Panorama

Macht- und Reviersicherung Im italienischen Prato herrschen chinesische Triaden

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Man sollte sich viel öfter fragen, wo der ganze Krempel herkommt. Und ob man ihn wirklich braucht.

Man sollte sich viel öfter fragen, wo der ganze Krempel herkommt. Und ob man ihn wirklich braucht.

(Foto: Bernd Wei�brod/dpa)

In Prato, Europas größter Produktionsstätte von Fast Fashion, ist seit über zehn Jahren ein Krieg im Gange. Chinesische Triaden kämpfen um Macht und Reviere, sie scheuen keine Gewalt. Dabei geht es um Milliarden.

Im Februar dieses Jahres sind in der toskanischen Stadt Prato und den naheliegenden Gemeinden Seano und Campi Bisenzio drei Hallen von chinesischen Logistikunternehmen in Brand gesetzt worden. Zwölf Tage später wurde in Madrid ein großes Kleiderlager, auch im Besitz von Chinesen, von den Flammen versenkt. Laut Medienberichten vermuten die Ermittler einen Zusammenhang zwischen den Bränden in und um Prato und dem in Madrid. Der Mandant ist vermutlich eine Triade, so heißen die Clans der chinesischen Mafia, mit Sitz in Prato.

Einen Zusammenhang mit der toskanischen Stadt könnte es auch bei der Ermordung eines chinesischen Paares im April in Rom geben. Der Mann hieß Zhang Dayong, war ein wichtiger Referent der chinesischen Mafia und für die Ermittler kein unbeschriebenes Blatt. Sie kannten ihn aus der Operation "China Truck", die von den Staatsanwälten in Florenz koordiniert worden war und 2018 zur Verhaftung von zig Verdächtigen geführt hatte. Die Anklage lautet: Die Lieferungen zwischen chinesischen Betrieben im In- und Ausland mit Mafia-Methoden zu kontrollieren. Der Prozess läuft noch.

In Prato ist seit 2014 ein Mafia-Krieg in Gang. Die Morde und Erpressungen unter den Triaden erinnern an jene der sizilianischen Cosa Nostra in den 80er und 90er Jahren, als die Mafia-"Famiglie" keine noch so grausame Exekution scheute, um ihre Macht und ihr Revier zu sichern.

Die Bügel bringen 100 Millionen Euro

In der toskanischen Stadt geht es um den sogenannten "Kleiderbügel-Krieg". Eine Bezeichnung, die sich bizarr anhören mag, jedoch nicht im Großraum Prato, der größten Produktionsstätte Europas für billige Fast Fashion. "Für Kleider sind Bügel genauso unentbehrlich wie für Obst und Gemüse die Kisten", hebt Salvatore Calleri, Präsident der Antimafia-Stiftung, sowie Berater des parlamentarischen Antimafia-Ausschusses im Gespräch mit ntv.de hervor. Und anders als man vielleicht vermutet, lässt sich der Ertrag sehen. "Allein an den Kleiderbügeln verdient die chinesische Mafia an die 100 Millionen Euro im Jahr." Die Rede ist von den Drahtbügeln, die nur ein paar Cent kosten. Natürlich ist das nicht das einzige Geschäft: Neben Drogenhandel, Spielautomaten und Ausbeutung der Arbeiter, ist vorrangig die Logistik eine besonders ertragreiche Geldquelle.

Der Aufstieg der chinesischen Mafia im Großraum Prato war ziemlich rapide. Mitte der 80er, Anfang der 90er Jahre, die lokale Textilindustrie steckte schon tief in der Krise, kamen die ersten chinesischen Arbeiter nach Prato. Zuerst boten sie sich als erfahrene, aber billige Arbeitskräfte an. Es dauerte nicht lange und sie begannen, die Betriebe aufzukaufen. Der Großteil mit dem Ziel, seiner Familie eine Zukunft zu bieten; eine Minderheit, um krumme Geschäfte zu machen.

Pronto Moda oder Fast Fashion

Laut letzten Erhebungen aus dem Jahr 2023 sind 57 Prozent der Textilunternehmen im Großraum Prato in chinesischem Besitz. Umgerechnet sind das ungefähr 4300 Unternehmen, die in 48 Stunden Tausende von billigen Kleidungsstücken anfertigen. Daher der Name Pronto Moda oder Fast Fashion, die nach ganz Europa geliefert wird, wie auch die vielen ausländischen Nummernschilder der Lieferwagen bezeugen: darunter viele aus Osteuropa sowie aus Deutschland und Frankreich.

Dass nicht alle Unternehmen die Arbeitsvorschriften berücksichtigen, ist immer wieder in den Zeitungen zu lesen: Einer der schlimmsten Unfälle ereignete sich vor 11 Jahren, als ein Arbeiter in einer Produktionshalle einen Brand entfachte und sieben chinesische Arbeiter starben. Menschen, die bis zu 16 Stunden am Tag arbeiteten und am Arbeitsplatz in grabähnlichen Nischen untergebracht waren.

Lukrative Erträge dank Versklavung und Logistik

Zwar sind die Kontrollen mittlerweile viel strenger, trotzdem werden immer wieder solche Fälle von Versklavung aufgedeckt. Ein Geschäft, das sich als besonders lukrativ erwiesen hat, ist das der Logistik. Lagerung, aber vor allem der Versand, sind nach der Produktion der zweite tragende Pfeiler, der dazu beigetragen hat, "dass die Erträge der chinesischen Mafia heute in Milliardenhöhe liegen und denen der italienischen Mafia-Organisationen gleich sind", bemerkt Calleri. "Meiner Meinung nach sind die Triaden in Prato sogar reicher als die auch präsenten italienischen Mafia-Organisationen."

Es dauerte eine Weile, bevor man in Prato gewillt war zuzugeben, dass man die chinesische Mafia im Haus hatte. "Und erst seit 2001 gibt es ein Urteil des Kassationsgerichts, das auch eine Triade einer Mafia-Organisation gleichsetzt", fügt Calleri hinzu.

Dennoch scheint das Bewusstsein der Präsenz der chinesischen Mafia noch immer etwas unterschwellig zu sein. Der Oberstaatsanwalt von Prato, Luca Tescaroli, hob unlängst in einem Interview mit der Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore hervor: "Bis jetzt war man sich des Risikos, das die chinesische Mafia darstellt, nicht bewusst. Es ist aber an der Zeit, dass sich Institutionen und Bürger dieser Gefahr stellen, die außerdem den wirtschaftlichen Wettbewerb zu vernichten droht."

Chinesische und italienische Mafiosi schätzen sich

Während sich die Triaden, wie einst die Cosa-Nostra-Clans, bekriegen, herrscht zwischen der chinesischen organisierten Kriminalität und den drei italienischen Mafia-Organisationen ein friedliches Nebeneinander. Manchmal bedient man sich sogar der Dienstleistungen des anderen. Die Italiener sollen die Geschicklichkeit der Chinesen beim Thema "spurenloser Geldtransfer" sehr schätzen, gleich, ob es sich um Cash oder digitale Token handelt.

Angesichts dieser friedlichen Koexistenz ist es nicht auszuschließen, dass auch die Chinesen Teil des mutmaßlichen Abkommens sind, das laut Ermittlungen die Mailänder Ableger von Cosa Nostra, 'Ndrangheta und Camorra abgeschlossen haben sollen: Es geht dabei um Geschäfte, die man zusammen abwickelt, weil sie so ertragsreicher für alle sind. Dazu laufen im Moment im Gerichtssaal der Mailänder Strafanstalt die vorläufigen Anhörungen.

Quelle: ntv.de

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