Prozess um Münzen-Diebstahl Anwaltrede ist Gold
10.01.2019, 16:19 Uhr
Einer der vier Angeklagten im Berliner Goldmünzenraub-Prozess wird von seinen Verteidigern umrahmt.
(Foto: picture alliance/dpa)
Eineinhalb Jahre hüllen sich vier als Diebe der Goldmünze "Big Maple Leaf" beschuldigte Männer in Schweigen. Zum Prozessauftakt in Berlin schlägt ihr Anwaltsteam umso vehementer gegen den Vorwurf des schweren Diebstahls zurück.
Sechseinhalb Minuten Zeit nimmt sich Rechtsanwalt Toralf Nöding, um im voll besetzten Gerichtssaal 700 in Berlin-Moabit seinen Gegenspielern für die kommenden drei Monate einmal gründlich die Leviten zu lesen. Sechseinhalb Minuten, in denen er all die Ungerechtigkeiten kontern möchte, die den vier Angeklagten seit ihrer Festnahme vor anderthalb Jahren angeblich widerfahren sind. Am Ende wissen Polizei, Staatsanwaltschaft und Medien, dass sie schlecht und voreingenommen gearbeitet haben und das Gericht nun dafür Sorge zu tragen hat, diese Fehler gerade zu rücken. Ende der Durchsage.
Wayci R., sein Bruder Ahmed R., ihr Cousin Wissam R. und der Mitangeklagte Denis W. wissen sich an diesem ersten Prozesstag zum Diebstahl der hundert Kilo schweren Goldmünze "Big Maple Leaf" aus dem Berliner Bode-Museum in guten Händen. Insgesamt acht, teils sehr renommierte Verteidiger sollen den von der Anklage vorgetragenen Vorwurf abschmettern, die vier hätten sich des gemeinschaftlichen Diebstahls in einem besonders schweren Fall schuldig gemacht.
Starke Nerven
Nöding setzt gleich zu Beginn den Ton und lässt die Beteiligten ahnen, dass das Verteidigerteam die Beweislast für dünn und konstruiert hält und diese in den kommenden Monaten minutiös auseinander zu nehmen gedenkt. Die Beschuldigten lassen sich nicht anmerken, ob sie die Erklärungen von Nöding und Marcel Kelz, dem Verteidiger von Denis W., beeindrucken. Sollten die von Oberstaatsanwältin Martina Lamb vorgetragenen Vorwürfe aber stimmen, haben die jungen Männer ohnehin starke Nerven.
In der Nacht zum 27. März 2017, einem Montag, sollen sie vom Hochbahnbett der Berliner S-Bahn aus über eine Leiter in das gegenüberliegende Gebäude auf der Museumsinsel eingedrungen sein. Dort hätten sie dann eine Glasvitrine zertrümmert, die schwere Goldplatte aus dem 1,80 Meter hohen Fenster der Personalumkleide gewuchtet und sie anschließend per Schubkarre über den Weg am Gleisbett zurück in Richtung S-Bahnhof Hackescher Markt geschoben.
Noch vor dem Bahnhof ließen sie laut Anklage die Münze mit der Abbildung von Queen Elizabeth II. per Seil vom S-Bahnviadukt herab. Mit einem bereit stehenden Fluchtfahrzeug sollen sie entkommen sein. Die Münze wurde mutmaßlich zerteilt, das Gold verkauft und der Erlös aufgeteilt. Oberstaatsanwältin Lamb fordert daher neben einer Verurteilung wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall, von den Beklagten den Verkaufswert in Höhe von 3,75 Millionen Euro einzuziehen.
Student, Kurier, Seitenscheitel
Nach so viel Geld sieht keiner der jungen Männer im Alter von 20 bis 24 Jahren aus. Weil sie zur Tatzeit noch so jung waren, sind alle außer dem 24-jährigen Studenten Wayci als Heranwachsende angeklagt. Zwei sind Schüler, Wissam arbeitet nach eigenen Angaben als Kurier. Allesamt sind sie unauffällig gekleidet. Der pausbäckige Denis W. sieht mit seinem Scheitelschnitt und dem Hemdkragen unterm Pullover besonders harmlos aus. Ahmed erscheint in hellem Rollkragenpullover und mit Baskenmütze. Kein Hauch von Großspurigkeit.
