Schmerzhafte Sak-Yant-Tattoos Spiritualität geht in Thailand unter die Haut
11.02.2022, 17:59 Uhr
Zu den Sak-Yant-Motiven gehören geometrische Figuren, Tiere und in der altindischen Pali-Sprache verfasste, rätselhaft anmutende Khmer-Schriftzüge.
(Foto: dpa)
Ihr werden magische und schützende Kräfte nachgesagt: Sak Yant heißt die ebenso geheimnisumwitterte wie schmerzhafte Tätowierkunst aus Thailand, die schon so manchen in Trance versetzt haben soll. Die wohl berühmteste Trägerin ist ein Hollywoodstar.
Konzentriert und mit stoischer Mine lässt die junge Thailänderin die Prozedur über sich ergehen. In einem rosa Kleid kniet sie vor dem Meister, den Rücken entblößt, die Hände in Gebetshaltung. Hinter ihr sitzt Ajarn Neng im Schneidersitz auf einer Holzbank, einen angespitzten Metallstab in der Hand. Der 45-Jährige ist bis zum Hals mit geheimnisvollen Motiven und Schriftzeichen tätowiert. Mit ebenso gezielten wie routinierten Bewegungen sticht er mit dem schweren Werkzeug unter ihre Haut.

Ajarn Neng tätowiert in seinem Laden im Stadtteil On Nut in Bangkok den Rücken einer jungen Frau mit Öl - so ist das Tattoo zwar da, bleibt aber unsichtbar.
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Die Frau lässt sich zwischen den Schulterblättern ein Sak Yant stechen. Die sakrale Tätowierkunst ist in Südostasien seit Jahrhunderten verbreitet. Sak bedeutet dabei so viel wie "tätowieren", das Wort Yant stammt aus dem Sanskrit und steht für sakrale geometrische Figuren. Das Besondere: Anders als Hautverzierungen im Westen, die gerne zur Schau gestellt werden, bleiben Yantra-Tätowierungen oft verborgen. Ihr Sinn ist nicht Ästhetik, sondern die Entfaltung mystischer Kräfte.
"Ajarn" ist dabei kein Name, sondern die gängige Bezeichnung für Sak-Yant-Meister. Auf Thai bedeutet das Wort schlicht "Lehrer". Ein Ajarn hat eine lange Ausbildung hinter sich, während der er in das von Generation zu Generation übertragene Wissen um die Mysterien, Regeln und Botschaften der Yantra-Tätowierung eingeweiht wurde. Auch viele buddhistische Mönche sind Sak-Yant-Meister. Verwendet werden ausschließlich angespitzte Metall- oder Bambusstäbe.
"Nicht zu verwechseln ist das mit den Sak-Yant-Touristenläden etwa in Bangkoks Backpackermeile Khaosan Road", sagt der deutsche Autor Tom Vater, der ein Buch über die sakrale Körperkunst geschrieben hat. Für "Sacred Skin - Thailand's Spirit Tattoos" hat er gemeinsam mit der Fotografin Aroon Thaewchatturat eineinhalb Jahre lang recherchiert.
Seit sich Hollywoodstar Angelina Jolie und weitere Promis in Südostasien Sak Yants stechen ließen und die Körperkunst bekannt machten, wittern viele Thais das große Geschäft. Shops von Phuket bis Chiang Mai werben mit "Bamboo Tattoos" zum kleinen Preis. "Das hat mit echten Yantra-Tätowierungen und Schutzkräften nichts zu tun, das sind nur hübsche Bilder auf der Haut", betont Vater. Der 54-Jährige, der seit 20 Jahren in Thailand lebt, hat selbst seit einigen Jahren ein von Ajarn Neng gestochenes Sak Yant. "Es hat mich überrascht, wie weh das im Vergleich zu normalen Tattoo-Nadeln getan hat. Die ersten zwei Minuten waren die Hölle", erinnert er sich. Zu dem Motiv mit sieben Spitzen habe ihm Ajarn Neng geraten.
Öl statt Tinte
Der Tätowierung geht immer ein eingehendes Gespräch zwischen dem Meister und seinem "Devotee" (deutsch etwa: Anhänger) voraus. Besprochen wird die Frage, was das Sak Yant bewirken und welche Kräfte es entfalten soll. Gesundheit? Erfolg im Job? Glück in der Liebe? Für fast jeden Wunsch und jede Lebenslage gibt es ein Muster, eine geometrische Figur, ein Tier oder einen in der altindischen Pali-Sprache verfassten, rätselhaft anmutenden Khmer-Schriftzug.
