Leben

600 Meter tief im Krater Vulkanfotografin blickt ins "offene Herz der Erde"

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Mit ihrem Abstieg in den Benbow erfüllte sich Ulla Lohmann einen Kindheitstraum.

Mit ihrem Abstieg in den Benbow erfüllte sich Ulla Lohmann einen Kindheitstraum.

(Foto: Ulla Lohmann)

Ulla Lohmann ist an Orten unterwegs, die viele eher an Hölle denken lassen. Sie fotografiert ausbrechende Vulkane und hat sich ihren Kindheitstraum erfüllt: Als erster Mensch war sie 600 Meter tief im Krater eines aktiven Vulkans. "Die Erde dort unten bebt ganz heftig, der Himmel ist nur noch ein kleines Loch und die Gase stechen in der Nase", sagt die Fotografin im Interview mit ntv.de. Außerdem verrät sie, warum sie im Krater gut geschlafen hat, wie gefährlich ihr Beruf ist und was es mit Menschen macht, tagtäglich mit dem Tod vor Augen in unmittelbarer Nähe zu aktiven Vulkanen zu leben.

ntv.de: Wie ist Ihre Leidenschaft für Vulkane entstanden?

Ulla Lohmann: Ich glaube, da war mein Papa dran schuld. Der hat mich mit acht Jahren nach Pompeji mitgenommen, wo ich diese zerstörerische Kraft vom Vesuv gesehen habe, aber nicht erleben konnte, wie das passiert. Der Vulkan ist ein Berg und fertig. Und seitdem wollte ich unbedingt diese Lava sehen und mir das richtig vorstellen können.

Sie und Ihr Mann Sebastian Hofmann haben sich als erste Menschen 600 Meter tief in einen aktiven Vulkan abgeseilt, in den Krater des Benbow im südpazifischen Inselstaat Vanuatu. Wie war das für Sie?

Ich habe da jahrelang darauf hingearbeitet und als ich dann da unten stand, war es für mich wie dieser Kindheitstraum von der Reise zum Mittelpunkt der Erde. Ich habe diese Erde vor mir brodeln und blubbern gesehen. Der Lavasee lag quasi wie das offene Herz der Erde vor mir und ich weiß noch genau, wie ich gebannt war von diesem See, er hat mich magisch angezogen. So habe ich mir meinen Traum vorgestellt. Aber andere Leute hätten sich so die Hölle vorgestellt, denn die Erde dort unten bebt ganz heftig, der Himmel ist nur noch ein kleines Loch und die Gase stechen in der Nase.

Sie haben auf 200 Metern in dem Vulkan gezeltet und übernachtet. Konnten Sie da ruhig schlafen?

Ich habe ganz gut geschlafen, das ist ein bisschen wie ein Schaukelstuhl, man wird durch diese vulkanischen Beben sanft in den Schlaf geschaukelt. Und man braucht keine Taschenlampe, weil der Vulkan die ganze Zeit vor sich hin glüht wie eine Kindernachttischlampe. Ich habe mich geborgen gefühlt, weil ich in dem Moment wusste, dass die Bedingungen passen. Das einzig Störende ist die Gasmaske, die man immer aufhaben muss. Weil die Gasmaske nicht gegen Kohlenmonoxid hilft, hatten wir ein Warnmessgerät gegen die ganz giftigen Gase dabei, das hätte uns aufgeweckt.

Hatten Sie Angst dort unten?

Ich hatte Angst, wie heiß es da ist. Aber jetzt nicht Lebensangst, wir haben uns sehr sorgfältig vorbereitet. Es war eher ein Respekt der Natur gegenüber. Ich habe gemerkt, wie klein ich bin, wie klein wir als Menschen sind. Und wie kostbar es ist, dass wir trotzdem da sein dürfen und solche Momente erleben können. Angst habe ich viel mehr davor, nachts in München allein mit der S-Bahn zu fahren. Ich muss mich immer abholen lassen, weil ich mich da fürchte.

Sie sagten, Sie haben sich jahrelang auf den Abstieg in den Vulkan vorbereitet. Wie genau haben Sie das gemacht?