Weil die vier nur einige Wochen bis Monate in Untersuchungshaft sitzen, bevor ihre Anwälte sie rausboxen, erscheinen die Männer, über die in den vergangenen eineinhalb Jahren so viel geschrieben worden ist, selbst zur Verhandlung. Sie müssen an zahlreichen Kameras vorbei. Sie halten sich mit Gucklöchern versehene Magazine vors Gesicht. Ihre Verteidiger lassen ausrichten, unverpixelte Bilder würden "empfindliche presserechtliche Konsequenzen" nach sich ziehen.
"Alles eingesetzt, was erlaubt ist"
Auf die knapp gehaltene Anklageverlesung folgt der Auftritt von Nöding. Er liest eine Erklärung vor, während die vier Angeklagten darauf verzichten, sich zu den Vorwürfen einzulassen. Die eigens eingerichtete Sonderkommission der Polizei habe "über Monate alles eingesetzt und genutzt, was die Strafprozessordnung an Ermittlungsbefugnissen zu bieten hat", sagt Nöding. "Es erging eine Vielzahl an Observationsbeschlüssen, über 50 Anordnungen zur Überwachung der Telekommunikation von Verdächtigten und Nachrichtenübermittlern. Es wurden großflächig Funkzellenabfragen durchgeführt. Es wurden Fahrzeuge mit GPS-Sendern versehen und mehr als 30 Objekte durchsucht", zählt Nöding auf. Dennoch hätten die Ermittlungen "keinen einzigen durchgreifenden Beweis, keinen Augenzeugen, keine eindeutig auf die Tatbegehung bezogene Spur hervorgebracht".
Die Anklage stütze sich im Wesentlichen auf ein "haltloses" Gutachten, dass die drei R. auf einem Überwachungsvideo identifiziert. Dieses entspreche keinerlei wissenschaftlichen Standards. Ferner kritisierte Nöding, dass Ermittlungsergebnisse an die Presse weitergereicht und die Familie R. von der Presse vorverurteilt worden sei. Demnach hatten Ermittler und Journalisten Wassim, Ahmed und Wayci als Angehörige der Neuköllner Großfamilie R. schon früh in eine Schublade gesteckt. Nöding kündigte an, das die Verteidiger deshalb auch nicht mit der Presse reden würden.
Kette von Oma, Backshop als Familieninvest
Dem Verteidiger zufolge hatten die Ermittler schon wenige Wochen nach der Tat von Vertrauenspersonen Hinweise erhalten, dass die Familie R. hinter der Tat stecke. Denis W. sei vor allem wegen seiner Bekanntschaft zu Ahmed R. verfolgt worden. Dass ein in der Tatnacht Dienst habender Wachmann von seiner Kontrollroute abgewichen, hochverschuldet und widersprüchlicher Aussagen überführt worden sei, hätten die Ermittler ignoriert.
Auch W.s Verteidiger Kelz kann das nicht nachvollziehen. Die Anschaffungen seines Mandanten in den Wochen nach der Tat seien alle zu erklären: Die Silberkette im Wert von mehr als tausend Euro habe ihm seine türkische Großmutter geschenkt. Die Investition von mehreren tausend Euro in einen Backshop sei ein Unternehmen der ganzen Familie gewesen. Und die im Museum geschossenen Selfies, die den R.s den späteren Tatort zeigen sollten? "Zeigen vor allem Denis W.", sagt Kelz.
Die anschließend beginnende Zeugenbefragung lässt tief blicken. Es kommt der Kriminalbeamte, der als erste den Tatort besichtigt hat, nachdem eine Einsatzhundertschaft das Gebäude nach den möglicherweise versteckten Dieben durchkämmt hatte. Jede Aussage wird hinterfragt. Jedes Tatortfoto zieht detaillierte Nachfragen nach sich. Die Anwälte testen die Geduld des Beamten, der sich 22 Monate nach dem Einsatz an jede Kleinigkeit erinnern können muss.
Die stets lächelnde Vorsitzende Richterin Dorothee Prüfer macht ihrerseits deutlich, dass sie sich so schnell nicht aus der Ruhe bringen lässt. Noch mindestens zwölf Verhandlungstermine sind bis Mitte März angesetzt. Wahrscheinlich werden es mehr. Die Angeklagten können sich Hoffnungen auf einen Frühling in Freiheit machen.
Quelle: ntv.de