Prokrastinationsfalle entgehen "Aufschieben hat nichts mit Faulheit zu tun"


Morgen, morgen, nur nicht heute ...
(Foto: IMAGO/Christian Ohde)
"Was du heute kannst besorgen …", das machen viele Deutsche lieber doch an einem anderen Tag. Blöd nur, wenn das Aufschieben chronisch wird und Konsequenzen hat. Expertin Monique Bogdahn zeigt Wege, wie das Zeitmanagement besser gelingt.
Manchmal fühlt sich das Leben an, als bestünde es nur aus To-do-Listen, Handybenachrichtigungen und Deadlines. Die eigene Produktivität zu steigern, gehört längst zur Königsdisziplin des modernen Lebens. Doch anstatt eines effektiven Zeitmanagements hat sich das Aufschieben von Aufgaben zu einer weitverbreiteten Angewohnheit entwickelt.
Manche Ziele schleppt man sogar über Jahre mit sich, etwa eine wichtige Vorsorgeuntersuchung oder das Erlernen einer neuen Sprache. Andere Ziele werden nur mit Deadlines erreicht, die einen nachts nicht schlafen lassen oder tagsüber ins Schwitzen bringen.
E-Mails checken, einkaufen, Wäsche waschen und die zwei Wochen alte Nachricht der besten Freundin beantworten - wissenschaftliche Studien fanden heraus, dass 20 bis 80 Prozent der Deutschen regelmäßig Tätigkeiten aufschieben. Acht von zehn Deutschen erlitten schon finanzielle, berufliche oder gesundheitliche Nachteile, weil sie wichtige Dinge nicht sofort erledigten. Das war das Ergebnis einer Studie des SINUS-Instituts von 2018. Dabei ist der meistgenannte Grund des Aufschiebens nicht die fehlende Zeit, sondern die fehlende Motivation. Etwa drei Viertel der Studienteilnehmer hielten es für notwendig, etwas an ihrem Verhalten zu ändern. Doch warum gelingt das nur wenigen?
"Viele meiner Kund:innen halten sich für faul, wenn sie Dinge aufschieben. Doch das hat damit nichts zu tun, denn sie haben ja fest vor, etwas zu erledigen, können sich aber aus ganz bestimmten Gründen nicht dazu überwinden", erklärt Monique Bogdahn. Die Gesundheitsökonomin gibt auf ihrem Instagram-Kanal "Aufschieben war gestern" Tipps gegen die "Aufschieberitis". In dem gleichnamigen Buch empfiehlt Bogdahn, das Aufschieben als ungute, hartnäckige Gewohnheit zu behandeln, die man sich womöglich über Jahre antrainiert hat - daher brauchen Veränderungen auch Zeit. Doch Bogdahn gibt Entwarnung für alle, die sich als hoffnungslosen Fall bezeichnen, denn erste Fortschritte können mit den richtigen Hilfsmitteln bereits in vier Wochen erzielt werden.
Welche Emotion steckt hinter dem Aufschieben?
Wer nicht unbedingt aus Zeitgründen aufschiebt, sollte sich fragen, welche negative Emotion mit der Aufgabe verknüpft wird: Überforderung, Selbstzweifel, Perfektionismus oder Langeweile? "Das Problem könnte aber auch sein, dass wir Angst vor dem Ergebnis haben, oder wie das Ergebnis aufgenommen wird, etwa bei einer Powerpoint-Präsentation in der Arbeit", sagt Bogdahn. Möchte man diesem negativen Gefühl entgehen, sind die angenehmeren Alternativen heutzutage meist nur noch einen Handgriff entfernt: Social Media, Lieferdienste oder Netflix. Für viele von Bogdahns Klienten spielt das Smartphone eine wichtige Rolle bei der Prokrastination. Kurze Auszeiten können dabei bereits helfen, um Ablenkung zu minimieren und die anstehende Tätigkeit zu fokussieren.
Wer gleich mehrere Aufgaben aufschiebt, sollte alles aufschreiben, was im Kopf herumschwirrt, um dann Ordnung schaffen zu können. Steht erst einmal alles auf einem Zettel, kann nichts mehr vergessen werden. Dies kann bereits die erste Erleichterung bringen. Bogdahn hat einen weiteren Tipp bei Überforderung: "Obwohl es nicht zum klassischen Zeitmanagement gehört, empfehle ich, alle Kleinigkeiten zu markieren, die maximal drei Minuten kosten. Auch wenn sie nicht dringend sind, kann man sie zuerst angehen, um ins Handeln zu kommen und erste Erfolge zu erleben." Denn wer nachhaltig die Aufschieberitits überkommen will, benötigt vor allem diese kleinen Erfolge.
