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Freiheit für Millionenzahlung? Britin Zaghari-Ratcliffe darf den Iran verlassen

Nazanin Zaghari-Ratcliffe darf den Iran verlassen.

Nazanin Zaghari-Ratcliffe darf den Iran verlassen.

(Foto: via REUTERS)

Nazanin Zaghari-Ratcliffe darf nach Jahren in iranischer Haft zurück nach Großbritannien. Der Iran wirft der Doppelstaatlerin Spionage und Propaganda vor. Die Journalistin und noch ein Doppelstaatler könnten jedoch Spielbälle in einem jahrzehntelangen Streit beider Länder um Geld gewesen sein.

Die britisch-iranische Doppelstaatlerin Nazanin Zaghari-Ratcliffe hat den Iran nach mehreren Jahren Gefängnis und Hausarrest verlassen dürfen. Dies teilte der britische Premierminister Boris Johnson auf Twitter mit. Auch ein weiterer Doppelstaatler mit britischem Pass durfte aus Teheran ausreisen. "Ich freue mich bestätigen zu können, dass die ungerechte Inhaftierung von Nazanin Zaghari-Ratcliffe und Anoosheh Ashoori im Iran heute zu Ende gegangen ist", schrieb Johnson. Die beiden seien auf dem Weg nach Großbritannien.

"Parallel" zu den Verhandlungen zwischen London und Teheran über die Freilassungen hätten beide Seiten einen jahrzehntelangen Streit über eine Verbindlichkeit in Höhe von 394 Millionen Pfund (470 Millionen Euro) beigelegt. Ein arabischer Staat soll zwischen London und Teheran vermittelt haben.

Zaghari-Ratcliffe und Ashoori würden nach ihrer Ankunft in Großbritannien "mit ihren Familien und Liebsten wiedervereinigt", erklärte Großbritanniens Außenministerin Liz Truss. Die Abgeordnete Tulip Siddiq aus Zaghari-Ratcliffes Londoner Heimatbezirk Hampstead schrieb bei Twitter, die 43-jährige Britin befinde sich am Flughafen Teheran. Dazu veröffentliche Siddiq ein Foto der lächelnden Zaghari-Ratcliffe in einem Flugzeug. "Nazanin befindet sich jetzt in der Luft, um den sechs Jahren Hölle im Iran zu entkommen."

Die frühere Projektmanagerin der Thomson-Reuters-Stiftung war 2016 unter Spionagevorwürfen verhaftet worden, als sie in Teheran mit ihrer 22 Monate alten Tochter ihre Eltern besuchte. Die iranische Justiz warf ihr "Aufruhr" vor. Sie soll versucht haben, die Regierung zu stürzen.

Obwohl Zaghari-Ratcliffe alle Anklagepunkte zurückwies, wurde sie von einem Revolutionsgericht zu fünf Jahren Haft verurteilt und später zu einem weiteren Jahr. Während der Corona-Pandemie kam sie aus dem Gefängnis in Hausarrest. Ihr britischer Ehemann Richard Ratcliffe setzte sich vehement für die Freilassung der Mittvierzigerin ein. Zuletzt campierte er im Herbst 2021 vor dem britischen Außenministerium und trat erneut in den Hungerstreik. Er hatte mehrfach erklärt, seine Frau sei eine "Geisel" in einem finsteren politischen Spiel. Das Paar hat eine Tochter im Grundschulalter. "Man kann die Zeit nicht zurückbekommen", sagte Ratcliffe vor Journalisten. Aber man lebe in der Zukunft, nicht in der Vergangenheit. So richtig glauben können werde er die Freilassung seiner Frau aber erst, wenn sie in Großbritannien angekommen sei, sagte Ratcliffe weiter.

Ashoori ist ein Ingenieur im Ruhestand. Er wurde von einem iranischen Gericht wegen Spionage für Israel zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, als er 2017 seine Mutter im Iran besuchte. Auch seine Familie argumentierte stets, Ashoori sei Opfer politischer Verfolgung.

Streit um knapp 400 Millionen Pfund beigelegt

Vermutet wird, dass der Iran mit dem Vorgehen gegen Zaghari-Ratcliffe und Ashoori die Zahlung alter britischer Schulden aus der Zeit vor der Islamischen Revolution 1979 erreichen wollte. Die Summe von 394 Millionen Pfund (470 Millionen Euro) stammt noch aus der Zeit des Schahs von Persien. Außenministerin Truss bestätigte in London, dass die Summe nunmehr gezahlt wurde.

Truss sagte dazu, unter Vermittlung des Oman sei der Streit um die Rückzahlung beigelegt worden. Das Geld werde "ausschließlich für den Erwerb humanitärer Güter" angelegt. Der iranische Außenminister Hossein Amir-Abdollahian sagte laut der Nachrichtenagentur Isna, Teheran habe den Millionenbetrag "vor einigen Tagen erhalten". Es sei aber "falsch", eine Verbindung zwischen dem Zahlungseingang "und der Freilassung dieser Leute" herzustellen.

Truss sagte, die Regierung in London werde sich weiter für die Freilassung von Morad Tahbaz, eines anderen Iraners mit dreifacher Staatsbürgerschaft Großbritanniens und der USA, einsetzen. Einstweilen sei für ihn der Status eines Freigängers vereinbart worden.

Freilassung als Signal vor Atomverhandlungen?

Von dem Verhandlungserfolg dürfte die britische Außenministerin ebenfalls profitieren: Vier ihrer Vorgänger waren an dem Fall gescheitert. Besonders Johnson hatte in seiner Zeit als Chefdiplomat keine rühmliche Rolle gespielt. Bei einer Befragung in einem Ausschuss des britischen Unterhauses sagte er einst, Zaghari-Ratcliffe habe Journalisten im Iran ausgebildet - was sie jedoch stets bestritten hatte.

Beobachter spekulieren, dass die Freilassung von Zaghari-Ratcliffe und Ashoori auch positive Auswirkungen auf die internationalen Atomverhandlungen in Wien haben könnten. Im Januar 2016 wurde zunächst ein inhaftierter US-Iraner, der "Washington Post"-Reporter Jason Rezaian, freigelassen, und im Gegenzug seitens der USA eingefrorene iranische 1,7 Milliarden Dollar (etwa 1,54 Milliarden Euro) freigegeben. Erst danach wurde das Wiener Atomabkommen von 2015 offiziell umgesetzt.

Das Thema Freilassung von inhaftierten Doppelstaatlern war auch am Rande der jüngsten Verhandlungen in Wien heftig diskutiert worden. Insbesondere die USA warfen dem Iran vor, sie als "politische Geiseln" zu benutzen. Derzeit sind im Iran mehr als ein Dutzend Iraner mit westlicher Staatsbürgerschaft - unter anderem Amerikaner, Deutsche, Franzosen und Österreicher - wegen angeblicher politischer Vergehen oder Spionage inhaftiert.

Quelle: ntv.de, joh/dpa/AFP

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