Panorama

Mehrere Länder melden Fälle Berlin erwartet weitere Affenpocken-Infektionen

Eine elektronenmikroskopische Aufnahme aus dem Jahr 2003 zeigt reife, ovale Affenpockenviren (l) und kugelförmige unreife Virionen (r) aus einer menschlichen Hautprobe.

Eine elektronenmikroskopische Aufnahme aus dem Jahr 2003 zeigt reife, ovale Affenpockenviren (l) und kugelförmige unreife Virionen (r) aus einer menschlichen Hautprobe.

(Foto: Cynthia S. Goldsmith/Russell Reg)

Eine neue Pandemie wird es wohl nicht, aber die Fälle von Affenpocken müssten sehr ernst genommen werden, sagt ein Infektiologe der Berliner Charité. Die Dynamik sei "ungewöhnlich". Auch aus anderen Ländern werden Fälle der seltenen Krankheit gemeldet.

Die Zahl der außerhalb Afrikas gemeldeten Affenpocken-Fälle nimmt auch in Deutschland zu. Einen Tag nach der Meldung des bundesweit ersten Infektionsfalls in Bayern bestätigte der Berliner Senat zwei Affenpocken-Fälle in der Bundeshauptstadt. Nach der Bestätigung erklärte die Senatsverwaltung für Gesundheit, es sei davon auszugehen, "dass in den nächsten Tagen eventuell noch weitere Infektionen registriert werden". Auch die Schweiz und Israel meldeten ihren jeweils ersten Infektionsfall, in Griechenland wurde ein Verdachtsfall untersucht.

Der Infektiologe Leif Erik Sander von der Berliner Charité mahnte, der aktuelle Affenpockenausbruch müsse sehr ernst genommen werden. Der Zustand der Infizierten ist demnach "stabil". Die Ermittlungen zu möglichen Kontaktpersonen liefen. Sie sollen über mögliche Symptome, Hygienemaßnahmen und Übertragungswege informiert werden. Ob es sich bei den Berliner Fällen um den west- oder zentralafrikanischen Virusstamm handelt, soll laut Senatsverwaltung eine laufende Sequenzierung ergeben. Zentralafrikanische Virusvarianten bei Affenpocken sind laut Robert-Koch-Institut (RKI) deutlich ansteckender als die westafrikanischen Virusvarianten.

Bei dem in Bayern bekannt gewordenen ersten bestätigten Affenpocken-Fall Deutschlands handelt es sich laut Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek um eine Infektion mit der westafrikanischen Variante. Das habe die Genomsequenzierung des Virus am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München ergeben.

Die Berliner Gesundheitssenatorin Ulrike Gote betonte, es gebe einen engen Austausch mit den Gesundheitsämtern, dem RKI, der Charité und dem Bundesgesundheitsministerium, um die Bevölkerung "bestmöglich vor dem Affenpockenvirus zu schützen". Es bestehe "kein Grund zur Panik, aber Grund zur Vorsicht, da viele wissenschaftliche Erkenntnisse über die Krankheit noch vorläufig sind, weil sie so selten ist". Laut Gote gehen Expertinnen und Experten davon aus, "dass wir keine neue Pandemie fürchten müssen". Es müsse aber jetzt "schnell und konsequent" gehandelt werden.

RKI rechnet mit begrenztem Ausbruch

Der Klinikdirektor der Infektiologie an der Charité, Sander, erklärte, die Dynamik des aktuellen Affenpockenausbruchs sei "ungewöhnlich" und müsse daher sehr ernst genommen werden, bis die Infektionsketten und Übertragungswege besser untersucht und effektiv unterbrochen worden seien. "Wir beobachten bislang eine disproportionale Häufung der Affenpockeninfektionen unter Männern, insbesondere nach Sexualkontakt zu anderen Männern", führte Sander aus. "Da die Infektion durch engen Hautkontakt und möglicherweise auch über Schleimhautkontakt und Tröpfchen übertragen wird, empfehle ich aktuell besondere Vorsicht und Vermeidung von engen ungeschützten Kontakten mit unbekannten Personen."

Affenpocken sind eine seltene Viruserkrankung, die prinzipiell alle Menschen betreffen kann. Zu den Symptomen gehören Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen und ein Ausschlag, der oft im Gesicht beginnt und dann auf andere Körperteile übergreift. Die meisten Menschen erholen sich innerhalb mehrerer Wochen von der Krankheit, ein tödlicher Verlauf ist selten. Seit Anfang Mai 2022 verbreitet sich der Erreger erstmals in Europa von Mensch zu Mensch ohne eine epidemiologische Verbindung nach West- oder Zentralafrika. Er wurde auch in mehreren nordamerikanischen Ländern nachgewiesen.

Nach aktuellem Forschungsstand wird das Virus weniger leicht von Mensch zu Mensch weitergegeben als beispielsweise der Covid-19-Erreger Sars-CoV-2. Nach derzeitigem Kenntnisstand ist für eine Übertragung ein enger Körperkontakt erforderlich, weswegen das RKI davon ausgeht, dass die Ausbrüche begrenzt bleiben. Eine Gefährdung für die Gesundheit der breiten Bevölkerung wird daher vom RKI derzeit als gering eingeschätzt.

"Nicht das Potenzial, die Bevölkerung massiv zu gefährden"

"Ich bin überzeugt, dass es insgesamt noch weitere Fälle in Deutschland geben wird", sagte Clemens Wendtner, Chefarzt der infektiologischen Klinik des Schwabinger Krankenhauses auf Anfrage. Dort ist der Münchner Patient in einem Einzelzimmer mit vorgeschalteter Schleuse untergebracht. "Allgemein geht man davon aus, dass die westafrikanischen Affenpocken eine Sterblichkeit von insgesamt einem Prozent haben, das betrifft vor allem Kinder unter 16 Jahren", sagte Wendtner. "Man muss aber bedenken, dass diese Daten aus Afrika nicht zwingend übertragbar auf das Gesundheitswesen in Europa oder den USA sind, bei uns wäre die Sterblichkeit eher niedriger anzusetzen. Das ist eine Erkrankung, die meines Erachtens nicht das Potenzial hat, die Bevölkerung massiv zu gefährden." Infizierte Patienten seien etwa drei bis vier Wochen ansteckend.

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Vorsicht sei bei immunsupprimierten Patientengruppen geboten, also solchen mit nur schwachen Abwehrkräften. "Dazu gehören beispielsweise HIV-Patienten ohne ausreichende medikamentöse Krankheitskontrolle, aber zum Beispiel auch Tumorpatienten mit schwerer Immunsuppression etwa nach Stammzelltherapie", sagte Wendtner. Es werde diskutiert, ob man diese Risikogruppen mit einer Impfung schütze.

Seit 2013 ist in der EU demnach der Impfstoff Imvanex zugelassen. "Wir gehen davon aus, dass die ältere Generation, die vor 1980 noch gegen die klassischen Pocken geimpft wurde, einen sehr hohen Schutz auch gegen Affenpocken hat, diese Menschen sind sehr wenig bis gar nicht gefährdet", so Wendtner. Mit dem Medikament Tecovirimat gibt es zudem eine in der EU zugelassene Therapiemöglichkeit für die Affenpocken-Erkrankung.

Quelle: ntv.de, rpe/AFP/dpa

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