"Einfach Pech gehabt" Gestrandete bleiben nach Kreuzfahrt-Debakel auf Kosten sitzen


Nun wieder voll besetzt: Die "Norwegian Dawn" beendet ihre Tour am 10. April in Barcelona. (Symbolfoto)
(Foto: Reuters)
Die Odyssee von acht Kreuzfahrt-Passagieren hat ein Ende: Nachdem sie auf São Tomé zurückgelassen wurden, sind sie wieder an Bord der "Norwegian Dawn". Allerdings hat der Wettlauf durch Afrika Spuren hinterlassen - vor allem auf ihrem Konto. Und die Chancen auf eine Erstattung stehen schlecht.
Drei Wochen Auszeit vor den Küsten Westafrikas, für die Mahlzeiten ist gesorgt, für die Reiseroute auch, Pauschalurlaub - ist doch alles schon bezahlt. So dürften sich acht Passagiere der "Norwegian Dawn" ihre Kreuzfahrt vorgestellt haben. Dass sie nur rund eine Woche später auf einer afrikanischen Insel stranden und sich ohne Sprachkenntnisse, Wechselkleidung oder Bargeld nach Senegal durchschlagen müssen, damit konnte niemand von ihnen rechnen. Und auch, dass ihre anfängliche Traumreise innerhalb weniger Tage tausende Dollar teurer wird, haben die acht wohl nicht geahnt.
An Bord ging es am 20. März in Südafrika. Knapp eine Woche verlief die Traumreise wie geplant, die "Norwegian Dawn" passierte die Küsten von Namibia, Angola und Gabun, bis sie schließlich im Hafen von São Tomé anlegte. Wie auf Kreuzfahrten üblich, blieb den Passagieren nun Zeit für einen Landgang: ein Mittagessen im Hafen, Souvenirs shoppen auf dem örtlichen Markt oder ein Inselrundgang, womöglich organisiert durch einen der lokalen Veranstalter. Sechs US-Amerikaner und zwei Australier entschieden sich für letzteres - unwissend, dass ihnen damit eine knapp einwöchige Odyssee bevorsteht.
Denn obwohl der Faktor Zeit wohl nirgendwo so nebensächlich ist wie auf Kreuzfahrten, gibt es gerade auf dieser Art von Reise eine Frist, die es unbedingt zu beachten gilt: die "Back-on-Bord-Time". Diese "Alle-Mann-an-Bord"-Zeit liegt immer etwas vor der Abfahrtszeit und definiert klar, wann jeder wieder zurück auf dem Schiff sein muss, wie der Reiserechtler Mirko Göpfert im Interview mit ntv.de erklärt. Meistens werde sie auch schon einen Tag vor dem Landgang überall auf dem Schiff kommuniziert, "weil sie so wichtig ist." Denn die Liegezeiten für Schiffe im Hafen sind streng getaktet, erinnert der Anwalt. "Wenn da nun ein Schiff länger liegen bleibt und den Verkehr aufhält, kann das schnell zu Schadensersatzansprüchen anderer Reedereien führen."
Der Ausflug
Bei Landgängen innerhalb von Kreuzfahrten gibt es damit zwei Szenarien: "Wenn der Ausflug von der Reederei geplant ist, ist diese auch dafür verantwortlich, dass die Passagiere wieder rechtzeitig an Bord kommen." In anderen Worten: Geht etwas schief, dauert etwa die Inseltour länger als geplant, muss die Reederei für mögliche Kosten aufkommen, um die Passagiere wieder auf das Schiff zu bringen. Riskanter ist damit Variante zwei - der selbst organisierte Ausflug. "Da müssen die Passagiere selbst zusehen, dass sie wieder auf das Schiff kommen", sagt Göpfert. "Und zwar rechtzeitig."
Genau das ist den acht Passagieren der "Norwegian Dawn" nicht gelungen. "Back on Bord" sollten sie um 15 Uhr sein, allerdings erreichten sie den Hafen von São Tomé erst rund eine Stunde später. Was danach geschah, ging in etlichen Meldungen um die Welt: Die Gruppe konnte das Kreuzfahrtschiff noch sehen, mithilfe des Hafenagenten versuchten die acht, den Kapitän zu kontaktieren und an Bord zu gelangen - vergeblich. Der Kapitän, so berichtete "ABC15 News", lehnte ab und die "Norwegian Dawn" verschwand am Horizont.
Ohne ihre Kleidung, Kreditkarten oder Medikamente blieben die acht Amerikaner und Australier zurück auf der kleinen Insel vor der nigerianischen Küste. Zu der Gruppe gehörten auch mehrere Ältere, eine querschnittsgelähmte Person sowie eine Schwangere. In einer ersten Reaktion nannte "Norwegian Cruise Line" den Vorfall zwar bedauerlich, pochte gleichzeitig jedoch auf die Eigenverantwortlichkeit der Passagiere, rechtzeitig am Hafen zu sein. Zudem betonte die Reederei, dass die Zurückgelassenen die Reise zum nächsten Anlaufhafen des Schiffes selbst organisieren müssen und auch die Kosten zu tragen haben.
Das Eigenverschulden
"Höchstwahrscheinlich zu Recht", erklärt Göpfert. So lag die Verspätung der Passagiere zwar an der falsch kalkulierten Inseltour. Allerdings zähle dies als Eigenverschulden, da sie eben nicht durch die Reederei, sondern selbst organisiert war. "Damit haben sie schlicht und einfach Pech gehabt." Das bedeutet: Alle Kosten, die nun etwa für Unterkünfte, Visa oder Flüge anfallen, müssen von den Passagieren selbst getragen werden. "Da muss man sich gut überlegen, was man macht", sagt Göpfert. "Nach Hause zu fahren dürfte in vielen Fällen günstiger sein, als dem Schiff hinterher zu reisen."
Die Passagiere der "Norwegian Dawn" taten allerdings genau das. In Windeseile mussten sie Visa für verschiedene Länder, Flüge ans Festland sowie einen Van organisieren. "Es war die schlimmste Erfahrung unseres Lebens", berichteten die australischen Eheleute Doug und Violeta Sanders. "Wir waren innerhalb von 48 Stunden in sieben Ländern", fassten Jill und Jay Campbell den Wettlauf gegen die Zeit durch Westafrika zusammen. Zu den Verständigungs- kamen vor allem Zahlungsprobleme. Denn lediglich die Campbells hatten eine funktionierende Visa-Karte bei sich. Eigenen Angaben zufolge legten sie ihren Mitreisenden schon in den ersten Tagen tausende Dollar aus.
Ein Ende sollte diese Odyssee erstmals am vergangenen Montag finden. Mithilfe der US-Botschaft in Angola hatten es die acht nach Gambia geschafft, die "Norwegian Dawn" plante einen Halt in der Hauptstadt Banjul. Aus dem erhofften Ende des ungewollten Roadtrips wurde jedoch nichts: Die Gruppe hatte es zwar rechtzeitig in das Land geschafft, allerdings konnte ihr Kreuzfahrtschiff wegen Niedrigwassers nicht anlegen und blies den Halt in Gambia kurzerhand ab.
Wird die Ebbe in Gambia zum Hebel?
Möglicherweise, so wird in verschiedenen US-Medien vermutet, liegt hier der Hebel für eine Kostenerstattung durch die Reederei. Zumindest die Fahrt von Gambia zum nächstgelegenen Hafen in Senegal müsste "Norwegian Cruise Line" übernehmen, war die gestrandete Gruppe doch rechtzeitig am geplanten Anlaufhafen.
Anwalt Göpfert sieht das skeptisch. Maßgeblich sei, was genau den Schaden der Passagiere, also die Kosten, verursacht habe. "Im Grunde setzt der Reisegast diese Ursache ja schon mit dem ersten Versäumen der 'Alle-Mann-an-Bord'-Zeit." Wäre das nicht passiert, so der Anwalt, wären sie gar nicht in die Situation gekommen, in Gambia an Bord gehen zu müssen. Allerdings sei dieser Fall weniger eindeutig als jener auf São Tomé. Denn wenn der Hafen von Banjul bei Ebbe generell nicht befahrbar sei und die Reederei dies hätte vorsehen können, läge eine Fehlplanung vor. "Dann könnte man zumindest darüber nachdenken, ob nicht auch der Nachreiseversuch zu diesem Hafen zulasten der Reederei geht."
"Norwegian Cruise Line" wollte dieser Debatte offenbar vorbeugen. So kündigte die Reederei vor wenigen Tagen an, den Passagieren "ihre Reisekosten von Banjul, Gambia, nach Dakar, Senegal," zu erstatten. Göpfert glaubt nicht, dass es sich hierbei lediglich um eine nette Geste gegenüber den gebeutelten Passagieren handelt. "Kulant ist das immer nur auf dem Papier. Ich gehe vielmehr davon aus, dass sie einerseits einen kostspieligen Prozess vermeiden und andererseits vermeiden wollen, dass ein Richter den Passagieren erst in diesem Fall recht gibt und dann eventuell auf die Idee kommt, zu prüfen, ob der Kapitän nicht doch hätte zehn Minuten länger warten können." Möglicherweise fürchtet die Reederei bereits langwierige Schadensersatzklagen.
Denn genau diesen Gedanken ließ eine der zurückgelassenen Passagiere bereits durchblicken. Im Interview mit der "Today-Show" kritisierte Jill Campbell die Besatzung des Schiffes, die die Regeln und Richtlinien "zu starr" befolgt hätten. Demnach hätten der Kapitän und die Crew eine "grundlegende Sorgfaltspflicht, die sie vergessen haben".
Klarer Fall in Deutschland - und in den USA?
Hätte der Kapitän - trotz knapp einstündiger Verspätung - tatsächlich auf die acht Passagiere warten können, möglicherweise müssen? "Grundsätzlich ist es immer schwierig zu sagen, der andere hat eine Pflicht verletzt, die ihn nur getroffen hat, weil man selbst eine Pflicht verletzt hat", erklärt Göpfert. Unabhängig davon sei es durchaus möglich, dass das Schiff hätte warten müssen, wenn dies "möglich und zumutbar" gewesen wäre. Was genau das im konkreten Fall bedeutet, müsste der Richter entscheiden.
"In diesem Fall würde ich, zumindest in Deutschland, keinen Hebel für Schadensersatz sehen", sagt Göpfert. So könnte "Norwegian Cruise Line" auch darauf pochen, dass die Kosten bei einer längeren Liegezeit durch Schadensersatzansprüche anderer Reedereien weitaus höher ausgefallen wären. Diese hätten sie wiederum den verspäteten Passagieren auferlegen können. "Das wäre weitaus teurer geworden als die paar tausend Euro für die Reise durch Afrika".
Nun ist das Rechtsverständnis, vor allem im Verbraucherschutzrecht, in den USA ein anderes als hierzulande. "Wenn etwa hier jemand einen Kaffee umkippt und sich verbrüht, sagen wir, er muss halt aufpassen", gibt Göpfert als Beispiel. "In den USA heißt es hingegen, man darf den Kaffee nicht zu heiß servieren."
Eine Fortsetzung des Falles rund um die "Norwegian Dawn", acht gestrandete Passagiere, São Tomé, Gambia und Senegal ist damit zumindest nicht ausgeschlossen. Vorerst dürfte es jedoch ruhiger um das Kreuzfahrtschiff werden. Die acht Gestrandeten konnten in Senegals Hauptstadt an Bord gehen und befinden sich wieder auf See. Ob die verbleibende Zeit ausreicht, um sich von den Strapazen des ungewollten Roadtrips zu erholen, werden sie frühestens am 10. April berichten können. Dann findet die Kreuzfahrt in Barcelona ihr offizielles Ende.
Quelle: ntv.de