Prozesse dauern immer länger Deutsche Staatsanwälte ersticken in Strafverfahren
10.09.2023, 08:56 Uhr Artikel anhören
Bei Staatsanwaltschaften in Deutschland stapeln sich die Strafverfahren.
(Foto: picture alliance/dpa)
Staatsanwaltschaften bearbeiten 2022 so viele Fälle wie nie. Dies legt ein zentrales Problem offen: Die Zahl der Verfahren ist viel zu hoch, immer seltener kommt es zu einer Anklageerhebung. Das Personal fehlt, die Fälle werden komplexer. Das wirkt sich auf die Prozessdauer aus.
Die Zahl der Strafverfahren bei den Staatsanwaltschaften ist auf ein neues Rekordhoch gestiegen. Zugleich ist die Anzahl der erhobenen Anklagen der Staatsanwaltschaften vor deutschen Gerichten auf einen neuen Tiefstand gesunken. Das geht aus einer Auswertung durch die Deutsche Richterzeitung hervor, deren Ergebnisse den Tageszeitungen der Funke Mediengruppe vorliegen.
Demnach haben die Strafverfolgungsbehörden 2022 bundesweit mehr als 5,2 Millionen Fälle bearbeitet. Das entspricht einem Anstieg von fast 308.000 Verfahren im Vergleich zu 2021. Laut Angaben der Richterzeitung landet jedoch nur noch jedes 15. Strafverfahren mit einer Anklageerhebung vor einem Gericht, insgesamt 340.243 Fälle im Jahr 2022. Zehn Jahre zuvor sei dies noch bei jedem 10. Strafverfahren der Fall gewesen, damals insgesamt 485.525 Anklageerhebungen.
1500 Juristen fehlen
"Die Justizstatistiken zeigen sehr deutlich, dass eine personell ausgelaugte Strafjustiz mit ihren wachsenden Aufgaben kaum noch Schritt halten kann", sagte Sven Rebehn, der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes (DRB), in dem auch Staatsanwältinnen und Staatsanwälte organisiert sind. Laut DRB fehlen bundesweit 1500 Juristen in den Staatsanwaltschaften und Strafgerichten.
Nach Angaben der Deutschen Richterzeitung müssen dringend Tatverdächtige immer öfter aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Der Grund: Die Verfahren dauern zu lange. 2022 haben Strafgerichte demnach in mindestens 73 Fällen Haftbefehle aus diesem Grund aufgehoben. 2021 waren es laut den Justizbehörden der Länder noch 66 Fälle, 2020 waren es 40. "In den zurückliegenden fünf Jahren sind damit mehr als 300 Tatverdächtige wegen Verletzung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen wieder aus der Untersuchungshaft entlassen worden", teilte der Richterbund mit.
So dauern erstinstanzliche Strafverfahren vor den Landgerichten im Durchschnitt 8,6 Monate, laut DRB ist das ein neuer Höchstwert. Auch bei den Amtsgerichten habe sich die durchschnittliche Verfahrensdauer bis zu einem Strafurteil auf fast sechs Monate verlängert. "Es ist dringend geboten, dass Bund und Länder die immer neuen Aufgaben in der Strafverfolgung angemessen mit Personal unterlegen", sagte DRB-Geschäftsführer Rebehn. Die Fallzahlen bei den Staatsanwaltschaften würden steigen, die Strafverfahren immer aufwendiger werden, "etwa weil die auszuwertenden Datenspuren durch die Digitalisierung rasant wachsen", sagte Rebehn den Funke-Zeitungen. "Die Politik verschärft die angespannte Lage noch mit einem Gesetzgebungsstakkato, das die Regelungsdichte und Detailtiefe des Strafrechts seit Jahren steigert."
Quelle: ntv.de, als