Leben

Ein Maler als Marke Vermeer - ein Blockbuster in Amsterdam

Nicht nur das geheimnisvolle "Mädchen mit dem Perlohrgehänge" garantiert ausverkaufte und volle Museen.

Nicht nur das geheimnisvolle "Mädchen mit dem Perlohrgehänge" garantiert ausverkaufte und volle Museen.

(Foto: Rijksmuseum / Henk Wildschut)

Kleinformatige Gemälde aus dem 17. Jahrhundert sprengen gerade alle Superlative: Die Vermeer-Ausstellung im Amsterdamer Rijksmuseum ist ein Coup und war bereits nach drei Tagen ausverkauft. Was aber macht diese 28 Bilder zu Publikumsmagneten? ntv.de schaut wie immer genau hin.

Jetzt oder nie wieder! So lautet das Motto dieser Jahrhundert-Ausstellung in Amsterdam. Es ist die größte jemals gezeigte Werkschau Vermeers. Ein Blockbuster, den Kunst-Enthusiasten und Kunst-Touristen gesehen haben wollen, sollen, müssen. Der niederländische Maler ist ein Erfolgsgarant. Schon am Eröffnungstag hielt der Server dem Ansturm auf die Tickets nicht stand. Am dritten Tag war die Schau mit 450.000 verkauften Eintrittskarten ausverkauft. Klingt nach cleverer Kunst-PR des Rijksmuseums. Hätte man diesen Hype ahnen können?

Scarlett Johansson - die perfekte Besetzung. Apropos Johansson - der oft als Jan bezeichnete Vermeer ist eigentlich ein Johannes.

Scarlett Johansson - die perfekte Besetzung. Apropos Johansson - der oft als Jan bezeichnete Vermeer ist eigentlich ein Johannes.

(Foto: imago images/Ronald Grant)

"Ja", meint Uta Neidhardt, Oberkonservatorin für niederländische Malerei der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden. Sie beschäftigt sich seit knapp 20 Jahren intensiv mit Johannes Vermeer, hat mehrere Ausstellungen mit Vermeer-Gemälden kuratiert. "Es gibt diese Popstar-Ebene", sagt sie ntv.de, "die würde ich nicht geringschätzen". Spätestens seit Scarlett Johansson 2003 in dem Film "Das Mädchen mit dem Perlenohrring" die Hauptrolle gespielt habe, beschäftigen sich auch Menschen mit Vermeer, die sich nicht unbedingt für Kunst interessieren. "Zudem existieren nur wenige Bilder des Malers", so die Kunsthistorikerin weiter. In Amsterdam sind jetzt 28 von wahrscheinlich noch 35 existierenden Bildern zu sehen. Mehr Vermeers waren nie an einem Ort.

Reduktion mit Effekt

Pure Magie ist dieses Lichtfunkeln. "Vermeer setzte farbige Lichttupfen auf bestimmte Oberflächen, die uns heute beinahe impressionistisch erscheinen", erklärt Uta Neidhardt. Auf den ikonischen Perlohrring setzte er einen Punkt pastos - also extra dickflüssig - auf. "Wenn das tatsächlich uns umgebende Licht darauf fällt, wird es reflektiert. Effekte wie diesen wusste Vermeer in Malerei umzusetzen. Das deckt sich mit unseren heutigen visuellen Erfahrungen aus Fotografie und Film." Vermeer hat zwar ähnliche Motive wie seine Zeitgenossen gewählt, aber er stellte sie in großer Reduktion und Ruhe dar. So wie er die Personen in alltäglichen Situationen zeigt, werden sie zur Identifikationsfläche für Millionen Menschen. Dabei bediente er sich moderner Sehmethoden. Mal gestaltete er Gegenstände in verschiedenen Bildebenen scharf, mal unscharf. Die Konzentration auf das Wesentliche macht seine Bilder zudem modern und beinahe fotorealistisch. Wie er die Wirkung von Licht und Schatten in seiner Malerei festhält, sei ein weiteres Element seiner Genialität, so Neidhardt.

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Aus Museen und Sammlungen in Dresden, Berlin, Frankfurt, Paris, London, New York oder Tokio sind die kostbaren Werke angereist. Acht lange Jahre wurde die Schau im Rijksmuseum vorbereitet. Transportkosten, astronomische Versicherungssummen werden in Kauf genommen, denn der Aufwand lohnt auch für die Forschung. Der Wissenszuwachs ist enorm. Ein Museum ist schließlich immer ein Ort der Wissenschaft. Hier können die geliehenen Bilder aus aller Welt direkt nebeneinander verglichen werden. Johannes Vermeer signierte seine Werke nur gelegentlich - mit einer genauen Datierung tun sich Kunsthistoriker schwer. Im Laufe der Jahrhunderte tauchten immer wieder mal Vermeer-Bilder auf, darunter auch Fälschungen. Es hilft enorm, Material und Farbpigmente, die Vermeer benutzt hat, genauestens unter dem Mikroskop und mit neuesten, zerstörungsfreien Analysemethoden untersuchen zu können.

Elffacher Vater - immer für eine Überraschung gut

Dabei gab es öfter Überraschungen, zuletzt in Dresden 2021, als dort eine Schau mit immerhin zehn Werken Vermeers vorbereitet wurde. Im Rijksmuseum wurde jetzt übrigens erneut ein Geheimnis gelüftet. Der Meister hatte hinter die "Dienstmagd mit Milchkrug" ein Regal mit Krügen an die Wand gemalt, die er jedoch wieder hinter weißer Farbe verschwinden ließ. Seine dargestellten Figuren ruhen in sich und laden das Publikum ein, innezuhalten. Dieses Mal verzaubern sie Besucherinnen und Besucher im oberen Stockwerk des Rijksmuseum. Teilweise sind die Werke mit samtenen Vorhängen voneinander getrennt und mit Glasscheiben vor etwaigen Klimaaktivisten-Attacken gut geschützt. Die Bilder sind nicht sehr groß, daher ist die Besucheranzahl streng reglementiert.