"Dadurch, dass ich mir so lange bewiesen habe, dass ich Dinge aufschiebe, muss ich mein Selbstbewusstsein erst wieder aufbauen. Dann kann ich Selbstwirksamkeit spüren und wissen, ich schaffe das, was ich mir vorgenommen habe", erklärt die Expertin, die mittlerweile keine dringenden Dinge mehr aufschiebt. Anders war dies noch, als sie mit 18 Jahren auszog und ihre erste Ausbildung absolvierte. Durch die Menge an Alltagsaufgaben begann sich die Allgäuerin für das Thema Zeitmanagement zu interessieren und teilte fortan ihre Tipps auf Instagram. Mittlerweile folgen ihr mehr als 100.000 Menschen, einige von ihnen tauschen sich sogar über Whatsapp zu dem Thema aus.
Das richtige Priorisieren
"Je mehr Aufgaben wir im Alltag haben, desto schwieriger wird das Filtern und die Umsetzung der wirklich wichtigen Themen", sagt die Gesundheitsökonomin. Verschiedene Methoden können helfen, wichtige Aufgaben zu priorisieren und andere eher in den Hintergrund zu rücken. Eine davon ist die Eisenhower-Matrix, die auf den ehemaligen US-amerikanischen Präsidenten Dwight D. Eisenhower zurückgeht. Demnach ordnet man die To-dos in vier Kategorien aus wichtig und dringend. Priorisiert wird dann Kategorie eins: "wichtig und dringend", danach Kategorie zwei: "wichtig, aber nicht dringend". Die anderen Kategorien aus "nicht wichtig, aber dringend" und "nicht wichtig und nicht dringend" werden erst zum Schluss erledigt oder an andere delegiert.
Wer Probleme hat, Aufgaben in die vier Kategorien einzuordnen, dem empfiehlt Bogdahn, rückwärts anzufangen: "Wir können uns fragen, welche Aufgaben am wenigsten wichtig sind und welche wir eventuell weglassen können." Sie warnt vor einem häufigen Fehler: "Man sollte tendenziell die wichtigen Dinge vorziehen und nicht immer nur die dringenden." Da langfristige Ziele oft keine Deadline haben, werden sie leichter von den dringenden Aufgaben verdrängt.
Sobald eine Aufgabe priorisiert wurde, hilft es nicht nur, einen festen Zeitpunkt und Ort festzulegen, sondern auch die genaue Vorgehensweise. Die Expertin gibt ein Beispiel: "Ich möchte mich morgen um neun Uhr nach dem Frühstück an den Wohnzimmertisch setzen und die Steuererklärung beginnen. Dafür kann ich heute schon etwas vorbereiten und etwa Unterlagen heraussuchen, damit ich direkt losstarten kann." Geht es um komplexere Aufgaben, hilft es, Unterpunkte aufzulisten und sich zu fragen, wie der Start einfacher gelingt. Dadurch ist das Gehirn laut der Expertin nicht überfordert, sondern weiß Schritt für Schritt, was es zu tun hat. Klassische Gedanken wie "Heute ist es schon zu spät anzufangen" werden so eliminiert.
Auch langfristige Ziele oder etwa Neujahrsvorsätze können leichter umgesetzt werden, wenn sie konkret formuliert sind. "Möchte ich eine neue Sprache lernen, muss ich erstmal festlegen, welche Sprache das sein soll, wie hoch mein Sprachniveau werden soll und wie schnell ich die Sprache lernen will. Dann geht es um das Wie: Will ich per App lernen, einen Online-Kurs machen oder an eine Sprachschule gehen?", sagt Bogdahn. Als Vorbereitung kann man sich dann an einer Sprachschule anmelden und die Bücher besorgen, bevor man weitere Kleinigkeiten des eigentlichen Lernens in den Alltag einbaut. Um langfristig Projekte zu verfolgen, gehört laut der Expertin auch die Akzeptanz, dass Fortschritte nicht immer linear verlaufen. Wer täglich 100 Prozent von sich selbst erwartet, fühlt sich wohl eher gelähmt, als jemand, der jeden Tag nur ein kleines bisschen schafft.
Quelle: ntv.de