"Ich rate dann auch zu einer bestimmten Körperstelle für das Sak Yant, je nachdem, was der Träger bezwecken will", sagt Arjan Neng. In seinem kleinen Studio im Bangkoker Stadtteil On Nut stapeln sich "Ruesi"-Skulpturen bis zur Decke - das thailändische Pendant zu den indischen Rishis. Diese weisen Einsiedler und Schamanen, die meist ein drittes Auge auf der Stirn haben, sind untrennbar mit den Sak Yants und der Macht der Tätowiermeister verbunden. An der Wand hängen Fotos, die Ajarn Neng mit Action-Star Steven Seagal und mit Schauspielerin Brooke Shields zeigen, die beide zu seinen Kunden gehören. Daneben sind mehr als ein Dutzend Metallstäbe in verschiedenen Längen aufgereiht. Viele Ausländer kämen zu ihm, sagt der Meister, "neben Amerikanern vor allem Deutsche".
Während des Tätowierprozesses rezitiert der Ajarn ein Mantra. Anschließend wird das Sak Yant aktiviert - so auch bei der jungen Frau im rosa Kleid. Ajarn Neng legt ihr die Hände auf die Schultern und spricht ein weiteres Mantra, dann pustet er sanft auf die Stelle und besprenkelt sie mit Wasser. Hier wird es noch geheimnisvoller: Obwohl der Meister 20 Minuten lang zugestochen hat, ist die Haut der Frau nur leicht gerötet, das Tattoo ist gar nicht auszumachen. Die Thailänderin hat sich für ein Sak Yant in Öl entschieden, nicht mit Tinte. So ist es zwar da, bleibt aber unsichtbar. Das machten viele Frauen, sagt ihre Freundin Rin, die selbst schon mehrere Öl-Sak-Yants unter der Haut trägt. Es gebe leider viele Vorurteile gegen die Tätowierungen: "Nicht alle sind offen dafür, darum möchte ich nicht, dass man meine Sak Yants sieht", sagt sie.
Alles nur Hokuspokus?
Denn gerade die konservative thailändische Mittelschicht tut die sakralen Tattoos gern als Hokuspokus der Arbeiterklasse ab. "Für diese ist es aber eine der ganz wenigen Möglichkeiten, sich kulturell und religiös auszudrücken - und etwas ganz eigenes zu haben", erzählt Tom Vater. "Zudem ist ein Sak Yant wie ein moralischer Kodex und somit eine ständige und mächtige Erinnerung daran, auf dem richtigen Weg zu bleiben." So mancher Krimineller soll angeblich dank seines Sak Yant auf den Pfad der Tugend zurückgekehrt sein, so Vater. Denn der Devotee verpflichtet sich, sein Leben lang fünf buddhistische Regeln einzuhalten, etwa kein Leben zu nehmen, nicht zu stehlen und keine Rauschmittel zu konsumieren. Zudem hat jeder Ajarn seine eigenen Gebote. Bricht der Devotee sie, dann verliert sein Sak Yant die Kraft, so heißt es.
Alles Aberglaube? Wer das jährliche Sak-Yant-Festival in Bangkoks Wat Bang Phra mit Zehntausenden Teilnehmern besucht, erlebt unglaubliche Szenen. Unter dem Einfluss der zum Teil frisch gestochenen Yantras fällt so mancher Anhänger in einen ekstatischen Trancezustand. Oder er wird gar in seinem Erleben zu dem Tier, das er nun auf der Haut trägt, sei es ein Tiger, ein Krokodil, ein Drache oder ein Elefant.
Yantra-Tätowierungen seien eine ganz eigene Welt, "ein bizarres Aufeinanderprallen von Umständen, von Glaube und Geschichte, von Ordnung und Chaos, von Suchern und Scharlatanen, von Demut und Machismo", bringt Tom Vater es in seinem Buch auf den Punkt. Und ein großer Teil der thailändischen Gesellschaft sei Teil dieser mysteriösen Welt, mit einem Sak Yant als "zweiter, magischer Haut".
Quelle: ntv.de, Carola Frentzen, dpa