Linnemann für schnellen Prozess Warum "Law und Order" bei Freibad-Rowdies scheitern muss


Im Sommerbad in Berlin-Neukölln häuften sich die Ausschreitungen Anfang Juli, sodass das Bad für einige Tage geschlossen werden musste.
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CDU-Generalsekretär Linnemann pocht auf Schnellverfahren für Freibad-Randalierer. Dass diese zur Verantwortung gezogen werden müssen, steht außer Frage. Allerdings ist das Urteil auf die Schnelle keine Lösung. Es durchzudrücken wäre eine Gefahr für wichtige Regeln des Rechtsstaats.
Im baden-württembergischen Malsch wurde ein Bademeister verletzt, in Berlin-Neukölln ein Bad tagelang geschlossen. Anfang Juli meldeten mehrere Freibäder, vor allem in Berlin, Schlägereien, Pöbeleien und Belästigungen von Badegästen und Personal. Bei den Tätern handele es sich meist um Gruppen junger Männer, hieß es. Der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, seit fünf Tagen im Amt, forderte daraufhin, die Randalierer müssten im Schnellverfahren abgeurteilt werden. "Wer mittags im Freibad Menschen angreift, muss abends vor dem Richter sitzen und abgeurteilt werden." Außerdem, so der Unionspolitiker, müsse das Strafmaß voll ausgeschöpft werden, bis hin zu Haftstrafen.
Kritiker warfen Linnemann Populismus vor, woraufhin sich der Politiker als Verteidiger des Rechtsstaates positionierte. Dieser müsse sich durchsetzen, indem Straftäter, wenn möglich, sofort Konsequenzen spüren, schreibt Linnemann.
Die Durchsetzung von Gesetzen ist essenziell für den Rechtsstaat. Täter, egal ob Freibad-Randalierer, Betrüger oder Steuersünder, müssen eine gerechte Strafe erhalten. Auch dürfte kaum jemand etwas dagegen haben, dass dies so schnell wie möglich geschieht. "Man muss es nur wollen", schreibt Linnemann dazu. Doch es reicht gerade nicht, zu "wollen", dass Täter schnell verurteilt werden. Denn nicht nur die Durchsetzung des Strafrechts macht den Rechtsstaat aus. Rechtsstaatlich bedeutet vor allem, dass der Staat die Grund- und Schutzrechte des Einzelnen in jedem Fall wahrt. Oder anders: Damit aus einem schnellen kein willkürliches Verfahren wird, muss der Staat die Rechte eines Beschuldigten im Strafverfahren unbedingt beachten.
Schnellverfahren bei Jugendlichen ausgeschlossen
So gelten für das von Linnemann geforderte Schnellverfahren, das sogenannte beschleunigte Verfahren, besondere Regeln. Generell sind Prozesse gemeint, bei denen zwischen dem Antrag der Staatsanwaltschaft und dem Urteil nicht mehr als sechs Wochen liegen. Morgens im Freibad und abends vor dem Richter ist demnach zwar möglich, kann aus rechtlicher Sicht jedoch keineswegs eingefordert werden. Zumal der Deutsche Richterbund bereits anmerkte, dass das Personal für diesen Vorschlag keineswegs ausreiche - schon gar nicht am Wochenende.
Generell kommt das schnelle Verfahren nur für solche Taten in Betracht, bei denen eine Geldstrafe oder maximale Freiheitsstrafe von einem Jahr angemessen erscheint. Bei Minderjährigen scheidet ein Schnellverfahren grundsätzlich aus, im Jugendstrafrecht ist diese Prozessart gesetzlich ausgeschlossen. Damit dürfte Linnemanns Forderung in vielen Fällen der Freibad-Randalierer von vornherein ins Leere laufen, denn den Berichten zufolge handelt es sich bei den meisten von ihnen um Jugendliche.
Schließlich gibt es eine weitere Hürde für Schnellverfahren - selbst, wenn die Täter weder minderjährig noch heranwachsend im Sinne des Jugendstrafrechts sind. So eignet sich das beschleunigte Verfahren laut Strafprozessordnung nur dann, "wenn die Sache aufgrund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist".
Unklare Beweislage
Meistens seien das Ladendiebstähle oder einfache Sachbeschädigungen, erklärt Stefan König, Professor für Strafrecht an der Universität Göttingen und Strafverteidiger, im Gespräch mit ntv.de. "Im Bereitschaftsgericht Berlin habe ich beispielsweise mal den Fall einer Frau verfolgt, die im Kaufhaus einen Pullover gestohlen hatte. Der wurde im beschleunigten Verfahren verhandelt." Sowohl Sachverhalt als auch Beweislage waren klar, sagt König. "Sie wurde vom Kaufhausdetektiv beobachtet, und geständig war sie auch."
Bei den Freibad-Randalierern ist jedoch in der Regel das Gegenteil der Fall: Es gibt viele Beteiligte, die sich im Zweifel gegenseitig beschuldigen und widersprüchliche Erinnerungen von zahlreichen möglichen Zeugen. Die Situation sei mit Kneipenschlägereien vergleichbar, erklärt König. Auch da sei die Lage unübersichtlich. Die Erfahrung aus Strafprozessen lehre, dass die Beweisaufnahme in diesen Fällen häufig gerade außerordentlich kompliziert sei. "Und damit eignen sie sich nicht für beschleunigte Verfahren."
Ähnlich steht es auch in den Richtlinien für Straf- und Bußgeldverfahren, die von den Justizministerien der Länder sowie dem Bundesjustizministerium formuliert wurden: "Das beschleunigte Verfahren kommt nicht in Betracht, wenn Anlass besteht, die Person des Beschuldigten und sein Vorleben genau zu erforschen."