Museen versuchen bei jeder Ausstellung mehr Rätsel über das Mysterium Vermeer zu lösen.

Museen versuchen bei jeder Ausstellung mehr Rätsel über das Mysterium Vermeer zu lösen.

(Foto: Rijksmuseum/Kelly Schenk)

Die kleinen Formate hatte Vermeer auf seine Wirkung hin geschaffen. Man glaubt zu hören, wie die Milch aus dem Krug gluckert. Die Fertigkeit, mit der er Teppiche, Stoffe und Vorhänge malte, lässt das Publikum jede Faser fühlen. Akribisch und detailversessen hat er die Interieurs seiner Zeit auf der Leinwand festgehalten. Wer sich in seine Gemälde vertieft, ist hingerissen - auch von der Ruhe, die sie ausstrahlen. Vermeer malte die Stille. Was wiederum überrascht, da er elf Kinder hatte.

Was weiß die Kunstwelt wirklich über Johannes Vermeer? Geboren 1632 im holländischen Delft im sogenannten goldenen Zeitalter der niederländischen Malerei. Das Städtchen selbst hat er nie verlassen. Er war Maler, Kunsthändler und auch Kneipenwirt. Pro Jahr entstanden zwei Gemälde. Geldsorgen plagten ihn permanent, angeblich war er bankrott, als er mit 43 Jahren starb. Seine Witwe bezahlte die über Jahre beim Bäcker angehäuften Schulden mit einem Vermeer. Abbildungen von ihm selbst gibt es keine und nur einige, wenige Dokumente erlauben den Blick in sein Leben. Die sind derzeit im Prinsenhof in Delft zu sehen. Viele Fragen zu seiner Biografie und Kunst sind noch offen. Nach seinem Tod geriet Vermeer in Vergessenheit. Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckte ihn der französische Kunstkritiker Théophile Thoré wieder und bezeichnete ihn als "Sphinx von Delft". Auch, weil Vermeers Leben im Dunkeln lag.

Mystischer Malerstar

Wenn wir Glück haben, dann verlängert das Museum seine Öffnungszeiten und noch mehr Fans kommen in den Genuss dieser Ausstellung.

Wenn wir Glück haben, dann verlängert das Museum seine Öffnungszeiten und noch mehr Fans kommen in den Genuss dieser Ausstellung.

(Foto: Rijksmuseum)

Ende des 20. Jahrhunderts reiht er sich als einer der bekanntesten Maler des Barocks in den Kunstkanon ein. Riecht der jetzige Hype um Vermeer nicht nach Geldmacherei? Wo immer Johannes Vermeer zu sehen ist, bilden sich Schlangen vor den Museen. In Dresden waren ab Herbst 2021 immerhin zehn Bilder Vermeers in der Gemäldegalerie Alte Meister für knapp vier Monate zu sehen. Auch hier waren die Zeitfenster ausgebucht. Der Amsterdamer Status "Ausverkauft nach drei Tagen" macht weltweit Schlagzeilen. Vermeer-Expertin Uta Neidhardt freut sich: "Das Rijksmuseum hat Power, Geld und Status. Besonders in diesen anstrengenden Zeitläufen ist es schön, dass Menschen vor so einem Künstler einen Kniefall machen."

Die sogenannte "Mona Lisa des Nordens" ist das berühmteste Gemälde des Niederländers. "Das Mädchen mit dem Perlohrgehänge" hängt sonst im Mauritshuis in Den Haag. Es hat ihn zum Superstar gemacht, weltweit wird das kultige Girl auf allerlei Gegenstände gedruckt. Wer ist diese junge Frau mit dem Turban? Die Mystik um ihre Identität hat Schriftstellerinnen und Filmemacher gleichermaßen befeuert. Es ist dieser geheimnisvolle Zwischenmoment des Zu- oder Abwendens, den Vermeer so unvergleichlich eingefroren hat. Ihr Mund ist halb geöffnet, als ob sie etwas sagen möchte. Nur was? Vermeer hat geschickt einen seiner magischen Glanzpunkte auf ihre Lippen gesetzt.

Genau diese Lippen hängen nun als riesiges Plakat weithin sichtbar am Rijksmuseum und werben für die Ausstellung. In Den Haag wird das ikonische Bild derzeit schmerzlich vermisst. Das Mauritshuis kuratiert unter "mygirlwithapearl" einen Instagram-Kanal und veröffentlicht Interpretationen des Meisterwerks. Wie gesagt - Johannes Vermeer zieht die Massen an. Im Rijksmuseum wird inzwischen daran gearbeitet, noch mehr Menschen den Blick auf den raren Schatz zu ermöglichen. Im Sommer können alle wieder an ihren angestammten Plätzen besucht werden. Auch in der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister - in aller Stille.

"Vermeer. Die größte Werkschau aller Zeiten" läuft bis zum 4. Juni im Rijksmuseum in Amsterdam

Der britische Schauspieler Stephen Fry spricht über die Vermeer-Bilder im Rijksmuseum online

Vermeer's Delft, Museum Prinsenhof Delft, bis zum 4. Juni

Quelle: ntv.de

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