Das erste Mal war ich 1999 am Benbow, bei einer vom Bundessieg bei "Jugend forscht" finanzierten Weltreise. Da stand ich mit 19 Jahren oben am Kraterrand und habe gesagt: Wahnsinn, irgendwann will ich mal als erster Mensch da runter. Dann habe ich über Vulkane gelernt und Umweltmanagement studiert. Und ich habe mit Klettern angefangen, weil ich gedacht habe, dass es nicht nur eine gute Idee ist reinzukommen, ich will da auch wieder raus. Ich habe dann auch die Sprache der Einheimischen gelernt und Reisen für Vulkanbegeisterte angeboten, das mache ich heute immer noch. Außerdem habe ich mit Wissenschaftlern zusammengearbeitet und alles gemacht, damit ich den Vulkan besser kennenlerne. Deswegen war das jetzt nicht so angsteinflößend, ich wusste, dass der Vulkan nicht größer auszubrechen droht, sondern einfach vor sich hin blubbert.

Ulla Lohmann

Ulla Lohmann ist Fotografin und Filmemacherin und hat sich auf aktive Vulkane spezialisiert. Ihre Begeisterung teilt sie mit Interessierten und bietet gemeinsam mit Ihrem Mann Fotoreisen zu Vulkanen an.

Beim Kauf des aktuellen Buches "Vulkanmenschen" über Lohmanns Webseite geht automatisch eine Spende an Einwohner von Vanuatu, die Hilfe beim Wiederaufbau ihres Dorfes auf der Insel Tanna benötigen. Die Insel wurden Anfang 2023 kurz hintereinander von zwei Zyklonen und einem Erdbeben verwüstet.

Geraten Sie häufig in gefährliche Situationen, wenn Sie Vulkane fotografieren?

Ich bin keine Katastrophentouristin, sondern Umweltwissenschaftlerin, ich interessiere mich dafür, wie die Menschen mit den Vulkanen leben und mache keinen Katastrophenjournalismus. Gefährliche Situationen hatte ich am Anfang meiner Laufbahn als Vulkanfotografin, da kannte ich mich mit den Vulkanen noch nicht so aus. Ich habe die Warnungen von einheimischen Freunden komplett ignoriert und bin trotzdem auf den Vulkan hoch. Und da ist er einmal wirklich explodiert. Ich war damals 21 und habe um mein Leben gezittert, bin einfach nur weggerannt und hatte richtiges Glück, dass nichts passiert ist.

Was machen Sie heute, falls Sie in eine solche Situation kommen?

Normalerweise bleibe ich sehr reflektiert. Es gibt mir Sicherheit, dass ich in Gefahrensituationen ganz analytisch denke. Wenn ein oder zwei Brocken, man nennt sie "Vulkanbomben", ein bisschen weiter rausgeschleudert werden, dann muss man nur hochschauen, stehen bleiben, gucken, wie die Flugbahn ist, und dann einfach ausweichen. Da muss man natürlich einen kühlen Kopf bewahren können. Das Gefährlichste ist, in einer solchen Situation in Panik zu geraten.

Wie erleben Sie die Menschen, die in unmittelbarer Nähe zu aktiven Vulkanen leben und quasi tagtäglich den Tod vor Augen haben?

Sie sind viel dankbarer der Natur und dem Leben gegenüber, weil sie merken, dass die Natur über allem steht und dass man demütig der Schöpfung gegenüber sein darf. Und ich habe gelernt, dass viele Menschen auch an Dinge glauben, an die ich jetzt als Wissenschaftler nicht unbedingt glaube, aber die man akzeptieren muss. Das ist extrem spannend, in Vanuatu gibt es zum Beispiel Vulkanflüsterer, die den Vulkan ganz genau beobachten und bestimmte Sachen in der Vergangenheit von ihren Vorfahren erzählt bekommen haben.

Und das funktioniert?

Ja, das funktioniert tatsächlich ganz gut. Es gibt viele Anzeichen, die Tiere verhalten sich anders. Sogar Bäume am Ätna verändern sich, sie werden braun, wenn bestimmte Gase austreten. Da kann man dann auch längerfristig sagen, dass sich bald was tun wird.

Inwieweit gehen indigene Völker, die Sie im Südpazifik besucht haben, und Menschen zum Beispiel auf Stromboli anders mit ihrer Lebenssituation um?

