Geschickte Finger muss man haben Teigtaschen in Hülle und Fülle


Koldunai sind traditionelle litauische Teigtaschen, oft vegetarisch; überbacken und mit Hackfleisch-Fülle ebenfalls lecker.
(Foto: Anna Höller/Lichtecht Fotografie)
Teigtaschen erfreuen sich weltweit großer Beliebtheit und das schon seit Jahrhunderten. Um Ursprung und Erfindung ranken sich lustige Legenden über erfrorene Ohren, einen göttlichen Bauchnabel bis hin zum Gottesbetrug. Wer nicht nur genießen, sondern auch selbst formen und füllen will, findet klassische und kreative Rezepte bei Joana Gimbutyte.
Teigtaschen - in diesem Wort versteckt sich ein ganzer Kosmos! Es gibt sie wohl überall auf der Welt: gekocht, gedämpft, gebraten, frittiert, gebacken; mit Fleisch, Fisch oder Gemüse, Käse oder Kräutern gefüllt; meistens pikant gewürzt, aber auch durchaus in Süß; als eigenständige Mahlzeit, als Beilage oder in der Suppe. Genauso vielfältig sind die Formen: rund, oval, länglich, drei- oder viereckig, als Halbmond, Tütchen oder Säckchen. Wir lieben sie als Maultaschen, Schlutzkrapfen oder Buchteln, Ravioli oder Tortellini, Dim Sum oder Gyoza, Empanadas oder Samosa, Pelmeni oder Chinkali, Wareniki oder Pierogi. Meine Aufzählungen könnte ich fast endlos fortsetzen.

Legendär in vielen europäischen Ländern sind Füllungen mit Pflaumenmus, so die "Powidltascherln" in Österreich.
(Foto: Anna Höller/Lichtecht Fotografie)
So allgegenwärtig wie diese Taschen und Täschchen sind - die Ursprünge reichen weit zurück und da meist ins Reich der Legenden. So soll im 2. Jahrhundert ein Arzt in China die Teigtaschen erfunden haben, um Erfrierungen an den Ohren zu behandeln. Die gefüllten Teigtaschen wurden wie Ohren geformt und ... Nein, nicht auf die Ohren gelegt, sondern sehr heiß gegessen, um die durch die Erfrierungen verursachten Schmerzen zu lindern. Ich bin da skeptisch, womöglich kam zu den erfrorenen Ohren noch eine verbrannte Zunge hinzu. Belegt ist hingegen die Existenz von chinesischen Uralt-Teigtaschen: Archäologen fanden bei Ausgrabungen in Nordwestchina Reste davon, die über 1000 Jahre alt sind. Noch heute gilt Asien als der Kontinent der Teigtaschen und neben Formen wie Tütchen und Säckchen gibt es nach wie vor zahlreiche Öhrchen-Teigtaschen.
Völlig schmerzfrei, aber leicht frivol sind die Erzählungen über die Ursprünge der italienischen Teigtaschen: Ein Wirtshaus-Koch in Bologna lugte offenbar durch ein Schlüsselloch, als sich Venus dort mit Jupiter treffen wollte, und erspähte den göttlichen Bauchnabel; nur den Nabel! Und so sollen die Tortellini - klein, niedlich, rund und mit einem Löchlein in der Mitte - stets an den Bauchnabel der Göttin der Liebe erinnern. Jedoch beansprucht Modena ebenfalls die Erfindung der Bauchnabel-Teigtasche für sich; hier soll bei der Nabel-Sichtung jedoch kein göttliches, sondern "nur" ein fürstliches Geheimnis gelüftet worden sein, denn der neugierige Koch erspähte den Nabel von Lucrezia Borgia, uneheliche Tochter von Papst Alexander VI. Trotz der lustigen Nabelschau sind Tortellini nicht die ältesten italienischen Teigtaschen, das sind die Ravioli. Deren ältester dokumentierter Nachweis stammt aus dem 12./13. Jahrhundert in Savona.

Gimbutytes Maultaschenauflauf hätte den Mönchen sicher geschmeckt.
(Foto: Anna Höller/Lichtecht Fotografie)
Auch die deutschen Teigtaschen haben ihre Legende: Als die Zisterziensermönche im Kloster Maulbronn dereinst in der Fastenzeit einen großen Batzen Fleisch geschenkt bekamen, standen sie vor der Qual der Wahl - verwerten oder verderben lassen, denn Kühl- und Gefrierschränke waren noch nicht erfunden. Die listigen Mönche aber erfanden die Teigtaschen: Das kleingehackte Fleisch wurde unter Nudelteig vor Gott und den Augen der wahrhaft fastenden städtischen Einwohner versteckt. So entstanden die Maultaschen - und bekamen zu Recht den Beinamen "Herrgottsbscheißerle". Den Schwaben sei Dank, denn die Maultaschen sind nicht nur das Nationalgericht in Baden-Württemberg, sondern schmecken sogar den Preußen in Berlin und Brandenburg - mit und ohne Fleisch. Oder, wenn Sie so wollen, mit und ohne Beschiss. Das 1147 gegründete Kloster Maulbronn ist heute Unesco-Welterbe.
Von Europa bis Afrika
Kehren wir aus dem Reich der Legenden zu den Tatsachen zurück. Teigtaschen zu genießen und sie selbst herzustellen - nun, das sind zwei weit auseinanderliegende Seiten ein- und derselben Sache. Ich liebe sie ... zu genießen! Die Herstellung erfordert schon ein bisschen Geduld und Fingerfertigkeit. Doch wozu gibt es Experten und ihre Kochbücher? "Teigtaschen, selbst gemacht, mit und ohne Fleisch" aus dem Grazer Stocker Verlag ist so ein Buch, das außer 50 verlockenden Rezepten (die Hälfte vegetarisch) aus aller Welt viel Grundlegendes vermittelt und mit detaillierten Anleitungsfotos jede Menge Beistand zum "Tütendrehen" gibt. Autorin ist Joana Gimbutyte, unter anderem Küchenmeisterin, Autorin mehrerer Bücher sowie Rezeptentwicklerin. Manche Rezepte im Teigtaschen-Buch orientieren sich an den Originalen aus diversen Ländern, oft sind aber vor allem die Füllungen und die Formen Eigenkreationen von Gimbutyte. Das zeigt, dass man sich nicht starr an alle Vorgaben halten muss, man darf nach Herzenslust variieren.
Blutige Anfänger, die sich in der Welt der Teigtaschen tummeln wollen, sollten nicht gleich bei anspruchsvollen Formen einsteigen, sondern sich über einfach zu händelnde herantasten. Die "Schwarzwälder-Kirsch-Blümchen" sehen zwar entzückend aus, ich für meinen Teil bezweifle, ob ich das auf Anhieb so hinkriegen würde. Doch bei den vielen Rezepten aus Europa, Asien, Südamerika und Afrika finden sich jede Menge "Einsteigermodelle". Jede Region hat ihre traditionellen Spezialitäten, wobei der Schwerpunkt in diesem Buch auf Europa liegt.

Die Kinder von Joana Gimbutyte lieben vor allem Mamas Koldunai.
(Foto: Anna Höller/Lichtecht Fotografie)
Joana Gimbutyte ist in Litauen aufgewachsen, sozusagen mit Teigtaschen, denn die Küchen der baltischen Länder, Polens, der Ukraine, Russlands oder Georgiens bieten eine Fülle von Teigtaschen-Rezepten. Wir denken da meistens an Gerichte in Italien oder in asiatischen Ländern, kaum an osteuropäische. Das ist schade. "Deshalb ist die Reihung der Rezepte als eine Art kulinarische Reise zu betrachten, die in meinem Heimatland Litauen startet, in einige osteuropäische Regionen und dann nach Südeuropa führt, um schließlich über Deutschland in meine neue Heimat nach Österreich zu gelangen. Das zweite Kapitel widmet sich dann den berühmtesten Teigtaschen aus West-, Zentral- und Südostasien, macht Halt in Südamerika und endet in Afrika", schreibt die Autorin. Ihre Vorliebe für Teigtaschen hat sie auch an ihre Kinder weitergegeben, deshalb kommt bei Familie Gimbutyte oft "Koldunai" auf den Tisch: gefüllt mit Gemüse, Hackfleisch, Fisch oder auch mit süßen Sachen.
Nicht nur Nudelteig versteckt die Füllung

Die Schwarzwälder-Kirsch-Teigtaschen sind im wahrsten Sinne süße Blümchen und außergewöhnlich.
(Foto: Anna Höller/Lichtecht Fotografie)
Vermutlich werden die ersten DIY-Werke keine filigranen Kunstwerke sein. Das Buch von Gimbytyte bietet viele Trainingsanleitungen auf dem Weg zu Meisterwürden. Den Anfang macht das Wissen über die Hülle, denn das "Außendrum" bei Teigtaschen ist nicht nur auf Nudelteig beschränkt, es gibt dafür auch Hefe- und Backpulverteige sowie Teige aus Reis- oder Maismehl, Buchweizen- oder Stärkemehl, manchmal auch aus gekochten Kartoffeln. Bunte Teige entstehen, wenn man das Wasser durch diverse Säfte ersetzt oder fein gehackte Kräuter einarbeitet. Die Grundrezepte finden Sie im Buch. Ohne diverse Helferlein kommt keiner in der Küche aus; die Autorin stellt die für die Teigtaschen-Zubereitung nötigen Utensilien alle vor, von Nudelholz und Nudelmaschine bis hin zu Formen, Blechen, Pressen und Garbehältern. Und wenn Sie dann Ihren ersten Teig ausgerollt haben, können Sie loslegen mit dem Füllen und dem Formen nach Ihrem Gusto. Gimbutyte zeigt auf den zahlreichen Schritt-für-Schritt-Fotos wie's geht, angefangen von einfachen Dreiecken über runde Formen, Halbkreise bis hin zu Meisterwerken mit Fältchen, Rüschchen und Öhrchen.
Die Autorin gibt Tipps, was Sie mit den Teigresten anstellen können und warum es sich lohnt, Teigtaschen auf Vorrat zu produzieren. Sie lassen sich nämlich gut einfrieren - vielleicht auch deshalb gibt es bei den Rezepten keine Portionsangaben. Die eingefrorenen Teigtaschen müssen nicht aufgetaut werden, die Garzeit verlängert sich lediglich um etwa fünf Minuten. Bei den Basis-Informationen finden Sie auch Tipps, was bei den vier Garmethoden Dämpfen, Kochen, Frittieren und Backen beachtet werden sollte. Rezepte für Suppen, bei denen Teigtaschen die Einlage bilden, fehlen ebenso wenig wie die für diverse Soßen.
Überbackene Koldunai (Litauen)
Teig
30 g Mehl
200 ml Wasser
1 Ei
1 Prise Salz
Füllung
120 g Zwiebel
400 g gemischtes Faschiertes
100 ml warme Suppe
Salz und Pfeffer
Öl zum Anbraten
300 ml Suppe zum Dünsten
Guss
100 g Sauerrahm
1 EL Dill
2 EL Schnittlauch
1 Knoblauchzehe
100 g geriebene Käse (z. B. Gouda)
Zubereitung:
Für den Teig Mehl, Wasser, Ei und Salz glatt verkneten. Nach Bedarf Mehl oder Wasser zugeben und 30 Minuten bei Zimmertemperatur zugedeckt rasten lassen.
Für die Füllung Zwiebel schälen und kleinwürfelig schneiden. Mit den restlichen Zutaten für die Füllung vermischen und gut würzen.
Auf einer bemehlten Arbeitsfläche oder mit der Nudelmaschine den Teig dünn ausrollen und mit einem großen Wasserglas oder einem Ausstecher (8 cm Ø) Kreise ausstechen. Die Teigränder leicht mit Wasser bestreichen.
Jeweils etwa 1 EL von der Füllung in die Mitte der Kreise setzen, Teig über der Füllung zu Halbkreisen zusammenklappen, die Spitzen der Halbkreise überlappend zusammenführen und kleine "Öhrchen" formen (ähnlich wie Tortellini, siehe Anleitungsfotos S. 26).
Die Teigtaschen in gesalzenem Wasser kochen, bis sie an der Oberfläche schwimmen. Mit dem Siebschöpfer vorsichtig herausnehmen.
In einer Pfanne mit etwas Öl anbraten, mit Suppe aufgießen und für ein paar Minuten dünsten, dann in eine ausgebutterte Auflaufform geben.
Für den Guss den Sauerrahm mit den fein gehackten Kräutern und dem fein gehackten Knoblauch vermischen, auf den Teigtaschen verteilen und mit dem geriebenen Käse bestreuen.
Im auf 200 °C vorgeheizten Backofen 15-20 Minuten überbacken.
Maultaschenauflauf (Deutschland)
Teig
400 g glattes Dinkelmehl
5 Eier
80 ml Wasser
2 EL Olivenöl
1 TL Salz
1 Eiklar zum Bestreichen
Füllung
200 g Champignons
100 g Zwiebel
2 EL Olivenöl
500 g gemischtes Faschiertes
75 g Speckwürfel
2 Knoblauchzehen, gepresst
30 g Rucola
3 EL gehackte Petersilie
100 g Sauerrahm
1 Prise Muskatnuss
Salz und Pfeffer
1 EL Butter für die Form
Guss
120 g Allgäuer Bergkäse
100 g Sauerrahm
60 ml Sahne
2 EL Majoran, gehackt
Salz und Pfeffer
Zubereitung:
Für den Teig alle Zutaten mit der Küchenmaschine oder mit den Händen 6 Minuten glatt verkneten, zu einer Kugel formen, in Frischhaltefolie wickeln und 30 Minuten rasten lassen.
Für die Füllung die Champignons blättrig schneiden, Zwiebel kleinwürfelig schneiden und beides in Olivenöl goldbraun anbraten. Faschiertes mit Speckwürfeln zugeben und rösten, bis die Flüssigkeit verdunstet ist.
In eine große Schüssel geben, auskühlen lassen. Mit fein gehacktem Rucola und den restlichen Zutaten für die Füllung gründlich verkneten und würzig abschmecken.
Den Teig auf einer bemehlten Arbeitsfläche 2 mm dünn zu etwa 15 cm breiten Teigbahnen ausrollen. Auf dem unteren Drittel einen kompakten Streifen Füllung auf den Teigbahnen verteilen. Die Ränder seitlich der Füllung mit Eiklar bestreichen, den weniger breiten Teigrand nach oben über die Füllung klappen, dann den oberen Teigrand nach unten klappen. Die gefüllte Teigbahn umdrehen (mit der Naht nach unten), leicht flach drücken und mit dem stumpfen Rücken eines großen Messers in etwa 6 cm große Stücke teilen.
Die Maultaschen in gesalzenem Wasser 5 Minuten köcheln, dann mit dem Siebschöpfer herausheben.
Eine Auflaufform mit Butter bestreichen und die Maultaschen darin fächerartig einlegen. Für den Guss Bergkäse reiben und mit den restlichen Guss-Zutaten gut vermischen, über die Maultaschen gießen. Im auf 200 °C vorgeheizten Backofen 25 Minuten überbacken.
Powidltascherln (Österreich)
Teig
400 g mehlige Kartoffeln
20 g Butter
200 g Mehl
50 g Grieß
1 Prise Salz
1 Eidotter
1 Eiklar zum Bestreichen
Füllung
150 g Powidl
2 TL Rum
Butterbrösel
60 g Butter
200 g Semmelbrösel
Apfelkompott
1 Zimtstange
450 g Äpfel
150 ml Wasser
4 TL Zucker
1 Prise Zimt
Zubereitung:
Für den Teig die Kartoffeln kochen, schälen, heiß durch die Kartoffelpresse drücken und abkühlen lassen, dann die weiche Butter und die restlichen Teigzutaten mit den Kartoffeln zu einem geschmeidigen Teig verkneten.
Den Teig auf einer bemehlten Arbeitsfläche etwa 5 mm dick ausrollen (den Teig zwischendurch immer wieder leicht mit Mehl bestauben) und handtellergroße Kreise ausstechen.
Für die Füllung Powidl mit Rum verrühren, 1 TL von der Füllung mittig auf jeden Teigkreis setzen, die Teigränder mit verschlagenem Eiklar bestreichen und die Kreise zusammenklappen, die Ränder gut andrücken.
Äpfel schälen, vierteln, Kerngehäuse mit einem Messer herausschneiden und Äpfel in kleine Stücke schneiden, diese mit Wasser und Zucker in einem Topf zum Kochen bringen, die Hitze reduzieren und zugedeckt 10 Minuten köcheln lassen, mit Zucker und Zimt abschmecken, in Gläsern oder Schälchen anrichten.
Die Powidltascherln in leicht kochendem Salzwasser ziehen lassen, bis sie an der Oberfläche schwimmen, danach mit dem Siebschöpfer herausheben.
In einer beschichteten Pfanne Butter erhitzen und die Brösel darin anrösten, die Powidltascherln in den Butterbröseln wenden, danach mit dem Apfelkompott anrichten.
Viel Spaß beim Faltenlegen und Tütendrehen wünscht Ihnen Heidi Driesner - und als kleines Extra noch meine Hilfestellung:
Eidotter = Eigelb
Eiklar = Eiweiß
Faschiertes = Hackfleisch
Powidl = Pflaumenmus
Semmelbrösel = Paniermehl
Suppe = Brühe
Topfen = Quark
Quelle: ntv.de