Panorama

Önologische Entdeckungen Deutsche Weine sind Profiteure des Klimawandels

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Das renommierte Weingut von Othegraven hat gut 12 Hektar und gehört seit 2010 Günter Jauch.

Das renommierte Weingut von Othegraven hat gut 12 Hektar und gehört seit 2010 Günter Jauch.

(Foto: privat)

Gelten Weine aus Deutschland lange als minderwertig, orientieren sich ihre Macher längst nach oben: Das wärmere Klima garantiert reife Trauben, mehr Qualität und Nachfrage – auch international. Vermögende Quereinsteiger wie Günther Jauch, Motel One-Gründer Heinz Heiler oder Bitburger-Erbe Roman Niewodniczanski haben das bereits erkannt.

Auf sein Erbe wird Roman Niewodniczanski nicht gerne angesprochen. "Der Bitburger Bierjunge, der auf Wein macht. Das wurde schon x-mal geschrieben", sagt er und spricht doch offen seine "großartigen Startchancen", wie etwa auch die 51 Prozent, die seine Familie am Gerolsteiner Mineralwasser hält, an. "Das alles hat mein Leben beeinflusst, aber viel weniger geprägt, als was ich mir selbst aufgebaut habe." Er meint sein eigenes Unternehmen: Van Volxem, ein sogenanntes Spitzenweingut. Es liegt in Wiltingen an der Saar, im äußersten Westen Deutschlands, nahe der Grenze zu Luxemburg und Frankreich.

Roman Niewodniczanski erklärt die Lage im und rund um sein Weingut Van Volxem an der Saar.

Roman Niewodniczanski erklärt die Lage im und rund um sein Weingut Van Volxem an der Saar.

(Foto: privat)

Niewodniczanski, der von allen Niewo genannt wird, ist ein rastloser Mann mit einem polnischen Namen, dessen wörtliche Bedeutung ausgerechnet einen Wassermangel bezeichnet. In den zurückliegenden 23 Jahren hat er für sehr viel Wachstum gesorgt – im doppelten Sinn: auf organisch-natürliche Weise in den Hängen seines Weinguts. Und auf organisch-ökonomische Weise in dessen Bilanz. Van Volxem, "ein heruntergekommenes Familienweingut mit historischer Größe" kaufte er als 30-Jähriger zum Januar 2000. Acht Hektar waren es damals – und damit bereits ein guter Hektar mehr als ein durchschnittliches Weingut in Deutschland besitzt. Mittlerweile zählt Van Volxem mit rund 130 Hektar zu den Top Ten. Die meiste Fläche bewirtschaftet Niewo im eigenen Besitz, viele davon als "Große Lagen", wie sie in der Winzersprache und ab sofort auch im deutschen Weingesetz heißen: Beste, oft steile, in Richtung Sonne und teilweise auch Fluss ausgerichtete Weingärten mit Namen wie "Bockstein", "Goldberg" oder "Gottesfuss". Der "Wiltinger Scharzhofberg" ist eine der berühmtesten Lagen in Deutschland, und der Wein, der hier von acht Weingütern erzeugt wird – Van Volxem hält zwei Hektar – ist der teuerste: eine Flasche Trockenbeerenauslese kostet mehrere hundert Euro. Bei Lidl gibt es unterdessen Wein von "Van Volxem & Friends" für 7, 99 Euro. Niewo gelingt ein Spagat, den sich nur sehr wenige trauen.

Die Familie war dagegen

Cool Climate – nicht das Schlechteste für einen Wein.

Cool Climate – nicht das Schlechteste für einen Wein.

(Foto: privat)

Dass die Familie das Wagnis des jüngsten Sohnes anfangs skeptisch bis ablehnend betrachtete, habe ihn angespornt, sagt er rückblickend. Jahrzehnte zuvor habe auch niemand wissen können, dass es seinem Vater – einem polnischen Atomphysiker – gelingen sollte, die Bitburger Brauerei der mütterlichen Familie erfolgreich zu führen. Vor allem aber habe er früher als andere erkannt, "woher das deutsche Weinhandwerk kommt und wohin es geht". Zum einen waren da die Berichte und Weinkarten der Vergangenheit, die Niewo selbst sammelt. Sie zeigen, dass Weine aus Deutschland und nicht zuletzt von der Saar vor dem Zweiten Weltkrieg höhere Preise erzielten als die edelsten Gewächse aus Frankreich. Zum anderen sei ihm durch das Studium der Wirtschaftsgeografie klar geworden, wie sich das Klima in Deutschland entwickeln würde: "Ausreichend warm, damit in meiner aktiven Zeit so gut wie jeder Jahrgang reifen kann" – also nicht bloß zwei oder drei pro Jahrzehnt wie früher.