Das war spannend, weil ich gedacht habe, dass Vulkanmenschen im Pazifik, die nicht unsere wissenschaftlichen Hintergründe haben, anders mit dem Vulkan leben. Aber dann habe ich die Menschen auf Stromboli kennengelernt und festgestellt, dass sie sehr viel mehr Gemeinsamkeiten mit diesen Naturvölkern haben, als ich dachte. Auch sie spüren eine tiefe Verbundenheit zur Natur und sind ihr ausgeliefert. Auf der Insel wird ganz viel getauscht, man hilft und unterstützt sich, wie in einem pazifischen Stamm. Da entsteht eine eingeschworene Gemeinschaft, die mit dem Vulkan lebt.

Ein Lieblingsbild der Fotografin: Dass der Tavurvur auf der Halbinsel Matupit in Papua-Neuguinea explodiert, ist für diese Jungen Alltag. Sie spielen unbeirrt weiter.

Ein Lieblingsbild der Fotografin: Dass der Tavurvur auf der Halbinsel Matupit in Papua-Neuguinea explodiert, ist für diese Jungen Alltag. Sie spielen unbeirrt weiter.

(Foto: Ulla Lohmann)

Was genau hält Menschen in der Gefahrenzone? Sie könnten ja auch in eine sicherere Umgebung ziehen.

Für viele Menschen ist das die Erde ihrer Vorfahren. Und sie haben gelernt, mit dem Vulkan zu leben. In Papua-Neuguinea habe ich den Vulkanausbruch vom Tavurvur über zehn Jahre begleitet und die Menschen lebten ständig in Schutt und Asche und wollten trotzdem nicht weg. So widersprüchlich es klingt, aber sie lieben ihren Vulkan auch, oft gibt er ihnen Arbeit. Zum Beispiel den Schwefelträgern in Indonesien, die die wohl gefährlichste Arbeit der Welt haben. Sie verringert die Lebenserwartung um zehn Jahre. Aber die Menschen machen die Arbeit trotz dieser giftigen Schwefeldämpfe. Sie schleppen über 100 Kilo den Berg hoch und runter und haben zum Teil noch nicht mal Gasmasken. Aber die sind stolz darauf, dass sie mit dem Geld ihre Familie ernähren können. Und so ist ein Vulkan zum einen Segen, weil er fruchtbare Erde gibt wie am Ätna, oder Jobs im Tourismusbereich. Zum anderen ist er Fluch, weil er das Leben ganz schnell auslöschen kann.

Wie hat die Beschäftigung mit Vulkanen Ihre Sicht auf das Leben verändert?

ANZEIGE
"Vulkanmenschen" von Ulla Lohmann
8
38,00 €
Zum Angebot bei amazon.de

Von den Vulkanen habe ich diese Ehrfurcht vor der Erde gelernt. Dass ich das Leben nicht als selbstverständlich hinnehme und mich auch über Kleinigkeiten nicht mehr so aufrege, sondern ein bisschen gelassener bin. Und dankbarer, dass ich leben darf, so komisch sich das anhört. Aber wenn man merkt, was für eine zerstörerische Kraft ein Vulkan hat, dann freut man sich viel mehr darüber, diese ganzen tollen Sachen erleben zu dürfen. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir die Erde haben, so wie sie jetzt ist. Wir müssen gemeinsam schauen, dass wir sie bewahren und schützen, weil es etwas Kostbares und Schönes ist.

Ihr Buch haben Sie ja dem Manuk gewidmet, Ihrem Lieblingsvulkan. Was macht diesen Vulkan so besonders für Sie?

So heißt mein Sohn, der ist nach einem aktiven Vulkan benannt. Und der Manuk in Indonesien war so ziemlich der einzige Name, der infrage kommt. Fagradalsfjall oder Nyamuragira kann ja kein Mensch aussprechen. Deswegen habe ich ihn Manuk genannt, er ist jetzt gerade fünf geworden, hat schon 45 Länder gesehen und acht ausbrechende Vulkane. Und er möchte Vulkanforscher werden und ein Fahrzeug erfinden, mit dem man zur Magmakammer fahren kann.

Mit Ulla Lohmann sprach Katja Sembritzki

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen