Epidemiologe Ulrichs bei ntv "Ich kann die Kinderimpfung nur empfehlen"
10.12.2021, 16:03 Uhr
Der Epidemiologe Timo Ulrichs - hier im Gespräch mit ntv-Moderatorin Doro Steitz - ist Professor für Medizin, Mikrobiologie und Katastrophenhilfe an der Akkon-Hochschule in Berlin.
Die STIKO gibt nur eine zurückhaltende Empfehlung zur Impfung von Kindern unter zwölf ab, Epidemiologe Ulrichs bedauert das. Eltern rät er im ntv-Interview, sich dafür zu entscheiden: "Es ist eine sichere Sache und der Schutz ist da", sagt er - auch mit Blick auf die Omikron-Variante.
ntv: Wir verzeichnen heute sinkende Inzidenzen, auch die Zahl der Neuinfektionen steigt nicht mehr. Liegt das an dem Stau in den Gesundheitsämtern und Laboren oder ist das eine Trendwende?
Timo Ulrichs: Es kann sein, dass einige Fälle nicht richtig gemeldet werden und wir da eine leichte Verzerrung haben im Vergleich zur Zeit davor. Damit ist aber nur schwer begründbar, dass wir jetzt offensichtlich einen richtigen Trend haben, dass es nicht weiter nach oben geht. Es ist jetzt auch nicht der steile Trend nach unten, aber es sieht auf jeden Fall schon mal nicht schlecht aus. Das können eigentlich auch noch gar nicht die direkten Auswirkungen der Maßnahmen sein. Aber möglicherweise zeigt das auch das vernünftige Verhalten von vielen Bürgerinnen und Bürgern, die diese Kontaktreduktionen vorweggenommen haben.
Könnten wir also ein entspannteres Weihnachtsfest als vergangenes Jahr haben oder könnte es zum nächsten Superspreader-Event werden?
Wir haben ja mittlerweile ganz schön was gelernt in dieser Pandemie. Auch, dass man da umsichtig sein sollte und dass ja eben wegen der Booster-Impfungen, die noch nicht bei allen angekommen sind, ein gewisses Risiko besteht und eine Lücke da ist. Die sollte so behandelt werden, als wäre man noch nicht richtig geimpft. Man sollte sich also entsprechend vorsichtig verhalten. Das ist etwas, was wir ja leider schon sehr lange einüben mussten. Deswegen steht zu hoffen, dass man das Weihnachtsfest in kleinem Kreise feiert, mit wenigen Kontakten über die Familie hinaus. Dann kann das auch ganz gut werden.
Also doch so eine kleine Weihnachtsruhe, wie sie Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil fordert?
Ja, das ist sinnvoll. Es gibt ja auch die Überlegungen, die Weihnachtsferien ein bisschen auszuweiten. Das trägt ja dann auch noch mit dazu bei, dass in der Zeit zwischen den Jahren nicht wahnsinnig viel passiert. Das könnte schon alles mithelfen, dass wir so ein bisschen mehr Ruhe hereinbringen und diesen Abwärtstrend bei den Neuinfiziertenzahlen fortlaufen lassen, ohne da wieder einen Peak nach oben zu bekommen.
Booster-Impfungen seien schon nach drei Monaten sinnvoll, sagt Biontech-Chef Ugur Sahin. Warum ist das nötig und ist das überhaupt machbar?
Was wir gerade erleben, ist ja ein enormer Infektionsdruck. Wir haben immer noch eine sehr hohe Welle und das sind eben sehr viele Viren, die da zirkulieren. Das heißt, der individuelle Immunschutz muss wieder nach oben gebracht werden durch diese Booster-Impfung. Und je eher das passiert, desto kleiner ist diese Lücke in dem Moment, wo diese Immunantwort wieder nachlässt. Wir haben ja schon recht gute Daten, dass es nach sechs Monaten recht wenig geworden ist. Es früher einzusetzen schadet auf gar keinen Fall. Man kann auch öfter geimpft werden, ohne dass man da Nachteile befürchten müsste. Deswegen ist es schon recht ratsam, diese Zeitspanne zu verkürzen. Das kann man dann wieder etwas entspannter sehen, wenn wir die vierte Welle hinter uns haben werden.
Es gibt Meldungen aus Südafrika, dass sieben Deutsche trotz Booster-Impfung eine Infektion mit Omikron bekommen haben, allerdings mit einem leichten Verlauf. Wie ist das zu erklären?
Jetzt muss man natürlich gucken, wie das bei diesen Personen war. Ob da der Immunschutz schon vollständig aufgebaut war, also etwa 14 Tage nach der dritten Impfung wäre das dann zu erwarten, und wie das dann genau war. Aber natürlich kann es sein, dass dann die Infektion noch ausgelöst wird, weil die Omikron-Variante an den Spike-Proteinen ganz anders aussieht und die Neutralisierung schlechter funktioniert. Die dritte Impfung, die Booster-Impfung, generiert dann zusätzlich so viele neutralisierende Antikörper, dass auf jeden Fall ein schwerer Verlauf verhindert werden kann, aber leider nicht in allen Fällen eine Infektion.
Wir hören, dass vermehrt Kinder und junge Menschen von Omikron befallen werden. Die STIKO hat entschieden, nur eine Impfempfehlung zu geben für Kinder mit Vorerkrankungen oder mit Risikofällen in der Familie. Wie passt das zusammen?
Das ist ein bisschen schade. Eigentlich würde man erwarten, dass man hier jetzt diese Risiko-Nutzen-Abwägung vor dem Hintergrund der Omikron-Variante genau anguckt. Natürlich sind noch nicht so viele Daten dazu da, aber es deutet ja jetzt sehr viel darauf hin, dass man viele gute Argumente hat, dass man die Impfungen auch ausweitet auf die ganz Kleinen. Es ist schade, dass die STIKO jetzt nur vorsichtig die Impfung Kindern mit Vorerkrankungen empfiehlt und dass man das mehr oder weniger den Eltern überlässt. Ich kann also nur empfehlen, dass man die Kinder impfen lässt, denn es sind schon sehr gute Erfahrungen damit gemacht worden. Es ist eine sichere Sache und der Schutz ist da. Gerade mit Blick auf Omikron sollte man die Kinder nicht immunnaiv hereingehen lassen, sondern mit einer guten Impfung.
Mit Timo Ulrichs sprach Doro Steitz
Quelle: ntv.de