Mittlerweile leistet das veränderte Klima an der dennoch relativ kühlen Saar hervorragende Dienste: Die Reifezeit der Reben dauert so lange, dass sie viele Aromen bilden können, aber nicht zu viel Zucker – was verhindert, dass durch die Gärung der Alkoholgehalt explodiert wie in heißeren Regionen. Niewo hat also auf eine Erfolgsformel gesetzt. Im internationalen Weinjargon heißt sie "Cool Climate".

Schon einige Jahre vor Niewos Neustart an der Saar hatten verschiedene deutsche Winzerbetriebe durch einen Generationenwechsel eine Erneuerung erlebt: Weg von den industriellen, auf Masse ausgerichteten Methoden der Nachkriegszeit. Ihr Negativimage trug Namen wie "Liebfrauenmilch" – immerhin ein gigantischer Exportschlager – und gipfelte im Skandal über die künstliche Süßung saurer, oft unreifer Trauben mit dem Frostschutzmittel Glykol. Ehrgeizige und nicht weniger visionäre Winzererben wie Werner Näkel an der Ahr, Markus Molitor und Ernst Loosen an der Mosel oder Wilhelm Weil im Rheingau versuchten sich seit den 1980er-Jahren in neuen handwerklichen Methoden, die genau genommen alte waren: Spontanvergärung mit natürlichen Hefen in Weinberg und -keller. Reifung in Holzfässern. Und der Faktor Zeit für die Reifung, also das für viele Menschen schwierigste: Geduld!

Günther Jauch, "Winzer des Jahres 2023"

"Winzer des Jahres 2023": Günther Jauch durchforstet den Keller seines Weinguts.

"Winzer des Jahres 2023": Günther Jauch durchforstet den Keller seines Weinguts.

(Foto: privat)

Roman Niewodniczanskis hat mit seiner Investition – Branchenkenner schätzen sie insgesamt, mit der neuen Vinothek und dem repräsentativen Kellergebäude auf mindestens 30 Millionen Euro – ein neues Kapitel der deutschen Weingeschichte begonnen. Es wird seitdem von vermögenden Privatpersonen geschrieben. Zum Beispiel:

  • TV-Moderator Günther Jauch. Er kaufte im Jahr 2010 in Konzem, einer Nachbargemeinde von Wiltingen, das Weingut von Othegraven. Es hatte seiner Tante gehört, und er hatte dort als Kind die Sommerferien verbracht. Das Branchenmagazin "Vinum" erklärte Jauch 2023 zum "Winzer des Jahres". Er selbst ist Autodidakt, der auch warnende Worte findet: "Es ist ganz leicht, ein kleines Vermögen zu machen. Man nimmt ein großes Vermögen und kauft ein Weingut."
  • Jens Reidel, ein professioneller Finanzinvestor. 2009 kaufte er im Weinbaugebiet an der Nahe ein ehemaliges Staatsweingut, das einst als "Königlich-Preußische Weinbaudomäne" angelegt worden war. Reidel taufte sie "Gut Hermannsberg". Sie bildet inmitten berühmter Weinberge mit Restaurant und Gästehaus ein prächtiges "Chateauartiges Ensemble", wie man es selten in Deutschland findet. Winzerbaron Wilhelm Weil im Rheingau spricht von einem "Leuchtturm für die gesamte Branche".
  • Jürgen Doetsch, Eigentümer der Tankstellenkette ED. In Mayschoß an der Ahr kaufte er im Jahr 2020 das traditionelle Weingut Deutzerhof.
  • "Motel One"-Mitgründer und Vielfachinvestor Heinz Heiler, der 2008 das insolvente Pfälzer Weingut Heitlinger und später auch das Weingut Burg Ravensburg kaufte. Mit Hotel und Golfplatz hat er beides zu dem entwickelt, was er "Heitlingers Genusswelten" nennt. Offen spricht er darüber, dass der Abschreibungswert eines Weingutes oft größer sei als der unmittelbare Ertrag. Mit anderen Worten: Man muss es sich auf lange Sicht leisten können und sollte es zum Teil einer funktionierenden Mischkalkulation machen.

