oscarprämierte Film von Edward Berger (Netflix)

Quelle: ntv.de

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