Virologin bei ntv "Die Delta-Variante kann einfach mehr"
25.08.2021, 16:22 Uhr
ntv-Moderatorin Doro Steitz im Gespräch mit Helga Rübsamen-Schaeff.
In der vierten Welle haben es Mediziner nicht nur mit einer anderen Corona-Variante zu tun, sondern auch mit jüngeren Patienten. Ihnen kann mit den bereits erforschten Medikamenten geholfen werden - und es besteht Hoffnung auf weitere, neue Arzneien, erklärt Virologin Rübsamen-Schaeff bei ntv.
ntv: Die Inzidenz in Deutschland liegt jetzt bei 61,3. Hätten wir das nicht verhindern können?

Prof. Helga Rübsamen-Schaeff ist Virologin, Chemikerin und Unternehmerin. Sie sitzt in mehreren Aufsichtsräten, unter anderem der Firma Merck. Rübsamen-Schaeff ist seit 2018 Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
(Foto: imago images)
Helga Rübsamen-Schaeff: Schwer zu sagen, aber wenn Sie nach Israel gucken, die ja im Mai, Juni extrem niedrige Zahlen hatten und 60 Prozent der Bevölkerung doppelt geimpft hatten, konnte man es absehen. Da ist die Delta-Variante ja früher aufgetaucht und heute läuft da wieder eine ganz große Welle. Man sieht, dass das Virus jetzt in die Nicht-Geimpften geht, also überwiegend die Jüngeren, aber auch, dass es Doppelt-Geimpfte infizieren kann, wenn der Impfschutz nicht mehr gut ist. Deswegen hat Israel ja begonnen, ein drittes Mal zu impfen. Diese Delta-Variante kann einfach mehr als die Varianten, die wir bisher gesehen haben.
Koreanische Forscher haben rausgefunden, dass die Viruslast 300 Mal höher ist. Bedeutet das, dass wir so hohe Zahlen zwangsläufig bekommen?
Die Infektion ist auch immer eine Frage der Menge von Virus, die ich übertragen kann. Und wenn ich im Rachen mehr Viruslast habe, dann bin ich ansteckender für meine Mitmenschen. Die Zahlen passen durchaus auch zu einer Studie des Centers for Disease Control in den USA. Da gab es eine Massenveranstaltung in Massachusetts, bei der sich unter anderem auch Doppelt-Geimpfte infiziert haben. Die hat man jetzt analysiert und festgestellt, dass sie so eine hohe Viruslast hatten wie Nicht-Geimpfte. Das heißt also, die Doppelt-Geimpften, die sich jetzt infizieren mit der neuen Variante, sind infektiös.
Was muss man denn dann jetzt tun?
Ich denke, man kann nur an jeden Einzelnen appellieren, die bekannten Hygiene-Maßnahmen konsequent einzuhalten. Israel hat zum Beispiel wieder die Maskenpflicht in Innenräumen eingeführt. Und natürlich impfen, weiter impfen!
Die Intensivbetten füllen sich wieder mit Covid-19-Patienten. Das sind jetzt hauptsächlich Jüngere und Ungeimpfte. Kann man diesen Patienten jetzt eigentlich besser helfen als noch zu Beginn der Pandemie?
Wir haben eine ganze Menge über das Virus gelernt. Man kann frisch Infizierten, die erste Symptome zeigen, heute Antikörper geben. Die gibt es bei verschiedenen Firmen, müssen aber mehrmals gespritzt werden, das ist ein gewisser praktischer Nachteil. Man kann auch das Mittel Remdesivir über fünf bis zehn Tage einsetzen. Das ist ein Mittel, das direkt gegen das Virus wirkt und dann die Virusmenge im Körper drückt. Man hat damit durchaus einen Effekt auf den Verlauf. Trotzdem sage ich immer, wir müssen dringend an Medikamenten arbeiten, die direkt gegen das Virus wirken, weil eben diese bisher verfügbaren Mittel noch nicht optimal sind.
Kinder unter 12 kann man ja nicht impfen. Kann man denen bei den seltenen schweren Verläufen auch mit Medikamenten helfen?
Ich kenne keine Studie, wo Kinder in dem Alter mit Medikamenten behandelt worden wären. Ich bin aber auch kein Kinderarzt. Deswegen glaube ich, dass die Behandlung hier noch sehr experimentell ist. Leider.
Bei den Impfstoffen sagt man ja, es habe eine irre Entwicklung stattgefunden. Ist das bei den Medikamenten ähnlich?
Die Amerikaner haben einiges Geld ausgegeben, auch für die Medikamentenentwicklung. Bei uns in Deutschland fängt das jetzt erst an, leider. Wir hinken da wirklich hinterher. Ich glaube schon, dass einiges auf dem Weg ist. So hat zum Beispiel die Firma Pfizer, die ja auch den Impfstoff vertreibt, einen sogenannten Protease-Hemmer gegen das Virus in der klinischen Testung. Das kann man im Gegensatz zu den Medikamenten, die ich eben erwähnt habe, als Pille einnehmen. Es ist gedacht für den Zeitpunkt, in dem jemand frisch infiziert ist und erste Symptome hat. Der Patient nimmt die Tablette fünf oder zehn Tage lang und unterdrückt damit das Virus in seinem Körper. Dadurch kann das Virus nicht so leicht die Lunge und andere Organe befallen. Das wäre ideal, wenn man solche Medikamente hat, die man sehr gezielt und sehr früh im Krankheitsverlauf geben kann. Es gibt insgesamt drei Medikamente in der klinischen Prüfung, die oral gegeben werden können und von denen ich erwarten würde, dass wir vielleicht Ende des Jahres erste Daten haben.
Mit Helga Rübsamen-Schaeff sprach Doro Steitz
Quelle: ntv.de