Vorbild der Quereinsteiger

Ein Vorbild für die önologischen Quereinsteiger gilt der Werbekaufmann Achim Niederberger. Er starb im Jahr 2013. Elf Jahre zuvor hatte er begonnen, die traditionellen Pfälzer Weingüter von Bassermann-Jordan, Reichsrat von Buhl und von Winning wieder zusammenzuführen und Deidesheim mit Restaurants und Hotels als Mekka für Feinschmecker wiederzubeleben. Das Magazin mit demselben Namen (das ihm nicht gehörte) schrieb postum: "Niederberger hat fast verlorene Schätze geborgen. Er war Deutschlands größter privater Weingutsbesitzer."

Dabei profitieren Quereinsteiger nicht nur von einem wärmeren Klima, sondern auch von anderen, erdrutschartigen Veränderungen. Sie sind für die meisten Weinbaubetriebe existenziell – solche, die hartes Ackern mit der ganzen Familie gewohnt sind. Waren es im Jahr 2010 noch rund 20.000, sind es mittlerweile weniger als 14.000. Deutschland verzeichnet also im Ganzen ein drastisches Winzersterben. Insbesondere die Flächen kleiner, sogenannter Nebenerwerbsgüter gehen an größere Betriebe über. Durch die Last massiv steigender Kosten für den Betrieb von Weinbergen und -kellern, sowie die Folgen des stark schwankenden Wetters suchen selbst namhafte Betriebe nach neuen Eigentümern. Das erklärt das Wachstum von finanzstarken Investoren wie Niewodniczanski, Reidel und Co.

Wer die Wahl hat, hat auch die Qual.

Wer die Wahl hat, hat auch die Qual.

(Foto: privat)

Allein an Mosel, Saar und Ruwer, dem fünftgrößten von 13 deutschen Weinanbaugebieten, kam es seit Beginn des Jahrtausends zu mindestens zehn Übernahmen renommierter Weingüter: Immich-Batterieberg, Karthäuserhof, Dr. H. Thanisch Erben Müller-Burggraef, Schloss Liebieg, Mönchhof, von Othegraven, Reverchon, Staatsdomäne Serrig, Van Volxem oder Würtzberg.

Im Ausland trinkt man wieder deutschen Wein

Eine Seltenheit bildet in dieser Reihe übrigens der Mönchhof, der 2016 von einer chinesischen Investorengruppe gekauft wurde. Er ist damit eine von nur zwei bekannten Beteiligungen aus dem Ausland – der japanische Suntory Konzern hält seit 1988 Anteile an Wilhelm Weils Traditionsweingut Robert Weil im Rheingau. Suntory ist zugleich eines von lediglich zwei öffentlich bekannten Großunternehmen, die ein deutsches Spitzenweingut besitzen. Das andere, das ebenfalls im Rheingau gelegene Schloss Johannisberg, ist seit 1980 im Besitz der Oetker-Gruppe.

Ein Grund für die Zurückhaltung finanzstarker Gruppen wird von Branchenkennern schlicht mit der Größe erklärt: Egal, wie gut ihre Tropfen sind, deutsche Weingüter sind im Vergleich zur Konkurrenz in Frankreich, Italien oder Übersee oft zu klein, um damit das große Geld zu machen. Aus wirtschaftlicher Sicht sind sie deshalb eher etwas für Liebhaber, also leidenschaftliche Privatinvestoren. Dass einige von ihnen allerdings Vorzeigeunternehmen schaffen, die am Ende auch in größere Hände übergehen könnten, daran kann allein mit Blick auf Van Volxem kein Zweifel mehr bestehen.

Unterdessen bleibt die wirtschaftliche Lage des deutschen Weinbaus unsicher: Die Kosten für die Bewirtschaftung wachsen kräftig, und der Konzentrationsprozess dürfte sich weiter fortsetzen. Zugleich können sich rund 300 Spitzenbetriebe über steigende Nachfrage freuen – nicht zuletzt aus dem Ausland. Importeure im Vereinigten Königreich, in den USA, in Nordeuropa und sogar in Italien und Frankreich notieren seit einigen Jahren steigende Absätze aus Deutschland – und das nicht nur für den traditionell gefragten Riesling, sondern auch für Rotweine, allen voran Spätburgunder, also Pinot Noir.

Auch wenn niemand davon ausgehen sollte, dass deutscher Spitzenwein jemals wieder die Preislisten der Welt anführen wird, ist eines sicher: Das Angebot ist knapp, und die Preise werden steigen. Einige der Investoren könnten deshalb schon bald die Früchte ernten, die sie seit 20 Jahren mit viel Ausdauer heranziehen.

Quelle: ntv.de

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