Politik hat kein Mitspracherecht
Dass die Exekutive diese strenge Beschränkung des Schnellverfahrens auf bestimmte Prozesse noch einmal betont, hat einen guten Grund. Denn damit der Strafprozess auf möglicherweise einen Tag verkürzt werden kann, fallen Verfahrensschritte, die normalerweise zwingend zu einem Strafprozess gehören, weg. So muss die Anklage etwa nicht schriftlich erfolgen, sondern kann in der Hauptverhandlung mündlich erhoben werden. Das Zwischenverfahren entfällt, was bedeutet, dass das Gericht nicht gesondert über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheiden muss.
Die Ladungsfrist wird drastisch verkürzt - der Beschuldigte kann also innerhalb von 24 Stunden zum Verfahren geladen werden. Außerdem kann die Vernehmung von Zeuginnen und Zeugen, Sachverständigen oder Tatbeteiligten durch das Verlesen von Protokollen aus Polizeivernehmungen ersetzt werden, wenn alle Prozessbeteiligten zustimmen. Auch das Beweisantragsrecht ist deutlich eingeschränkt. In Bezug auf die Klimaaktivisten der Letzten Generation, bei denen diese Prozessart inzwischen zum Einsatz kommt, betonte der Verband "Neue Richtervereinigung" bereits seine Kritik an dem kurzen Prozess: Dieser schränke die Verfahrensgarantien für die Beschuldigten in erheblichem Maße ein.
Ob sich ein Schnellverfahren in einem bestimmten Fall eignet oder nicht, muss also gut abgewogen werden. Im Sinne der Gewaltenteilung darf nur die Justiz, also Staatsanwaltschaft und Gerichte, diese Entscheidung treffen. Die Politik hat eben gerade kein Mitspracherecht, auch das ist ein Merkmal des Rechtsstaats. "Jeder Anschein einer unzulässigen Einflussnahme der Exekutive auf gerichtliche Verfahren zerrüttet das Vertrauen in den Rechtsstaat", schreibt der Richter-Verband dazu.
Schnellverfahren spielt kaum eine Rolle
Doch Linnemann bleibt bei seiner Forderung, beschleunigte Verfahren "künftig viel häufiger" anzuwenden. Das Problem an politischen Forderungen an die Justiz sei, so König, dass sie Druck auf die Richter ausüben könnten. Würde ein Richter der Aufforderung Linnemanns nun tatsächlich nachkommen, könnte das eine Gefahr für die Beschuldigten sein. "Etwa wenn ein Richter das Geschehen im Einzelfall nicht mehr ordentlich prüft, sondern alle Verdächtigen über einen Kamm schert. Wenn er sagt: 'Das war Körperverletzung, ihr wart alle dabei, das gibt nun für alle fünf Monate auf Bewährung'", erklärt der Strafrechtler.
Solche Urteile wären mit dem Schuldgrundsatz kaum zu vereinbaren. So muss die Strafe immer anhand der individuellen Schuld eines Täters bemessen werden. Zunächst muss das Gericht aufgrund der Beweislage überzeugt sein, dass der Angeklagte die Tat begangen hat. Auch müssen Umstände wie das Motiv und die Vorgeschichte des Täters miteinbezogen werden. All dies innerhalb von 24 Stunden festzustellen, wenn es weder Geständnisse noch eindeutige Kameraaufnahmen oder widerspruchsfreie Zeugenaussagen gibt, dürfte kaum möglich sein.
Dies ist laut König ein Grund dafür, dass beschleunigte Verfahren in der Praxis kaum eine Rolle spielen. So liege der Anteil der beschleunigten Verfahren innerhalb der Strafverfahren bei gerade einmal knapp über einem Prozent. "Richterinnen und Richter wissen, dass sich ein Strafverfahren nicht übers Knie brechen lässt", sagt der Strafrechtler. Trotz immer wieder beklagter Überlastung wollen sie sich den Fall genau anschauen, bevor sie jemanden verurteilen. "Das spricht für die Justiz."
"Law und Order-Kraftmeierei"
Nun sei ein Comeback der Verfahrensart vor allem deshalb geboten, so Linnemann, weil "der starke Rechtsstaat nur mit Abschreckung funktioniert, wenn die Täter damit rechnen müssen, dass sie noch am gleichen Tag verurteilt werden und die Konsequenzen tragen". Zum einen stellt sich die Frage, was "funktionieren" in diesem Zusammenhang meint, denn Experten sind sich seit geraumer Zeit einig, dass Strafen nicht das wirksamste Mittel gegen Kriminalität sind und mehr Strafen gerade nicht zu weniger Kriminalität führen.
Zum anderen legt die kriminologische Forschung zwar nahe, dass eine Strafe "auf dem Fuße" abschreckender wirkt, da sie durch die kurze Zeitspanne besser mit der Tat in Verbindung gebracht wird. Allerdings geht es dabei nicht zwangsläufig um wenige Stunden oder Tage, wie etwa Thomas Bliesener, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen in der "Süddeutschen Zeitung" erklärte. Es komme darauf an, dass der menschliche Verstand eine Verbindung zwischen Delikt und Sanktion herstellt. Dabei spiele es keine große Rolle, ob wenige Tage oder wenige Wochen dazwischenliegen.
"Ich halte den Vorschlag von Herrn Linnemann für Law und Order-Kraftmeierei", bilanziert König. "Das Holzhammer-Vorgehen, das er sich offenbar für die Freibad-Randalierer vorstellt, wird nicht funktionieren." Denn wer im Freibad Menschen angreift, muss natürlich zur Verantwortung gezogen werden. Seine Rechte verliert er dadurch allerdings nicht. Diese Balance zu wahren, das macht den Rechtsstaat aus.
Quelle: ntv.de