Umstrittenes Kunstprojekt "Dealer-Ausstellung wichtig und mutig"
02.12.2017, 12:18 Uhr
Die Sonderausstellung ist noch bis zum 14. Januar zu sehen.
(Foto: FHXB FriedrichshainAC-Kreuzberg Museum)
Eine Rauschgifthändlern gewidmete Ausstellung im Museum des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg ist höchst umstritten. Da sie "frei sein soll von ideologischen Zuschreibungen", verzichtet die Schau ausdrücklich auf die Darlegung der Beweggründe der Migranten, Drogen zu verkaufen. Die Kriminologin Bettina Paul von der Universität Hamburg findet den Ansatz richtig.
n-tv.de: Frau Paul, Sie gehören zu denen, die das Anliegen der Ausstellung unterstützen. Warum?
Bettina Paul: Ich halte sie für immanent wichtig und einzigartig, weil hier seit langer Zeit der Versuch gemacht wird, die Thematik nüchtern und frei von Emotionalität zu betrachten. Diese gefühlsbetonte Sichtweise hat ein Feindbild des Dealers erzeugt, wie es seit Jahrzehnten vorherrscht und nicht hinterfragt wird. Die Figur des schwarzen Drogenhändlers ist ein Feindbild in der Gesellschaft, auf das sich alle einigen können. Zu versuchen, dieses - auch rassistische - Stereotyp aufzubrechen, ist sehr mutig. Wie man sieht, werden die Ausstellungsmacher dafür öffentlich stark angefeindet.
Wie ist der Drogenverkäufer zu dem geworden, was Sie als "gemeinsames Feindbild der Gesellschaft" bezeichnen?
Der Dealer, der aus Afrika stammt, dient als Projektionsfläche für Ängste und Verachtung. Er ist derjenige, der das Böse von außen einschleppt. Mit dieser Bedrohungsfigur werden Ängste geschürt. In der Migrationsdebatte wird der Prozess verstärkt. Umso wichtiger ist es, gegen dieses Feindbild vorzugehen, das keine Differenzierung kennt. Der Künstler weist provokativ darauf hin, dass es hier ein Defizit gibt.
Exakt diese, Ihre Argumentation stößt auf massive Kritik. Die Gegner der Ausstellung erklären, Ganoven würden zu Opfern gemacht. Können Sie es nicht verstehen, dass Menschen auf Kriminalität emotional reagieren?
(Paul überlegt länger) Ja, schon. Aber die Frage ist, auf was emotional reagiert wird. Der Otto-Normal-Verbraucher ist weit weg von dieser Art der Kriminalität. Er hat mit ihr nicht direkt zu tun. Und genau deshalb müssen wir fragen: Woher kommt eure Angst?
Wie ist das Ihrer Meinung nach "gemeinsame Feindbild vom Drogendealer" entstanden?
Es hat sich über Jahrzehnte aufgebaut. Einen regelrechten Schub gab es in den 90er-Jahren, als der Staat begonnen hat, auf Konsumentenseite die Repression zurückzufahren und sie gegen Dealer drastisch zu erhöhen. Diese Dichotomie von Dealer und Konsument als Täter und Opfer funktioniert wunderbar als Feindbild, ist aber auf keiner Seite stimmig.
Wie meinen Sie das?

Bettina Paul gilt als Expertin für Drogenkriminalität und -prävention und setzt sich vor allem für akzeptierende Drogenarbeit ein.
(Foto: privat)
Der Dealer wurde verteufelt und zum skrupellosen Kriminellen erklärt, der den Drogenkonsumenten ausnimmt und die Leute in den Tod treibt. Der Käufer der Drogen wurde als willenloses Objekt dargestellt, das sich ausbeuten lässt. Genau hier setzt die Ausstellung positiv an. Sie zeigt, die Dealer sind Menschen, die von einem Ort zum anderen gehen, ohne die Motivation für ihre Tätigkeit herauszuheben. Würde man den Blick auf den Antrieb lenken, würde man anfangen, nach Rechtfertigungen zu suchen. Und das würde den Blick schon wieder verschieben. Es geht ja nicht darum, ein Gewerbe und die Menschen, die es betreiben, zu rechtfertigen, sondern einen nüchternen Blick auf die Thematik zu werfen.
Wie der Projektkünstler Scott Holmquist, der die Ausstellung entworfen hat, bezeichnen Sie das Treiben der Dealer als "Tätigkeit" und "Gewerbe". Das klingt, als wäre Drogendealen in Parks ein stinknormaler Beruf. Halten Sie die Leute für Kriminelle oder nicht?
Wir machen sie zu Kriminellen. Weil wir eine Kriminalisierung des Verkaufs von Drogen haben. Der Händler müsste kein Krimineller sein.
Was die Dealer tun, ist eine Straftat. Kritiker meinen, dass mit der Darstellung der Händler in der Ausstellung eine Entkriminalisierung von Kriminalität stattfinde. Wie sehen Sie das?
Es wäre schön, würde die Ausstellung eine Debatte zum Thema Entkriminalisierung anstoßen, weil es eine sehr prekäre Grenze ist, um die es hier geht. Es existiert ein Bedarf und eine anhaltende Nachfrage nach bewusstseinserweiternden Substanzen, die wir uns im legalen Bereich gönnen. Alkohol, den wir erwerben können, unterliegt einer Qualitätskontrolle. Das ist bei illegal verkauften Drogen nicht der Fall. Diese Grenze ist historisch gewachsen.
Wieso?
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Deutschland führend im Kokainhandel. Heroin- und Kokainhändler galten zu dieser Zeit als ehrbare Kaufleute. Heute zwingt der Staat die Menschen dazu, sich Drogen in der Illegalität zu besorgen. Perfide ist, dass der Konsum an sich nicht strafbar ist, aber deren Anschaffung und damit Händler wie Konsumenten kriminalisiert sind. Wir dürfen nicht vergessen: Der Akt des Drogenverkaufs ist ein einvernehmlicher zwischen Dealern und Konsumenten.
Das heißt, Sie sind für die Legalisierung von Drogen?
Ja. Drogenverbote zeugen von Doppelmoral. Wir können uns mit Alkohol berauschen, Verkehrsunfälle begehen und werden dann auch noch vor Gericht als schuldunfähig in Schutz genommen. Aber andererseits schaffen wir illegale Bedingungen, die Leute in den Knast und die Verelendung bringen.
Mit Bettina Paul sprach Thomas Schmoll
Quelle: ntv.de